dig schätzte, Jhr von Liebe zu reden, ehe ich mich ganz umgebildet hätte, wobey ich Jhr Beyspiel zum Muster nehmen würde. Meine Erscheinung und der Jast der Lei- denschaften, in welchem ich zu ihr sprach, hatte sie wie betäubt, und auch Anfangs etwas erzürnt; aber das Wort Tugend, welches ich etlichemal aussprach, war die Beschwörung, durch welche ich ihren Zorn besäuftigte, und ihr alle Aufmerk- samkeit gab, die ich nöthig hatte, um mir ihre Eitelkeit gewogen zu machen. Jch sah auch, wie mitten unter den Runzeln, die der Unmuth der jungfräulichen Sitt- samkeit über ihre Stirne gezogen hatte, da sie mich etliche mal unterbrechen und forteilen wollte, mein Plato mit seiner sichtbar gewordenen Tugend diese ernst- haften Züge merklich aufheiterte und der feinste moralische Stolz auf ihren zur Er- de geschlagnen Augen saß. Diese Bemer- kung war mir für diesmal genug, und ich endigte meine ganz zärtlich gewordene Re- de mit einer wiederholten demüthigen Ab- bitte meiner Ueberraschung.
Sie
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dig ſchaͤtzte, Jhr von Liebe zu reden, ehe ich mich ganz umgebildet haͤtte, wobey ich Jhr Beyſpiel zum Muſter nehmen wuͤrde. Meine Erſcheinung und der Jaſt der Lei- denſchaften, in welchem ich zu ihr ſprach, hatte ſie wie betaͤubt, und auch Anfangs etwas erzuͤrnt; aber das Wort Tugend, welches ich etlichemal ausſprach, war die Beſchwoͤrung, durch welche ich ihren Zorn beſaͤuftigte, und ihr alle Aufmerk- ſamkeit gab, die ich noͤthig hatte, um mir ihre Eitelkeit gewogen zu machen. Jch ſah auch, wie mitten unter den Runzeln, die der Unmuth der jungfraͤulichen Sitt- ſamkeit uͤber ihre Stirne gezogen hatte, da ſie mich etliche mal unterbrechen und forteilen wollte, mein Plato mit ſeiner ſichtbar gewordenen Tugend dieſe ernſt- haften Zuͤge merklich aufheiterte und der feinſte moraliſche Stolz auf ihren zur Er- de geſchlagnen Augen ſaß. Dieſe Bemer- kung war mir fuͤr diesmal genug, und ich endigte meine ganz zaͤrtlich gewordene Re- de mit einer wiederholten demuͤthigen Ab- bitte meiner Ueberraſchung.
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dig ſchaͤtzte, Jhr von Liebe zu reden, ehe
ich mich ganz umgebildet haͤtte, wobey ich
Jhr Beyſpiel zum Muſter nehmen wuͤrde.
Meine Erſcheinung und der Jaſt der Lei-
denſchaften, in welchem ich zu ihr ſprach,
hatte ſie wie betaͤubt, und auch Anfangs
etwas erzuͤrnt; aber das Wort Tugend,
welches ich etlichemal ausſprach, war die
Beſchwoͤrung, durch welche ich ihren
Zorn beſaͤuftigte, und ihr alle Aufmerk-
ſamkeit gab, die ich noͤthig hatte, um mir
ihre Eitelkeit gewogen zu machen. Jch
ſah auch, wie mitten unter den Runzeln,
die der Unmuth der jungfraͤulichen Sitt-
ſamkeit uͤber ihre Stirne gezogen hatte,
da ſie mich etliche mal unterbrechen und
forteilen wollte, mein Plato mit ſeiner
ſichtbar gewordenen Tugend dieſe ernſt-
haften Zuͤge merklich aufheiterte und der
feinſte moraliſche Stolz auf ihren zur Er-
de geſchlagnen Augen ſaß. Dieſe Bemer-
kung war mir fuͤr diesmal genug, und ich
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/339>, abgerufen am 18.12.2024.
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