Schelten Sie mich nicht gleich wieder über meine zärtliche Kleinmüthigkeit; viel- leicht ist die Abreise des Herrn** daran Ursache, die für mich eine abscheuliche Leere in diesem Hause läßt. Er kommt nur manchmal hieher. Wie Pilgrimme einen verfallenen Platz besuchen, wo ehe- mals ein Heiliger wohnte, besucht er die- ses Haus, um noch den Schatten des großen Mannes zu verehren, der hier leb- te, dessen großen Geist und erfahrne Weisheit er bewunderte, der sein Freund war und ihn zu schätzen wußte.
Den Tag nach seiner Abreise langte ein kleiner französischer Schriftsteller an, den ein Mangel an Pariser Glück und die seltsame Schwachheit unsers Adels "Die französische Belesenheit "immer der Deutschen vorzuziehen" in dieses Haus führte. Die Damen machten viel Wesens aus der Gesellschaft eines Mannes, der geraden Weges von Paris kam, viele Marquisinnen ge- sprochen hatte, und ganze Reihen von Abhandlungen über Moden, Manieren
und
Schelten Sie mich nicht gleich wieder uͤber meine zaͤrtliche Kleinmuͤthigkeit; viel- leicht iſt die Abreiſe des Herrn** daran Urſache, die fuͤr mich eine abſcheuliche Leere in dieſem Hauſe laͤßt. Er kommt nur manchmal hieher. Wie Pilgrimme einen verfallenen Platz beſuchen, wo ehe- mals ein Heiliger wohnte, beſucht er die- ſes Haus, um noch den Schatten des großen Mannes zu verehren, der hier leb- te, deſſen großen Geiſt und erfahrne Weisheit er bewunderte, der ſein Freund war und ihn zu ſchaͤtzen wußte.
Den Tag nach ſeiner Abreiſe langte ein kleiner franzoͤſiſcher Schriftſteller an, den ein Mangel an Pariſer Gluͤck und die ſeltſame Schwachheit unſers Adels „Die franzoͤſiſche Beleſenheit „immer der Deutſchen vorzuziehen“ in dieſes Haus fuͤhrte. Die Damen machten viel Weſens aus der Geſellſchaft eines Mannes, der geraden Weges von Paris kam, viele Marquiſinnen ge- ſprochen hatte, und ganze Reihen von Abhandlungen uͤber Moden, Manieren
und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0250"n="224"/>
Schelten Sie mich nicht gleich wieder<lb/>
uͤber meine zaͤrtliche Kleinmuͤthigkeit; viel-<lb/>
leicht iſt die Abreiſe des Herrn** daran<lb/>
Urſache, die fuͤr mich eine abſcheuliche<lb/>
Leere in dieſem Hauſe laͤßt. Er kommt<lb/>
nur manchmal hieher. Wie Pilgrimme<lb/>
einen verfallenen Platz beſuchen, wo ehe-<lb/>
mals ein Heiliger wohnte, beſucht er die-<lb/>ſes Haus, um noch den Schatten des<lb/>
großen Mannes zu verehren, der hier leb-<lb/>
te, deſſen großen Geiſt und erfahrne<lb/>
Weisheit er bewunderte, der ſein Freund<lb/>
war und ihn zu ſchaͤtzen wußte.</p><lb/><p>Den Tag nach ſeiner Abreiſe langte<lb/><hirendition="#fr">ein kleiner franzoͤſiſcher Schriftſteller</hi><lb/>
an, den ein Mangel an Pariſer Gluͤck<lb/>
und die ſeltſame Schwachheit unſers<lb/>
Adels „<hirendition="#fr">Die franzoͤſiſche Beleſenheit<lb/>„immer der Deutſchen vorzuziehen</hi>“<lb/>
in dieſes Haus fuͤhrte. Die Damen<lb/>
machten viel Weſens aus der Geſellſchaft<lb/>
eines Mannes, der geraden Weges von<lb/><hirendition="#fr">Paris</hi> kam, viele <hirendition="#fr">Marquiſinnen</hi> ge-<lb/>ſprochen hatte, und ganze Reihen von<lb/>
Abhandlungen uͤber <hirendition="#fr">Moden, Manieren</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[224/0250]
Schelten Sie mich nicht gleich wieder
uͤber meine zaͤrtliche Kleinmuͤthigkeit; viel-
leicht iſt die Abreiſe des Herrn** daran
Urſache, die fuͤr mich eine abſcheuliche
Leere in dieſem Hauſe laͤßt. Er kommt
nur manchmal hieher. Wie Pilgrimme
einen verfallenen Platz beſuchen, wo ehe-
mals ein Heiliger wohnte, beſucht er die-
ſes Haus, um noch den Schatten des
großen Mannes zu verehren, der hier leb-
te, deſſen großen Geiſt und erfahrne
Weisheit er bewunderte, der ſein Freund
war und ihn zu ſchaͤtzen wußte.
Den Tag nach ſeiner Abreiſe langte
ein kleiner franzoͤſiſcher Schriftſteller
an, den ein Mangel an Pariſer Gluͤck
und die ſeltſame Schwachheit unſers
Adels „Die franzoͤſiſche Beleſenheit
„immer der Deutſchen vorzuziehen“
in dieſes Haus fuͤhrte. Die Damen
machten viel Weſens aus der Geſellſchaft
eines Mannes, der geraden Weges von
Paris kam, viele Marquiſinnen ge-
ſprochen hatte, und ganze Reihen von
Abhandlungen uͤber Moden, Manieren
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/250>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.