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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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kleine Nachbarschaft, fieng gleich darauf
an zu bauen, setzte noch zween schöne Flü-
gel an beyden Seiten des Hauses, pflanzte
Alleen und einen artigen Lustwald, alles
in englischem Geschmack. Er betrieb die-
sen Bau mit dem größten Eifer. Gleich-
wohl hatte er von Zeit zu Zeit eine düstre
Miene, die der Baron wahrnahm, ohne
anfangs davon etwas merken zu lassen,
bis er in dem folgenden Herbst einer Ge-
müthsveränderung des Obersten überzeugt
zu seyn glaubte, bey welcher er nicht län-
ger ruhig seyn konnte. Sternheim kam
nicht mehr so oft, redete weniger, und
gieng bald wieder weg. Seine Leute be-
dauerten die ungewöhnliche Melancholie,
die ihren Herrn befallen hatte.

Der Baron wurde um so viel mehr
bekümmert, als sein Herz von der zurück-
gefallnen Traurigkeit seiner ältern Schwe-
ster beklemmt war. Er gieng zum Ober-
sten, fand ihn allein und nachdenkend,
umarmte ihn mit zärtlicher Wehmuth, und
rief aus: -- "O mein Freund! wie
nichtig sind auch die edelsten, die lauter-

sten

kleine Nachbarſchaft, fieng gleich darauf
an zu bauen, ſetzte noch zween ſchoͤne Fluͤ-
gel an beyden Seiten des Hauſes, pflanzte
Alleen und einen artigen Luſtwald, alles
in engliſchem Geſchmack. Er betrieb die-
ſen Bau mit dem groͤßten Eifer. Gleich-
wohl hatte er von Zeit zu Zeit eine duͤſtre
Miene, die der Baron wahrnahm, ohne
anfangs davon etwas merken zu laſſen,
bis er in dem folgenden Herbſt einer Ge-
muͤthsveraͤnderung des Oberſten uͤberzeugt
zu ſeyn glaubte, bey welcher er nicht laͤn-
ger ruhig ſeyn konnte. Sternheim kam
nicht mehr ſo oft, redete weniger, und
gieng bald wieder weg. Seine Leute be-
dauerten die ungewoͤhnliche Melancholie,
die ihren Herrn befallen hatte.

Der Baron wurde um ſo viel mehr
bekuͤmmert, als ſein Herz von der zuruͤck-
gefallnen Traurigkeit ſeiner aͤltern Schwe-
ſter beklemmt war. Er gieng zum Ober-
ſten, fand ihn allein und nachdenkend,
umarmte ihn mit zaͤrtlicher Wehmuth, und
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[11/0037] kleine Nachbarſchaft, fieng gleich darauf an zu bauen, ſetzte noch zween ſchoͤne Fluͤ- gel an beyden Seiten des Hauſes, pflanzte Alleen und einen artigen Luſtwald, alles in engliſchem Geſchmack. Er betrieb die- ſen Bau mit dem groͤßten Eifer. Gleich- wohl hatte er von Zeit zu Zeit eine duͤſtre Miene, die der Baron wahrnahm, ohne anfangs davon etwas merken zu laſſen, bis er in dem folgenden Herbſt einer Ge- muͤthsveraͤnderung des Oberſten uͤberzeugt zu ſeyn glaubte, bey welcher er nicht laͤn- ger ruhig ſeyn konnte. Sternheim kam nicht mehr ſo oft, redete weniger, und gieng bald wieder weg. Seine Leute be- dauerten die ungewoͤhnliche Melancholie, die ihren Herrn befallen hatte. Der Baron wurde um ſo viel mehr bekuͤmmert, als ſein Herz von der zuruͤck- gefallnen Traurigkeit ſeiner aͤltern Schwe- ſter beklemmt war. Er gieng zum Ober- ſten, fand ihn allein und nachdenkend, umarmte ihn mit zaͤrtlicher Wehmuth, und rief aus: — „O mein Freund! wie nichtig ſind auch die edelſten, die lauter- ſten

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/37>, abgerufen am 23.11.2024.