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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Herr von Sternheim nahm die edle
Beschäfftigung, diesen jungen Herren rich-
tige Begriffe von der Regierung der Unter-
thanen zu geben, recht gerne auf sich.
Seine Menschenliebe erleichterte ihm diese
Mühe durch den Gedanken: vielleicht gebe
ich ihnen den so nöthigen Theil von Mit-
leiden gegen Geringe und Unglückliche,
deren hartes mühseliges Leben durch die
Unbarmherzigkeit und den Stolz der Gros-
sen so oft erschwert und verbittert wird.
Ueberzeugt, daß das Beyspiel mehr würkt,
als weitläuftige Gespräche, nahm er seine
junge Leute überall mit sich, und, wie
es der Anlaß erfoderte, handelte er vor
ihnen. Er machte ihnen die Ursachen
begreiflich, warum er dieses verordnet,
jenes verboten, oder diese, oder jene an-
dere Entscheidung gegeben; und je nach
der Kenntniß, die er von den Güthern
eines jeden hatte, fügte er kleine Anwen-
dungen für sie selbst hinzu. Sie waren
Zeugen von allen seinen Beschäfftigungen,
und nahmen Antheil an seinen Ergötzlich-
keiten; bey Gelegenheit der letztern, bat

er

Herr von Sternheim nahm die edle
Beſchaͤfftigung, dieſen jungen Herren rich-
tige Begriffe von der Regierung der Unter-
thanen zu geben, recht gerne auf ſich.
Seine Menſchenliebe erleichterte ihm dieſe
Muͤhe durch den Gedanken: vielleicht gebe
ich ihnen den ſo noͤthigen Theil von Mit-
leiden gegen Geringe und Ungluͤckliche,
deren hartes muͤhſeliges Leben durch die
Unbarmherzigkeit und den Stolz der Groſ-
ſen ſo oft erſchwert und verbittert wird.
Ueberzeugt, daß das Beyſpiel mehr wuͤrkt,
als weitlaͤuftige Geſpraͤche, nahm er ſeine
junge Leute uͤberall mit ſich, und, wie
es der Anlaß erfoderte, handelte er vor
ihnen. Er machte ihnen die Urſachen
begreiflich, warum er dieſes verordnet,
jenes verboten, oder dieſe, oder jene an-
dere Entſcheidung gegeben; und je nach
der Kenntniß, die er von den Guͤthern
eines jeden hatte, fuͤgte er kleine Anwen-
dungen fuͤr ſie ſelbſt hinzu. Sie waren
Zeugen von allen ſeinen Beſchaͤfftigungen,
und nahmen Antheil an ſeinen Ergoͤtzlich-
keiten; bey Gelegenheit der letztern, bat

er
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[62/0088] Herr von Sternheim nahm die edle Beſchaͤfftigung, dieſen jungen Herren rich- tige Begriffe von der Regierung der Unter- thanen zu geben, recht gerne auf ſich. Seine Menſchenliebe erleichterte ihm dieſe Muͤhe durch den Gedanken: vielleicht gebe ich ihnen den ſo noͤthigen Theil von Mit- leiden gegen Geringe und Ungluͤckliche, deren hartes muͤhſeliges Leben durch die Unbarmherzigkeit und den Stolz der Groſ- ſen ſo oft erſchwert und verbittert wird. Ueberzeugt, daß das Beyſpiel mehr wuͤrkt, als weitlaͤuftige Geſpraͤche, nahm er ſeine junge Leute uͤberall mit ſich, und, wie es der Anlaß erfoderte, handelte er vor ihnen. Er machte ihnen die Urſachen begreiflich, warum er dieſes verordnet, jenes verboten, oder dieſe, oder jene an- dere Entſcheidung gegeben; und je nach der Kenntniß, die er von den Guͤthern eines jeden hatte, fuͤgte er kleine Anwen- dungen fuͤr ſie ſelbſt hinzu. Sie waren Zeugen von allen ſeinen Beſchaͤfftigungen, und nahmen Antheil an ſeinen Ergoͤtzlich- keiten; bey Gelegenheit der letztern, bat er

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/88>, abgerufen am 24.11.2024.