Die zwey größern Kinder liefen der Mutter zu, fielen um ihren Hals und fiengen an zu weinen. Jch umarmte sie, hob sie auf, umfaßte die Kinder, und bat die Frau sich zu fassen und stille zu re- den. Es sollte hier niemand als ich, ihr Herz und ihre Umstände kennen; sie sollte glauben, daß ich mich glücklich achten würde, ihr Dienste zu beweisen; voritzt aber wollte ich nichts als den Ort ihres Aufenthalts wissen, und ihr meinen Nah- men aufschreiben, welches ich auch sogleich mit Reißbley that, und ihr das Papier überreichte.
Sie sagte mir, daß sie wieder nach D* wo ihr Mann wäre, zurücke gienge, nachdem sie von einem Bruder, zu dem sie Zuflucht hätte nehmen wollen, abge- wiesen worden wäre. Sie wollte mir alle Ursachen ihres Elends aufschreiben, und sich dann meiner Güte in Beurthei- lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die- sem las sie mein Papier. Sind Sie das Fräulein von Sternheim? O was ist der heutige Tag für mich? Jch bin die Frau
des
Die zwey groͤßern Kinder liefen der Mutter zu, fielen um ihren Hals und fiengen an zu weinen. Jch umarmte ſie, hob ſie auf, umfaßte die Kinder, und bat die Frau ſich zu faſſen und ſtille zu re- den. Es ſollte hier niemand als ich, ihr Herz und ihre Umſtaͤnde kennen; ſie ſollte glauben, daß ich mich gluͤcklich achten wuͤrde, ihr Dienſte zu beweiſen; voritzt aber wollte ich nichts als den Ort ihres Aufenthalts wiſſen, und ihr meinen Nah- men aufſchreiben, welches ich auch ſogleich mit Reißbley that, und ihr das Papier uͤberreichte.
Sie ſagte mir, daß ſie wieder nach D* wo ihr Mann waͤre, zuruͤcke gienge, nachdem ſie von einem Bruder, zu dem ſie Zuflucht haͤtte nehmen wollen, abge- wieſen worden waͤre. Sie wollte mir alle Urſachen ihres Elends aufſchreiben, und ſich dann meiner Guͤte in Beurthei- lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die- ſem las ſie mein Papier. Sind Sie das Fraͤulein von Sternheim? O was iſt der heutige Tag fuͤr mich? Jch bin die Frau
des
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Die zwey groͤßern Kinder liefen der
Mutter zu, fielen um ihren Hals und
fiengen an zu weinen. Jch umarmte ſie,
hob ſie auf, umfaßte die Kinder, und
bat die Frau ſich zu faſſen und ſtille zu re-
den. Es ſollte hier niemand als ich, ihr
Herz und ihre Umſtaͤnde kennen; ſie ſollte
glauben, daß ich mich gluͤcklich achten
wuͤrde, ihr Dienſte zu beweiſen; voritzt
aber wollte ich nichts als den Ort ihres
Aufenthalts wiſſen, und ihr meinen Nah-
men aufſchreiben, welches ich auch ſogleich
mit Reißbley that, und ihr das Papier
uͤberreichte.
Sie ſagte mir, daß ſie wieder nach
D* wo ihr Mann waͤre, zuruͤcke gienge,
nachdem ſie von einem Bruder, zu dem
ſie Zuflucht haͤtte nehmen wollen, abge-
wieſen worden waͤre. Sie wollte mir
alle Urſachen ihres Elends aufſchreiben,
und ſich dann meiner Guͤte in Beurthei-
lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die-
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Fraͤulein von Sternheim? O was iſt der
heutige Tag fuͤr mich? Jch bin die Frau
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/226>, abgerufen am 24.11.2024.
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