Aus Bewegung meines Herzens küßte ich die Bildnisse meiner Aeltern, die ich immer an meinen Händen trage; Thrä- nen fielen auf sie; ich gieng ans Fenster; Lord Rich folgte mir; eine antheilneh- mende Traurigkeit war in seinen Zügen, als ich nach einigen Minuten ihn ansah, und er seine Blicke auf die Bilder heftete. Dieß sind die Bildnisse Jhrer Aeltern, Madam Leidens, leben Sie noch? -- -- sagte er sanft. -- O, nein, Mylord, sonst wäre ich nicht hier, und meine Au- gen würden nur Freudenthränen zu ver- gießen haben. -- Also hat Sie ein Sturm nach England geführt? -- Nein, Mylord, denn Freundschaft und freye Wahl ist kein Sturm, versetzte ich, indem ich mich zu lächeln bemühte. Lebhaft sagte Lord Rich, Dank sey Jhrer hal- ben Aufrichtigkeit, daß Sie mich Jhrer Freyheit zu wählen versichert. Die edel- ste Neigung, welche jemals ein Mann er- nährte, wird auf diesen Grund ihre Hoff- nung bauen. "Das kann nicht seyn, Mylord, denn ich sage Jhnen, daß die
Eigen-
Aus Bewegung meines Herzens kuͤßte ich die Bildniſſe meiner Aeltern, die ich immer an meinen Haͤnden trage; Thraͤ- nen fielen auf ſie; ich gieng ans Fenſter; Lord Rich folgte mir; eine antheilneh- mende Traurigkeit war in ſeinen Zuͤgen, als ich nach einigen Minuten ihn anſah, und er ſeine Blicke auf die Bilder heftete. Dieß ſind die Bildniſſe Jhrer Aeltern, Madam Leidens, leben Sie noch? — — ſagte er ſanft. — O, nein, Mylord, ſonſt waͤre ich nicht hier, und meine Au- gen wuͤrden nur Freudenthraͤnen zu ver- gießen haben. — Alſo hat Sie ein Sturm nach England gefuͤhrt? — Nein, Mylord, denn Freundſchaft und freye Wahl iſt kein Sturm, verſetzte ich, indem ich mich zu laͤcheln bemuͤhte. Lebhaft ſagte Lord Rich, Dank ſey Jhrer hal- ben Aufrichtigkeit, daß Sie mich Jhrer Freyheit zu waͤhlen verſichert. Die edel- ſte Neigung, welche jemals ein Mann er- naͤhrte, wird auf dieſen Grund ihre Hoff- nung bauen. „Das kann nicht ſeyn, Mylord, denn ich ſage Jhnen, daß die
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Aus Bewegung meines Herzens kuͤßte
ich die Bildniſſe meiner Aeltern, die ich
immer an meinen Haͤnden trage; Thraͤ-
nen fielen auf ſie; ich gieng ans Fenſter;
Lord Rich folgte mir; eine antheilneh-
mende Traurigkeit war in ſeinen Zuͤgen,
als ich nach einigen Minuten ihn anſah,
und er ſeine Blicke auf die Bilder heftete.
Dieß ſind die Bildniſſe Jhrer Aeltern,
Madam Leidens, leben Sie noch? — —
ſagte er ſanft. — O, nein, Mylord,
ſonſt waͤre ich nicht hier, und meine Au-
gen wuͤrden nur Freudenthraͤnen zu ver-
gießen haben. — Alſo hat Sie ein
Sturm nach England gefuͤhrt? — Nein,
Mylord, denn Freundſchaft und freye
Wahl iſt kein Sturm, verſetzte ich, indem
ich mich zu laͤcheln bemuͤhte. Lebhaft
ſagte Lord Rich, Dank ſey Jhrer hal-
ben Aufrichtigkeit, daß Sie mich Jhrer
Freyheit zu waͤhlen verſichert. Die edel-
ſte Neigung, welche jemals ein Mann er-
naͤhrte, wird auf dieſen Grund ihre Hoff-
nung bauen. „Das kann nicht ſeyn,
Mylord, denn ich ſage Jhnen, daß die
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/180>, abgerufen am 24.11.2024.
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