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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Unglück, so mich betroffen, würde ich dem
auf mich fallenden Blitz nicht ausgewichen
seyn. Ganze Tage war ich auf meinen
Knien, nicht aus Unterwerfung, nicht
um Gnade vom Himmel zu erflehen;
Stolz, empörter Stolz war mit dem Ge-
danken des unverdienten Elends in meine
Seele gekommen. Aber, o meine Emi-
lia, dieser Gedanke vermehrte mein Uebel,
und verschloß jeder übenden Tugend mei-
ner Umstände mein Herz; und übende
Tugend allein kann den Balsam des
Trosts in die Wunden der Seele träuflen.
Jch empfand dieses das erstemal, als ich
das arme fünfjährige Mädchen, die auf
mich Acht haben mußte, mit Rührung
ansah, weil sie sich bemühte, meinen nie-
dergesunknen Kopf mit ihren kleinen Hän-
den aufzurichten; ich verstund ihre Spra-
che nicht, aber ihr Ton und der Ausdruck
ihres Gesichts war Natur und Zärtlich-
keit und Unschuld; ich schloß sie in meine
Arme, und vergoß einen Strom von
Thränen; es waren die ersten Trostthrä-
nen, die ich weinte, und in die Dankbar-

keit

Ungluͤck, ſo mich betroffen, wuͤrde ich dem
auf mich fallenden Blitz nicht ausgewichen
ſeyn. Ganze Tage war ich auf meinen
Knien, nicht aus Unterwerfung, nicht
um Gnade vom Himmel zu erflehen;
Stolz, empoͤrter Stolz war mit dem Ge-
danken des unverdienten Elends in meine
Seele gekommen. Aber, o meine Emi-
lia, dieſer Gedanke vermehrte mein Uebel,
und verſchloß jeder uͤbenden Tugend mei-
ner Umſtaͤnde mein Herz; und uͤbende
Tugend allein kann den Balſam des
Troſts in die Wunden der Seele traͤuflen.
Jch empfand dieſes das erſtemal, als ich
das arme fuͤnfjaͤhrige Maͤdchen, die auf
mich Acht haben mußte, mit Ruͤhrung
anſah, weil ſie ſich bemuͤhte, meinen nie-
dergeſunknen Kopf mit ihren kleinen Haͤn-
den aufzurichten; ich verſtund ihre Spra-
che nicht, aber ihr Ton und der Ausdruck
ihres Geſichts war Natur und Zaͤrtlich-
keit und Unſchuld; ich ſchloß ſie in meine
Arme, und vergoß einen Strom von
Thraͤnen; es waren die erſten Troſtthraͤ-
nen, die ich weinte, und in die Dankbar-

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[219/0225] Ungluͤck, ſo mich betroffen, wuͤrde ich dem auf mich fallenden Blitz nicht ausgewichen ſeyn. Ganze Tage war ich auf meinen Knien, nicht aus Unterwerfung, nicht um Gnade vom Himmel zu erflehen; Stolz, empoͤrter Stolz war mit dem Ge- danken des unverdienten Elends in meine Seele gekommen. Aber, o meine Emi- lia, dieſer Gedanke vermehrte mein Uebel, und verſchloß jeder uͤbenden Tugend mei- ner Umſtaͤnde mein Herz; und uͤbende Tugend allein kann den Balſam des Troſts in die Wunden der Seele traͤuflen. Jch empfand dieſes das erſtemal, als ich das arme fuͤnfjaͤhrige Maͤdchen, die auf mich Acht haben mußte, mit Ruͤhrung anſah, weil ſie ſich bemuͤhte, meinen nie- dergeſunknen Kopf mit ihren kleinen Haͤn- den aufzurichten; ich verſtund ihre Spra- che nicht, aber ihr Ton und der Ausdruck ihres Geſichts war Natur und Zaͤrtlich- keit und Unſchuld; ich ſchloß ſie in meine Arme, und vergoß einen Strom von Thraͤnen; es waren die erſten Troſtthraͤ- nen, die ich weinte, und in die Dankbar- keit

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/225>, abgerufen am 24.11.2024.