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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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letzten Tage meines Vaters mit dem voll-
kommensten Vergnügen gekrönt habe, das
ein treues väterliches Herz empfinden
kann, nehmlich zu sagen -- "Du hast
"mich durch keine böse Neigung, durch
"keinen Ungehorsam jemals gekränkt,
"deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei-
"nen Verstand zu üben und nützlich zu
"machen, haben mein Herz, so oft ich dich
"ansah, mit Freude erfüllt. Gott segne
"dich dafür; und belohne dein Herz für
"die Erquickung, die dein Anblick deinem
"sterbenden Vater durch die Versicherung
"giebt, daß ich meinen Nebenmenschen an
"meinem Sohn einen rechtschaffnen Mit-
"bürger zurücklasse." Dieses Vergnügen,
mein Freund, fühle ich itzt auch, indem
ich meiner Tochter das nehmliche Zeu-
gniß geben kann, in der ich noch eine
traurige Glückseligkeit mehr genossen ha-
be. Jch sage, traurige Glückseligkeit,
weil sie als das wahre Bild meiner
seligen Gemahlin, das Andenken mei-
ner höchstglücklichen Tage und den
Schmerz ihres Verlusts bey jedem Anblick

in

letzten Tage meines Vaters mit dem voll-
kommenſten Vergnuͤgen gekroͤnt habe, das
ein treues vaͤterliches Herz empfinden
kann, nehmlich zu ſagen — „Du haſt
„mich durch keine boͤſe Neigung, durch
„keinen Ungehorſam jemals gekraͤnkt,
„deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei-
„nen Verſtand zu uͤben und nuͤtzlich zu
„machen, haben mein Herz, ſo oft ich dich
„anſah, mit Freude erfuͤllt. Gott ſegne
„dich dafuͤr; und belohne dein Herz fuͤr
„die Erquickung, die dein Anblick deinem
„ſterbenden Vater durch die Verſicherung
„giebt, daß ich meinen Nebenmenſchen an
„meinem Sohn einen rechtſchaffnen Mit-
„buͤrger zuruͤcklaſſe.“ Dieſes Vergnuͤgen,
mein Freund, fuͤhle ich itzt auch, indem
ich meiner Tochter das nehmliche Zeu-
gniß geben kann, in der ich noch eine
traurige Gluͤckſeligkeit mehr genoſſen ha-
be. Jch ſage, traurige Gluͤckſeligkeit,
weil ſie als das wahre Bild meiner
ſeligen Gemahlin, das Andenken mei-
ner hoͤchſtgluͤcklichen Tage und den
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[74/0100] letzten Tage meines Vaters mit dem voll- kommenſten Vergnuͤgen gekroͤnt habe, das ein treues vaͤterliches Herz empfinden kann, nehmlich zu ſagen — „Du haſt „mich durch keine boͤſe Neigung, durch „keinen Ungehorſam jemals gekraͤnkt, „deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei- „nen Verſtand zu uͤben und nuͤtzlich zu „machen, haben mein Herz, ſo oft ich dich „anſah, mit Freude erfuͤllt. Gott ſegne „dich dafuͤr; und belohne dein Herz fuͤr „die Erquickung, die dein Anblick deinem „ſterbenden Vater durch die Verſicherung „giebt, daß ich meinen Nebenmenſchen an „meinem Sohn einen rechtſchaffnen Mit- „buͤrger zuruͤcklaſſe.“ Dieſes Vergnuͤgen, mein Freund, fuͤhle ich itzt auch, indem ich meiner Tochter das nehmliche Zeu- gniß geben kann, in der ich noch eine traurige Gluͤckſeligkeit mehr genoſſen ha- be. Jch ſage, traurige Gluͤckſeligkeit, weil ſie als das wahre Bild meiner ſeligen Gemahlin, das Andenken mei- ner hoͤchſtgluͤcklichen Tage und den Schmerz ihres Verluſts bey jedem Anblick in

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/100>, abgerufen am 24.11.2024.