letzten Tage meines Vaters mit dem voll- kommensten Vergnügen gekrönt habe, das ein treues väterliches Herz empfinden kann, nehmlich zu sagen -- "Du hast "mich durch keine böse Neigung, durch "keinen Ungehorsam jemals gekränkt, "deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei- "nen Verstand zu üben und nützlich zu "machen, haben mein Herz, so oft ich dich "ansah, mit Freude erfüllt. Gott segne "dich dafür; und belohne dein Herz für "die Erquickung, die dein Anblick deinem "sterbenden Vater durch die Versicherung "giebt, daß ich meinen Nebenmenschen an "meinem Sohn einen rechtschaffnen Mit- "bürger zurücklasse." Dieses Vergnügen, mein Freund, fühle ich itzt auch, indem ich meiner Tochter das nehmliche Zeu- gniß geben kann, in der ich noch eine traurige Glückseligkeit mehr genossen ha- be. Jch sage, traurige Glückseligkeit, weil sie als das wahre Bild meiner seligen Gemahlin, das Andenken mei- ner höchstglücklichen Tage und den Schmerz ihres Verlusts bey jedem Anblick
in
letzten Tage meines Vaters mit dem voll- kommenſten Vergnuͤgen gekroͤnt habe, das ein treues vaͤterliches Herz empfinden kann, nehmlich zu ſagen — „Du haſt „mich durch keine boͤſe Neigung, durch „keinen Ungehorſam jemals gekraͤnkt, „deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei- „nen Verſtand zu uͤben und nuͤtzlich zu „machen, haben mein Herz, ſo oft ich dich „anſah, mit Freude erfuͤllt. Gott ſegne „dich dafuͤr; und belohne dein Herz fuͤr „die Erquickung, die dein Anblick deinem „ſterbenden Vater durch die Verſicherung „giebt, daß ich meinen Nebenmenſchen an „meinem Sohn einen rechtſchaffnen Mit- „buͤrger zuruͤcklaſſe.“ Dieſes Vergnuͤgen, mein Freund, fuͤhle ich itzt auch, indem ich meiner Tochter das nehmliche Zeu- gniß geben kann, in der ich noch eine traurige Gluͤckſeligkeit mehr genoſſen ha- be. Jch ſage, traurige Gluͤckſeligkeit, weil ſie als das wahre Bild meiner ſeligen Gemahlin, das Andenken mei- ner hoͤchſtgluͤcklichen Tage und den Schmerz ihres Verluſts bey jedem Anblick
in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="74"/>
letzten Tage meines Vaters mit dem voll-<lb/>
kommenſten Vergnuͤgen gekroͤnt habe, das<lb/>
ein treues vaͤterliches Herz empfinden<lb/>
kann, nehmlich zu ſagen —„Du haſt<lb/>„mich durch keine boͤſe Neigung, durch<lb/>„keinen Ungehorſam jemals gekraͤnkt,<lb/>„deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei-<lb/>„nen Verſtand zu uͤben und nuͤtzlich zu<lb/>„machen, haben mein Herz, ſo oft ich dich<lb/>„anſah, mit Freude erfuͤllt. Gott ſegne<lb/>„dich dafuͤr; und belohne dein Herz fuͤr<lb/>„die Erquickung, die dein Anblick deinem<lb/>„ſterbenden Vater durch die Verſicherung<lb/>„giebt, daß ich meinen Nebenmenſchen an<lb/>„meinem Sohn einen rechtſchaffnen Mit-<lb/>„buͤrger zuruͤcklaſſe.“ Dieſes Vergnuͤgen,<lb/>
mein Freund, fuͤhle ich itzt auch, indem<lb/>
ich meiner Tochter das nehmliche Zeu-<lb/>
gniß geben kann, in der ich noch eine<lb/>
traurige Gluͤckſeligkeit mehr genoſſen ha-<lb/>
be. Jch ſage, traurige Gluͤckſeligkeit,<lb/>
weil ſie als das wahre Bild meiner<lb/>ſeligen Gemahlin, das Andenken mei-<lb/>
ner hoͤchſtgluͤcklichen Tage und den<lb/>
Schmerz ihres Verluſts bey jedem Anblick<lb/><fwplace="bottom"type="catch">in</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[74/0100]
letzten Tage meines Vaters mit dem voll-
kommenſten Vergnuͤgen gekroͤnt habe, das
ein treues vaͤterliches Herz empfinden
kann, nehmlich zu ſagen — „Du haſt
„mich durch keine boͤſe Neigung, durch
„keinen Ungehorſam jemals gekraͤnkt,
„deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei-
„nen Verſtand zu uͤben und nuͤtzlich zu
„machen, haben mein Herz, ſo oft ich dich
„anſah, mit Freude erfuͤllt. Gott ſegne
„dich dafuͤr; und belohne dein Herz fuͤr
„die Erquickung, die dein Anblick deinem
„ſterbenden Vater durch die Verſicherung
„giebt, daß ich meinen Nebenmenſchen an
„meinem Sohn einen rechtſchaffnen Mit-
„buͤrger zuruͤcklaſſe.“ Dieſes Vergnuͤgen,
mein Freund, fuͤhle ich itzt auch, indem
ich meiner Tochter das nehmliche Zeu-
gniß geben kann, in der ich noch eine
traurige Gluͤckſeligkeit mehr genoſſen ha-
be. Jch ſage, traurige Gluͤckſeligkeit,
weil ſie als das wahre Bild meiner
ſeligen Gemahlin, das Andenken mei-
ner hoͤchſtgluͤcklichen Tage und den
Schmerz ihres Verluſts bey jedem Anblick
in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/100>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.