Nicht wahr, meine Emilia, es giebt Reiche, die eine Art von Mangel fühlen, welchen sie durch Häufung aller Arten von Ergötzlichkeiten zu heben suchen, und dennoch dem Uebel nicht abhelfen können, weil sie von Niemand unterrichtet wurden, daß unser Geist und Herz auch ihre Be- dürfnisse haben, zu deren Befriedigung alles Gold von Jndien, und alle schö- nen wollüstigen Kostbarkeiten Frankreichs nichts vermögen, weil die wahren Hülfs- mittel dagegen allein in der Hand eines empfindungsvollen Freundes, und in einem lehrreichen und unterhaltenden Um- gang zu finden sind. Wie klein ist die Anzahl glücklicher Reichen, welche diese Vortheile kennen? Würklich bin ich im Besitze mancher angenehmen Güter des Lebens, ich fühle den vergnügenden Reiz, welcher darinn liegt, ich genieße die Ge-
schenke
IITheil. L
Madam Leidens an Emilien.
Nicht wahr, meine Emilia, es giebt Reiche, die eine Art von Mangel fuͤhlen, welchen ſie durch Haͤufung aller Arten von Ergoͤtzlichkeiten zu heben ſuchen, und dennoch dem Uebel nicht abhelfen koͤnnen, weil ſie von Niemand unterrichtet wurden, daß unſer Geiſt und Herz auch ihre Be- duͤrfniſſe haben, zu deren Befriedigung alles Gold von Jndien, und alle ſchoͤ- nen wolluͤſtigen Koſtbarkeiten Frankreichs nichts vermoͤgen, weil die wahren Huͤlfs- mittel dagegen allein in der Hand eines empfindungsvollen Freundes, und in einem lehrreichen und unterhaltenden Um- gang zu finden ſind. Wie klein iſt die Anzahl gluͤcklicher Reichen, welche dieſe Vortheile kennen? Wuͤrklich bin ich im Beſitze mancher angenehmen Guͤter des Lebens, ich fuͤhle den vergnuͤgenden Reiz, welcher darinn liegt, ich genieße die Ge-
ſchenke
IITheil. L
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Madam Leidens
an
Emilien.
Nicht wahr, meine Emilia, es giebt
Reiche, die eine Art von Mangel fuͤhlen,
welchen ſie durch Haͤufung aller Arten von
Ergoͤtzlichkeiten zu heben ſuchen, und
dennoch dem Uebel nicht abhelfen koͤnnen,
weil ſie von Niemand unterrichtet wurden,
daß unſer Geiſt und Herz auch ihre Be-
duͤrfniſſe haben, zu deren Befriedigung
alles Gold von Jndien, und alle ſchoͤ-
nen wolluͤſtigen Koſtbarkeiten Frankreichs
nichts vermoͤgen, weil die wahren Huͤlfs-
mittel dagegen allein in der Hand eines
empfindungsvollen Freundes, und in
einem lehrreichen und unterhaltenden Um-
gang zu finden ſind. Wie klein iſt die
Anzahl gluͤcklicher Reichen, welche dieſe
Vortheile kennen? Wuͤrklich bin ich im
Beſitze mancher angenehmen Guͤter des
Lebens, ich fuͤhle den vergnuͤgenden Reiz,
welcher darinn liegt, ich genieße die Ge-
ſchenke
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/167>, abgerufen am 21.11.2024.
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