Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Fräulein! mein Herz ist zu Verehrung der
Tugend gebohren; wie war es möglich,
eine vortreffliche Seele wie die Jhrige mit
allen äusserlichen Annehmlichkeiten beglei-
tet zu sehen, ohne daß meine Empfindun-
gen lebhaft genug wurden, Wünsche zu
machen? Jch hätte diese Wünsche erstickt;
aber die treue Freundschaft Jhres Bru-
ders hat mir Muth gegeben, um Jhre
Zuneigung zu bitten. Sie haben mich
nicht verworfen. Gott belohne Jhr lieb-
reiches Herz, und lasse mich die Tugend
niemals verliehren, die mir Jhre Achtung
erworben hat! --

Fräulein Sophie antwortete nur mit
einer Verbeugung, und reichte ihm die
Hand mit dem Zeichen aufzustehen; dar-
auf näherte sich der Baron, und führte
beyde an seinen Händen zu seiner Frau
Mutter.

Gnädige Mama, sagte er, die Natur
hat Jhnen an mir einen Sohn gegeben,
von welchem Sie auf das Vollkommenste
geehrt und geliebt werden; das Schicksal

giebt

Fraͤulein! mein Herz iſt zu Verehrung der
Tugend gebohren; wie war es moͤglich,
eine vortreffliche Seele wie die Jhrige mit
allen aͤuſſerlichen Annehmlichkeiten beglei-
tet zu ſehen, ohne daß meine Empfindun-
gen lebhaft genug wurden, Wuͤnſche zu
machen? Jch haͤtte dieſe Wuͤnſche erſtickt;
aber die treue Freundſchaft Jhres Bru-
ders hat mir Muth gegeben, um Jhre
Zuneigung zu bitten. Sie haben mich
nicht verworfen. Gott belohne Jhr lieb-
reiches Herz, und laſſe mich die Tugend
niemals verliehren, die mir Jhre Achtung
erworben hat! —

Fraͤulein Sophie antwortete nur mit
einer Verbeugung, und reichte ihm die
Hand mit dem Zeichen aufzuſtehen; dar-
auf naͤherte ſich der Baron, und fuͤhrte
beyde an ſeinen Haͤnden zu ſeiner Frau
Mutter.

Gnaͤdige Mama, ſagte er, die Natur
hat Jhnen an mir einen Sohn gegeben,
von welchem Sie auf das Vollkommenſte
geehrt und geliebt werden; das Schickſal

giebt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="36"/>
Fra&#x0364;ulein! mein Herz i&#x017F;t zu Verehrung der<lb/>
Tugend gebohren; wie war es mo&#x0364;glich,<lb/>
eine vortreffliche Seele wie die Jhrige mit<lb/>
allen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Annehmlichkeiten beglei-<lb/>
tet zu &#x017F;ehen, ohne daß meine Empfindun-<lb/>
gen lebhaft genug wurden, Wu&#x0364;n&#x017F;che zu<lb/>
machen? Jch ha&#x0364;tte die&#x017F;e Wu&#x0364;n&#x017F;che er&#x017F;tickt;<lb/>
aber die treue Freund&#x017F;chaft Jhres Bru-<lb/>
ders hat mir Muth gegeben, um Jhre<lb/>
Zuneigung zu bitten. Sie haben mich<lb/>
nicht verworfen. Gott belohne Jhr lieb-<lb/>
reiches Herz, und la&#x017F;&#x017F;e mich die Tugend<lb/>
niemals verliehren, die mir Jhre Achtung<lb/>
erworben hat! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Fra&#x0364;ulein Sophie antwortete nur mit<lb/>
einer Verbeugung, und reichte ihm die<lb/>
Hand mit dem Zeichen aufzu&#x017F;tehen; dar-<lb/>
auf na&#x0364;herte &#x017F;ich der Baron, und fu&#x0364;hrte<lb/>
beyde an &#x017F;einen Ha&#x0364;nden zu &#x017F;einer Frau<lb/>
Mutter.</p><lb/>
        <p>Gna&#x0364;dige Mama, &#x017F;agte er, die Natur<lb/>
hat Jhnen an mir einen Sohn gegeben,<lb/>
von welchem Sie auf das Vollkommen&#x017F;te<lb/>
geehrt und geliebt werden; das Schick&#x017F;al<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">giebt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0062] Fraͤulein! mein Herz iſt zu Verehrung der Tugend gebohren; wie war es moͤglich, eine vortreffliche Seele wie die Jhrige mit allen aͤuſſerlichen Annehmlichkeiten beglei- tet zu ſehen, ohne daß meine Empfindun- gen lebhaft genug wurden, Wuͤnſche zu machen? Jch haͤtte dieſe Wuͤnſche erſtickt; aber die treue Freundſchaft Jhres Bru- ders hat mir Muth gegeben, um Jhre Zuneigung zu bitten. Sie haben mich nicht verworfen. Gott belohne Jhr lieb- reiches Herz, und laſſe mich die Tugend niemals verliehren, die mir Jhre Achtung erworben hat! — Fraͤulein Sophie antwortete nur mit einer Verbeugung, und reichte ihm die Hand mit dem Zeichen aufzuſtehen; dar- auf naͤherte ſich der Baron, und fuͤhrte beyde an ſeinen Haͤnden zu ſeiner Frau Mutter. Gnaͤdige Mama, ſagte er, die Natur hat Jhnen an mir einen Sohn gegeben, von welchem Sie auf das Vollkommenſte geehrt und geliebt werden; das Schickſal giebt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/62
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/62>, abgerufen am 21.11.2024.