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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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sie macht mir ohnehin immer Vorwürfe
über meine strenge und zu scharf gespannte
moralische Jdeen, die mich, wie sie sagt,
alle Freuden des Lebens mißtönend finden
ließen. Jch weiß nicht, warum man
mich immer hierüber anklagt. Jch kann
munter seyn; ich liebe Gesellschaft, Mu-
sik, Tanz und Scherz. Aber die Men-
schenliebe und den Wohlstand kann ich nicht
beleidigen sehen, ohne mein Mißvergnü-
gen darüber zu zeigen; und dann ist es
mir auch unmöglich, an geist- und em-
pfindungslosen Gesprächen einen angeneh-
men Unterhalt zu finden, oder von nichts-
würdigen Kleinigkeiten Tage lang reden
zu hören.

O fände ich nur in jeder großen Ge-
sellschaft oder unter den Freunden unsers
Hauses in D. Person Eine wie die Stifts-
dame zu **, man würde den Ton meines
Kopfs und Herzens nicht mehr mürrisch
gestimmt finden! Diese edelmüthige Da-
me lernte mich zu G. kennen, ihre erste
Bewegung für mich war Achtung, mich
als eine Fremde etwas mehr als gezwun-

gene

ſie macht mir ohnehin immer Vorwuͤrfe
uͤber meine ſtrenge und zu ſcharf geſpannte
moraliſche Jdeen, die mich, wie ſie ſagt,
alle Freuden des Lebens mißtoͤnend finden
ließen. Jch weiß nicht, warum man
mich immer hieruͤber anklagt. Jch kann
munter ſeyn; ich liebe Geſellſchaft, Mu-
ſik, Tanz und Scherz. Aber die Men-
ſchenliebe und den Wohlſtand kann ich nicht
beleidigen ſehen, ohne mein Mißvergnuͤ-
gen daruͤber zu zeigen; und dann iſt es
mir auch unmoͤglich, an geiſt- und em-
pfindungsloſen Geſpraͤchen einen angeneh-
men Unterhalt zu finden, oder von nichts-
wuͤrdigen Kleinigkeiten Tage lang reden
zu hoͤren.

O faͤnde ich nur in jeder großen Ge-
ſellſchaft oder unter den Freunden unſers
Hauſes in D. Perſon Eine wie die Stifts-
dame zu **, man wuͤrde den Ton meines
Kopfs und Herzens nicht mehr muͤrriſch
geſtimmt finden! Dieſe edelmuͤthige Da-
me lernte mich zu G. kennen, ihre erſte
Bewegung fuͤr mich war Achtung, mich
als eine Fremde etwas mehr als gezwun-

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[139/0165] ſie macht mir ohnehin immer Vorwuͤrfe uͤber meine ſtrenge und zu ſcharf geſpannte moraliſche Jdeen, die mich, wie ſie ſagt, alle Freuden des Lebens mißtoͤnend finden ließen. Jch weiß nicht, warum man mich immer hieruͤber anklagt. Jch kann munter ſeyn; ich liebe Geſellſchaft, Mu- ſik, Tanz und Scherz. Aber die Men- ſchenliebe und den Wohlſtand kann ich nicht beleidigen ſehen, ohne mein Mißvergnuͤ- gen daruͤber zu zeigen; und dann iſt es mir auch unmoͤglich, an geiſt- und em- pfindungsloſen Geſpraͤchen einen angeneh- men Unterhalt zu finden, oder von nichts- wuͤrdigen Kleinigkeiten Tage lang reden zu hoͤren. O faͤnde ich nur in jeder großen Ge- ſellſchaft oder unter den Freunden unſers Hauſes in D. Perſon Eine wie die Stifts- dame zu **, man wuͤrde den Ton meines Kopfs und Herzens nicht mehr muͤrriſch geſtimmt finden! Dieſe edelmuͤthige Da- me lernte mich zu G. kennen, ihre erſte Bewegung fuͤr mich war Achtung, mich als eine Fremde etwas mehr als gezwun- gene

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/165>, abgerufen am 27.11.2024.