geschickter mich wider sie als zu ihrem Vortheil einzunehmen. Aber ich las fort, und alle meine kaltblütige Phi- losophie, die späte Frucht einer viel- jährigen Beobachtung der Menschen und ihrer grenzenlosen Thorheit, konn- te nicht gegen die Wahrheit und Schönheit Jhrer moralischen Schilde- rungen aushalten; mein Herz er- wärmte sich; ich liebte Jhren Stern- heim, seine Gemahlin, seine Tochter, und sogar -- seinen Pfarrer, einen der würdigsten unter allen Pfarrern, die ich jemals kennen gelernt habe. Zwanzig kleine Mißtöne, welche der sonderbare und an das Enthusiastische angrenzende Schwung in der Den- kungsart Jhrer Sternheim mit der meinigen macht, verlohren sich in der angenehmsten Uebereinstimmung ihrer Grundsätze, ihrer Gesinnungen und ihrer Handlungen mit den besten Em- pfindungen und mit den lebhaftesten
Ueber-
geſchickter mich wider ſie als zu ihrem Vortheil einzunehmen. Aber ich las fort, und alle meine kaltbluͤtige Phi- loſophie, die ſpaͤte Frucht einer viel- jaͤhrigen Beobachtung der Menſchen und ihrer grenzenloſen Thorheit, konn- te nicht gegen die Wahrheit und Schoͤnheit Jhrer moraliſchen Schilde- rungen aushalten; mein Herz er- waͤrmte ſich; ich liebte Jhren Stern- heim, ſeine Gemahlin, ſeine Tochter, und ſogar — ſeinen Pfarrer, einen der wuͤrdigſten unter allen Pfarrern, die ich jemals kennen gelernt habe. Zwanzig kleine Mißtoͤne, welche der ſonderbare und an das Enthuſiaſtiſche angrenzende Schwung in der Den- kungsart Jhrer Sternheim mit der meinigen macht, verlohren ſich in der angenehmſten Uebereinſtimmung ihrer Grundſaͤtze, ihrer Geſinnungen und ihrer Handlungen mit den beſten Em- pfindungen und mit den lebhafteſten
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[VIII/0012]
geſchickter mich wider ſie als zu ihrem
Vortheil einzunehmen. Aber ich las
fort, und alle meine kaltbluͤtige Phi-
loſophie, die ſpaͤte Frucht einer viel-
jaͤhrigen Beobachtung der Menſchen
und ihrer grenzenloſen Thorheit, konn-
te nicht gegen die Wahrheit und
Schoͤnheit Jhrer moraliſchen Schilde-
rungen aushalten; mein Herz er-
waͤrmte ſich; ich liebte Jhren Stern-
heim, ſeine Gemahlin, ſeine Tochter,
und ſogar — ſeinen Pfarrer, einen
der wuͤrdigſten unter allen Pfarrern,
die ich jemals kennen gelernt habe.
Zwanzig kleine Mißtoͤne, welche der
ſonderbare und an das Enthuſiaſtiſche
angrenzende Schwung in der Den-
kungsart Jhrer Sternheim mit der
meinigen macht, verlohren ſich in der
angenehmſten Uebereinſtimmung ihrer
Grundſaͤtze, ihrer Geſinnungen und
ihrer Handlungen mit den beſten Em-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/12>, abgerufen am 03.12.2024.
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