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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Auf diese Weise, und wenn ein jeder Theil
in seinem angewiesnen Kreise bliebe, lie-
fen beyde in der nehmlichen Bahn, wie-
wohl in zwoen verschiedenen Linien, dem
Endzweck ihrer Bestimmung zu; oh-
ne daß durch eine erzwungene Mischung
der Charakter die moralische Ordnung ge-
stört würde. -- Er suchte mich mit mir
selbst und meinem Schicksale, über wel-
ches ich Klagen führte, zufrieden zu stel-
len; und lehrte mich, immer die schöne
Seite einer Sache zu suchen,
den Ein-
druck der widrigen dadurch zu schwä-
chen, und auf diese nicht mehr Aufmerk-
samkeit zu wenden, als vonnöthen sey,
den Reiz und Werth des Schönen und
Guten desto lebhafter zu empfinden.

O Emilia! in dem Umgang dieses
Mannes sind die besten Tage meines Gei-
stes verflossen! Es ist etwas in mir, das
mich empfinden läßt, daß sie nicht mehr
zurück kommen werden, daß ich niemals
so glücklich seyn werde, nach meinen
Wünschen und Neigungen, so einfach, so
wenig fodernd sie sind, leben zu können!

Schelten

Auf dieſe Weiſe, und wenn ein jeder Theil
in ſeinem angewieſnen Kreiſe bliebe, lie-
fen beyde in der nehmlichen Bahn, wie-
wohl in zwoen verſchiedenen Linien, dem
Endzweck ihrer Beſtimmung zu; oh-
ne daß durch eine erzwungene Miſchung
der Charakter die moraliſche Ordnung ge-
ſtoͤrt wuͤrde. — Er ſuchte mich mit mir
ſelbſt und meinem Schickſale, uͤber wel-
ches ich Klagen fuͤhrte, zufrieden zu ſtel-
len; und lehrte mich, immer die ſchoͤne
Seite einer Sache zu ſuchen,
den Ein-
druck der widrigen dadurch zu ſchwaͤ-
chen, und auf dieſe nicht mehr Aufmerk-
ſamkeit zu wenden, als vonnoͤthen ſey,
den Reiz und Werth des Schoͤnen und
Guten deſto lebhafter zu empfinden.

O Emilia! in dem Umgang dieſes
Mannes ſind die beſten Tage meines Gei-
ſtes verfloſſen! Es iſt etwas in mir, das
mich empfinden laͤßt, daß ſie nicht mehr
zuruͤck kommen werden, daß ich niemals
ſo gluͤcklich ſeyn werde, nach meinen
Wuͤnſchen und Neigungen, ſo einfach, ſo
wenig fodernd ſie ſind, leben zu koͤnnen!

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[223/0249] Auf dieſe Weiſe, und wenn ein jeder Theil in ſeinem angewieſnen Kreiſe bliebe, lie- fen beyde in der nehmlichen Bahn, wie- wohl in zwoen verſchiedenen Linien, dem Endzweck ihrer Beſtimmung zu; oh- ne daß durch eine erzwungene Miſchung der Charakter die moraliſche Ordnung ge- ſtoͤrt wuͤrde. — Er ſuchte mich mit mir ſelbſt und meinem Schickſale, uͤber wel- ches ich Klagen fuͤhrte, zufrieden zu ſtel- len; und lehrte mich, immer die ſchoͤne Seite einer Sache zu ſuchen, den Ein- druck der widrigen dadurch zu ſchwaͤ- chen, und auf dieſe nicht mehr Aufmerk- ſamkeit zu wenden, als vonnoͤthen ſey, den Reiz und Werth des Schoͤnen und Guten deſto lebhafter zu empfinden. O Emilia! in dem Umgang dieſes Mannes ſind die beſten Tage meines Gei- ſtes verfloſſen! Es iſt etwas in mir, das mich empfinden laͤßt, daß ſie nicht mehr zuruͤck kommen werden, daß ich niemals ſo gluͤcklich ſeyn werde, nach meinen Wuͤnſchen und Neigungen, ſo einfach, ſo wenig fodernd ſie ſind, leben zu koͤnnen! Schelten

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/249>, abgerufen am 24.11.2024.