Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie sagte mit einer etwas zitternden
Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick
und meine Anrede ihr sehr unerwartet ge-
wesen sey, und daß sie wünschte, daß mich
meine Gesinnungen, wovon ich ihr rede-
te, abgehalten hätten, sie in einem frem-
den Hause zu überraschen.

Jch machte einige bewegliche Ausru-
fungen, und mein Gesicht war mit der
Angst bezeichnet ihr mißfallen zu haben;
sie betrachtete mich mit Sorgsamkeit und
sagte: Milord; Sie sind der erste Mann
der mir von Liebe redt, und mit dem ich
mich allein befinde; beydes macht mir
Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlassen,
und mir dadurch eine Probe der Hochach-
tung zu zeigen, die Sie für meinen Cha-
rakter zu haben vorgeben.

Vorgeben! O Sternheim, wenn es
vorgebliche Gesinnungen wären, so hätte
ich mehr Vorsicht gebraucht, um mich gegen
Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und
Verzweiflung war's, die mich zu der Ver-
wegenheit führten hieher zu kommen; sa-
gen Sie, daß Sie mir meine Verwegen-

heit

Sie ſagte mit einer etwas zitternden
Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick
und meine Anrede ihr ſehr unerwartet ge-
weſen ſey, und daß ſie wuͤnſchte, daß mich
meine Geſinnungen, wovon ich ihr rede-
te, abgehalten haͤtten, ſie in einem frem-
den Hauſe zu uͤberraſchen.

Jch machte einige bewegliche Ausru-
fungen, und mein Geſicht war mit der
Angſt bezeichnet ihr mißfallen zu haben;
ſie betrachtete mich mit Sorgſamkeit und
ſagte: Milord; Sie ſind der erſte Mann
der mir von Liebe redt, und mit dem ich
mich allein befinde; beydes macht mir
Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlaſſen,
und mir dadurch eine Probe der Hochach-
tung zu zeigen, die Sie fuͤr meinen Cha-
rakter zu haben vorgeben.

Vorgeben! O Sternheim, wenn es
vorgebliche Geſinnungen waͤren, ſo haͤtte
ich mehr Vorſicht gebraucht, um mich gegen
Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und
Verzweiflung war’s, die mich zu der Ver-
wegenheit fuͤhrten hieher zu kommen; ſa-
gen Sie, daß Sie mir meine Verwegen-

heit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0340" n="314"/>
          <p>Sie &#x017F;agte mit einer etwas zitternden<lb/>
Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick<lb/>
und meine Anrede ihr &#x017F;ehr unerwartet ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ey, und daß &#x017F;ie wu&#x0364;n&#x017F;chte, daß mich<lb/>
meine Ge&#x017F;innungen, wovon ich ihr rede-<lb/>
te, abgehalten ha&#x0364;tten, &#x017F;ie in einem frem-<lb/>
den Hau&#x017F;e zu u&#x0364;berra&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Jch machte einige bewegliche Ausru-<lb/>
fungen, und mein Ge&#x017F;icht war mit der<lb/>
Ang&#x017F;t bezeichnet ihr mißfallen zu haben;<lb/>
&#x017F;ie betrachtete mich mit Sorg&#x017F;amkeit und<lb/>
&#x017F;agte: Milord; Sie &#x017F;ind der er&#x017F;te Mann<lb/>
der mir von Liebe redt, und mit dem ich<lb/>
mich allein befinde; beydes macht mir<lb/>
Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und mir dadurch eine Probe der Hochach-<lb/>
tung zu zeigen, die Sie fu&#x0364;r meinen Cha-<lb/>
rakter zu haben vorgeben.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Vorgeben!</hi> O Sternheim, wenn es<lb/>
vorgebliche Ge&#x017F;innungen wa&#x0364;ren, &#x017F;o ha&#x0364;tte<lb/>
ich mehr Vor&#x017F;icht gebraucht, um mich gegen<lb/>
Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und<lb/>
Verzweiflung war&#x2019;s, die mich zu der Ver-<lb/>
wegenheit fu&#x0364;hrten hieher zu kommen; &#x017F;a-<lb/>
gen Sie, daß Sie mir meine Verwegen-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">heit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0340] Sie ſagte mit einer etwas zitternden Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick und meine Anrede ihr ſehr unerwartet ge- weſen ſey, und daß ſie wuͤnſchte, daß mich meine Geſinnungen, wovon ich ihr rede- te, abgehalten haͤtten, ſie in einem frem- den Hauſe zu uͤberraſchen. Jch machte einige bewegliche Ausru- fungen, und mein Geſicht war mit der Angſt bezeichnet ihr mißfallen zu haben; ſie betrachtete mich mit Sorgſamkeit und ſagte: Milord; Sie ſind der erſte Mann der mir von Liebe redt, und mit dem ich mich allein befinde; beydes macht mir Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlaſſen, und mir dadurch eine Probe der Hochach- tung zu zeigen, die Sie fuͤr meinen Cha- rakter zu haben vorgeben. Vorgeben! O Sternheim, wenn es vorgebliche Geſinnungen waͤren, ſo haͤtte ich mehr Vorſicht gebraucht, um mich gegen Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und Verzweiflung war’s, die mich zu der Ver- wegenheit fuͤhrten hieher zu kommen; ſa- gen Sie, daß Sie mir meine Verwegen- heit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/340
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/340>, abgerufen am 18.12.2024.