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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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seitdem sie die Tochter des Bleyminen-
knechts zu sich genommen, und wie sie
gleich gedacht hätte, diese Person müsse
eine edle Erziehung haben, und in einer
unglücklichen Stunde von ihrer Bestim-
mung entfernt worden seyn; zärtliches
Mitleiden habe sie eingenommen, beson-
ders da sie ihre Sorge für das Kind gese-
hen habe, und sie wäre gleich entschlossen
gewesen, sie zu sich zu nehmen, wenn sie
mit ihrem Bruder zurück gienge; die
Krankheit der Dame hätte es aber früher
erfodert. Sie freute sich ihrem Herzen
gefolgt zu haben. Sie gieng hierauf nach
ihrem Gast zu sehen, und wir blieben
allein. Gedankenvoll blieb ich sitzen.
Seymour kam, und fiel mir mit Weinen
um den Hals; Rich! -- lieber Bruder,
ich bin mitten im Glück elend, und wer-
de es bleiben. -- Jch sehe deine Liebe
und deine Verdienste um sie. -- Jch
fühle, daß sie misvergnügt mit mir
ist; -- sie hat Recht, tausend Recht es
zu seyn -- Sie hat Recht dir mehr Ver-
trauen, mehr Freundschaft zu zeigen; aber
ich fühle es mit einem tödtenden Kum-

mer.

ſeitdem ſie die Tochter des Bleyminen-
knechts zu ſich genommen, und wie ſie
gleich gedacht haͤtte, dieſe Perſon muͤſſe
eine edle Erziehung haben, und in einer
ungluͤcklichen Stunde von ihrer Beſtim-
mung entfernt worden ſeyn; zaͤrtliches
Mitleiden habe ſie eingenommen, beſon-
ders da ſie ihre Sorge fuͤr das Kind geſe-
hen habe, und ſie waͤre gleich entſchloſſen
geweſen, ſie zu ſich zu nehmen, wenn ſie
mit ihrem Bruder zuruͤck gienge; die
Krankheit der Dame haͤtte es aber fruͤher
erfodert. Sie freute ſich ihrem Herzen
gefolgt zu haben. Sie gieng hierauf nach
ihrem Gaſt zu ſehen, und wir blieben
allein. Gedankenvoll blieb ich ſitzen.
Seymour kam, und fiel mir mit Weinen
um den Hals; Rich! — lieber Bruder,
ich bin mitten im Gluͤck elend, und wer-
de es bleiben. — Jch ſehe deine Liebe
und deine Verdienſte um ſie. — Jch
fuͤhle, daß ſie misvergnuͤgt mit mir
iſt; — ſie hat Recht, tauſend Recht es
zu ſeyn — Sie hat Recht dir mehr Ver-
trauen, mehr Freundſchaft zu zeigen; aber
ich fuͤhle es mit einem toͤdtenden Kum-

mer.
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[280/0286] ſeitdem ſie die Tochter des Bleyminen- knechts zu ſich genommen, und wie ſie gleich gedacht haͤtte, dieſe Perſon muͤſſe eine edle Erziehung haben, und in einer ungluͤcklichen Stunde von ihrer Beſtim- mung entfernt worden ſeyn; zaͤrtliches Mitleiden habe ſie eingenommen, beſon- ders da ſie ihre Sorge fuͤr das Kind geſe- hen habe, und ſie waͤre gleich entſchloſſen geweſen, ſie zu ſich zu nehmen, wenn ſie mit ihrem Bruder zuruͤck gienge; die Krankheit der Dame haͤtte es aber fruͤher erfodert. Sie freute ſich ihrem Herzen gefolgt zu haben. Sie gieng hierauf nach ihrem Gaſt zu ſehen, und wir blieben allein. Gedankenvoll blieb ich ſitzen. Seymour kam, und fiel mir mit Weinen um den Hals; Rich! — lieber Bruder, ich bin mitten im Gluͤck elend, und wer- de es bleiben. — Jch ſehe deine Liebe und deine Verdienſte um ſie. — Jch fuͤhle, daß ſie misvergnuͤgt mit mir iſt; — ſie hat Recht, tauſend Recht es zu ſeyn — Sie hat Recht dir mehr Ver- trauen, mehr Freundſchaft zu zeigen; aber ich fuͤhle es mit einem toͤdtenden Kum- mer.

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/286>, abgerufen am 28.09.2024.