che ich mir, im Ernst, auf dem Lande machen könnte. Jch erzählte ihr kurz, aber mit vollem Herzen, von den seligen Tagen meiner Erziehung, und von denen, welche ich in dem geliebten Hause meines Pflegvaters zugebracht, und versicherte sie: daß ihre Person und Freundschaft das einzige Vergnügen sey, welches ich in D. genossen hätte. Sie drückte mir zärt- lich die Hand, und bezeugte mir ihre Zu- friedenheit. Jch fuhr fort, und sagte, ich könnte das Wort Zeitvertreib nicht leiden; einmal, weil mir in meinem Le- ben die Zeit nicht einen Augenblick zu lang worden wäre (auf dem Lande, raunte ich ihr ins Ohr) und dann weil es mir ein Zeichen einer unwürdigen Bewegung der Seele zu seyn scheine. Unser Leben ist so kurz, wir haben so viel zu betrachten, wenn wir unsre Wohnung, die Erde ken- nen, und so viel zu lernen, wenn wir al- le Kräfte unsers Geistes (die uns nicht umsonst gegeben sind) gebrauchen wollen; wir können so viel Gutes thun, -- daß es mir einen Abscheu giebt, wenn ich von
einer
che ich mir, im Ernſt, auf dem Lande machen koͤnnte. Jch erzaͤhlte ihr kurz, aber mit vollem Herzen, von den ſeligen Tagen meiner Erziehung, und von denen, welche ich in dem geliebten Hauſe meines Pflegvaters zugebracht, und verſicherte ſie: daß ihre Perſon und Freundſchaft das einzige Vergnuͤgen ſey, welches ich in D. genoſſen haͤtte. Sie druͤckte mir zaͤrt- lich die Hand, und bezeugte mir ihre Zu- friedenheit. Jch fuhr fort, und ſagte, ich koͤnnte das Wort Zeitvertreib nicht leiden; einmal, weil mir in meinem Le- ben die Zeit nicht einen Augenblick zu lang worden waͤre (auf dem Lande, raunte ich ihr ins Ohr) und dann weil es mir ein Zeichen einer unwuͤrdigen Bewegung der Seele zu ſeyn ſcheine. Unſer Leben iſt ſo kurz, wir haben ſo viel zu betrachten, wenn wir unſre Wohnung, die Erde ken- nen, und ſo viel zu lernen, wenn wir al- le Kraͤfte unſers Geiſtes (die uns nicht umſonſt gegeben ſind) gebrauchen wollen; wir koͤnnen ſo viel Gutes thun, — daß es mir einen Abſcheu giebt, wenn ich von
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che ich mir, im Ernſt, auf dem Lande
machen koͤnnte. Jch erzaͤhlte ihr kurz,
aber mit vollem Herzen, von den ſeligen
Tagen meiner Erziehung, und von denen,
welche ich in dem geliebten Hauſe meines
Pflegvaters zugebracht, und verſicherte
ſie: daß ihre Perſon und Freundſchaft
das einzige Vergnuͤgen ſey, welches ich in
D. genoſſen haͤtte. Sie druͤckte mir zaͤrt-
lich die Hand, und bezeugte mir ihre Zu-
friedenheit. Jch fuhr fort, und ſagte,
ich koͤnnte das Wort Zeitvertreib nicht
leiden; einmal, weil mir in meinem Le-
ben die Zeit nicht einen Augenblick zu lang
worden waͤre (auf dem Lande, raunte ich
ihr ins Ohr) und dann weil es mir ein
Zeichen einer unwuͤrdigen Bewegung der
Seele zu ſeyn ſcheine. Unſer Leben iſt ſo
kurz, wir haben ſo viel zu betrachten,
wenn wir unſre Wohnung, die Erde ken-
nen, und ſo viel zu lernen, wenn wir al-
le Kraͤfte unſers Geiſtes (die uns nicht
umſonſt gegeben ſind) gebrauchen wollen;
wir koͤnnen ſo viel Gutes thun, — daß
es mir einen Abſcheu giebt, wenn ich von
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/136>, abgerufen am 27.11.2024.
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