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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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und Charakters in einem Frauenzimmer
vorzüglich zu loben. Wahr sey es, daß
wir überhaupt gleiche Ansprüche, wie die
Männer, an alle Tugenden und an alle
die Kenntnisse hätten, welche die Ausü-
bung derselben befördern, den Geist auf-
klären oder die Empfindungen und Sit-
ten verschönern; aber daß immer in der
Ausübung davon die Verschiedenheit des
Geschlechts bemerkt werden müsse. Die
Natur selbst habe die Anweisung hiezu ge-
geben, als sie, z. E. in der Leidenschaft
der Liebe den Mann heftig, die Frau
zärtlich gemacht; in Beleidigungen Jenen
mit Zorn, Diese mit rührenden Thränen
bewaffnet; zu Geschäfften und Wissenschaf-
ten dem männlichen Geiste Stärke und
Tiefsinn, dem weiblichen Geschmeidigkeit
und Anmuth; in Unglücksfällen dem Man-
ne Standhaftigkeit und Muth, der Frau
Geduld und Ergebung, vorzüglich mitge-
theilt; im häuslichen Leben Jenem die
Sorge für die Mittel der Familie zu er-
halten, und Dieser die schickliche Austhei-
lung derselben aufgetragen habe, u. s. w.

Auf

und Charakters in einem Frauenzimmer
vorzuͤglich zu loben. Wahr ſey es, daß
wir uͤberhaupt gleiche Anſpruͤche, wie die
Maͤnner, an alle Tugenden und an alle
die Kenntniſſe haͤtten, welche die Ausuͤ-
bung derſelben befoͤrdern, den Geiſt auf-
klaͤren oder die Empfindungen und Sit-
ten verſchoͤnern; aber daß immer in der
Ausuͤbung davon die Verſchiedenheit des
Geſchlechts bemerkt werden muͤſſe. Die
Natur ſelbſt habe die Anweiſung hiezu ge-
geben, als ſie, z. E. in der Leidenſchaft
der Liebe den Mann heftig, die Frau
zaͤrtlich gemacht; in Beleidigungen Jenen
mit Zorn, Dieſe mit ruͤhrenden Thraͤnen
bewaffnet; zu Geſchaͤfften und Wiſſenſchaf-
ten dem maͤnnlichen Geiſte Staͤrke und
Tiefſinn, dem weiblichen Geſchmeidigkeit
und Anmuth; in Ungluͤcksfaͤllen dem Man-
ne Standhaftigkeit und Muth, der Frau
Geduld und Ergebung, vorzuͤglich mitge-
theilt; im haͤuslichen Leben Jenem die
Sorge fuͤr die Mittel der Familie zu er-
halten, und Dieſer die ſchickliche Austhei-
lung derſelben aufgetragen habe, u. ſ. w.

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[222/0248] und Charakters in einem Frauenzimmer vorzuͤglich zu loben. Wahr ſey es, daß wir uͤberhaupt gleiche Anſpruͤche, wie die Maͤnner, an alle Tugenden und an alle die Kenntniſſe haͤtten, welche die Ausuͤ- bung derſelben befoͤrdern, den Geiſt auf- klaͤren oder die Empfindungen und Sit- ten verſchoͤnern; aber daß immer in der Ausuͤbung davon die Verſchiedenheit des Geſchlechts bemerkt werden muͤſſe. Die Natur ſelbſt habe die Anweiſung hiezu ge- geben, als ſie, z. E. in der Leidenſchaft der Liebe den Mann heftig, die Frau zaͤrtlich gemacht; in Beleidigungen Jenen mit Zorn, Dieſe mit ruͤhrenden Thraͤnen bewaffnet; zu Geſchaͤfften und Wiſſenſchaf- ten dem maͤnnlichen Geiſte Staͤrke und Tiefſinn, dem weiblichen Geſchmeidigkeit und Anmuth; in Ungluͤcksfaͤllen dem Man- ne Standhaftigkeit und Muth, der Frau Geduld und Ergebung, vorzuͤglich mitge- theilt; im haͤuslichen Leben Jenem die Sorge fuͤr die Mittel der Familie zu er- halten, und Dieſer die ſchickliche Austhei- lung derſelben aufgetragen habe, u. ſ. w. Auf

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/248>, abgerufen am 21.11.2024.