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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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John (wie sie ihn nannten) abgereiset ge-
wesen wäre. Schreckliches Loos der Ar-
muth, daß sie selten Herz genug hat, sich
der Gewalt des reichen Lasters entgegen
zu setzen! Der Regen hatte den Böse-
wicht aufgehalten, doch, sagen sie, sey
er noch an die Thüre des Thurns gegan-
gen, hätte sie aufgemacht und gehorcht,
den Kopf verdrießlich in die Höhe gewor-
fen, und ohne die Thüre zuzuschließen,
oder ihnen noch etwas zu sagen, wäre er
davon gegangen. Sie hätten aus Furcht
vor ihm noch eine Stunde gewartet, und
wären dann mit einem Licht zu mir ge-
kommen, da sie mich denn für todt ange-
sehen und heraus getragen hätten. Der
Geistliche kam, und die Lady Douglaß
mir ihm; beyde betrachteten mich aufmerk-
sam und mitleidend. Jch reichte der La-
dy meine Hand, der sie die ihrige mit
Güte entgegen gab. Edle Lady, sagte
ich mit thränenden Augen, Gott wird
diese menschenfreundliche Bemühung um
mich, an Jhrer Seele belohnen; glauben
Sie nur auch, daß ich es würdig bin.

Jch

John (wie ſie ihn nannten) abgereiſet ge-
weſen waͤre. Schreckliches Loos der Ar-
muth, daß ſie ſelten Herz genug hat, ſich
der Gewalt des reichen Laſters entgegen
zu ſetzen! Der Regen hatte den Boͤſe-
wicht aufgehalten, doch, ſagen ſie, ſey
er noch an die Thuͤre des Thurns gegan-
gen, haͤtte ſie aufgemacht und gehorcht,
den Kopf verdrießlich in die Hoͤhe gewor-
fen, und ohne die Thuͤre zuzuſchließen,
oder ihnen noch etwas zu ſagen, waͤre er
davon gegangen. Sie haͤtten aus Furcht
vor ihm noch eine Stunde gewartet, und
waͤren dann mit einem Licht zu mir ge-
kommen, da ſie mich denn fuͤr todt ange-
ſehen und heraus getragen haͤtten. Der
Geiſtliche kam, und die Lady Douglaß
mir ihm; beyde betrachteten mich aufmerk-
ſam und mitleidend. Jch reichte der La-
dy meine Hand, der ſie die ihrige mit
Guͤte entgegen gab. Edle Lady, ſagte
ich mit thraͤnenden Augen, Gott wird
dieſe menſchenfreundliche Bemuͤhung um
mich, an Jhrer Seele belohnen; glauben
Sie nur auch, daß ich es wuͤrdig bin.

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[240/0246] John (wie ſie ihn nannten) abgereiſet ge- weſen waͤre. Schreckliches Loos der Ar- muth, daß ſie ſelten Herz genug hat, ſich der Gewalt des reichen Laſters entgegen zu ſetzen! Der Regen hatte den Boͤſe- wicht aufgehalten, doch, ſagen ſie, ſey er noch an die Thuͤre des Thurns gegan- gen, haͤtte ſie aufgemacht und gehorcht, den Kopf verdrießlich in die Hoͤhe gewor- fen, und ohne die Thuͤre zuzuſchließen, oder ihnen noch etwas zu ſagen, waͤre er davon gegangen. Sie haͤtten aus Furcht vor ihm noch eine Stunde gewartet, und waͤren dann mit einem Licht zu mir ge- kommen, da ſie mich denn fuͤr todt ange- ſehen und heraus getragen haͤtten. Der Geiſtliche kam, und die Lady Douglaß mir ihm; beyde betrachteten mich aufmerk- ſam und mitleidend. Jch reichte der La- dy meine Hand, der ſie die ihrige mit Guͤte entgegen gab. Edle Lady, ſagte ich mit thraͤnenden Augen, Gott wird dieſe menſchenfreundliche Bemuͤhung um mich, an Jhrer Seele belohnen; glauben Sie nur auch, daß ich es wuͤrdig bin. Jch

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/246>, abgerufen am 24.11.2024.