Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

zen entstanden wäre! Mit wie vielem
Recht besitzt die Tugend der großmüthi-
gen Aufopferung unsers Glücks die erste
Stelle des Ruhms! Wie theuer kostet sie
auch ein edelgewöhntes Herz! -- Wun-
dern Sie sich ja nicht, wenn sie selten
ist. -- Doch eine Probe wie diejenige
die ich machte, hat nicht leicht Statt.
Mit Vergnügen hab' ich das Glück mei-
nes Bruders dem meinigen vorgezogen.
Die Handlung reuet mich nicht, ich litt
nicht nur niederträchtigen Neid, sondern
allein durch das gezwungene Stillschwei-
gen meiner Empfindungen, die ich keinem
Unheiligen anvertrauen will, um die fal-
schen Beurtheilungen meiner ehrerbietigen
Leidenschaft zu vermeiden, und die reine
Freundschaft meiner edlen Schwester in
kein zweydeutiges Licht zu bringen. Jch
fiel in eine düstre Melancholie, und ent-
zog mich Seymours Hause auf einige Mo-
nate. Die Stille meines Landguths, wo
ich ehemals von meiner großen Reise aus-
ruhete, gab mir dießmal kein ganzes
Maaß von Frieden; ich wollte mich über-

winden;
T 5

zen entſtanden waͤre! Mit wie vielem
Recht beſitzt die Tugend der großmuͤthi-
gen Aufopferung unſers Gluͤcks die erſte
Stelle des Ruhms! Wie theuer koſtet ſie
auch ein edelgewoͤhntes Herz! — Wun-
dern Sie ſich ja nicht, wenn ſie ſelten
iſt. — Doch eine Probe wie diejenige
die ich machte, hat nicht leicht Statt.
Mit Vergnuͤgen hab’ ich das Gluͤck mei-
nes Bruders dem meinigen vorgezogen.
Die Handlung reuet mich nicht, ich litt
nicht nur niedertraͤchtigen Neid, ſondern
allein durch das gezwungene Stillſchwei-
gen meiner Empfindungen, die ich keinem
Unheiligen anvertrauen will, um die fal-
ſchen Beurtheilungen meiner ehrerbietigen
Leidenſchaft zu vermeiden, und die reine
Freundſchaft meiner edlen Schweſter in
kein zweydeutiges Licht zu bringen. Jch
fiel in eine duͤſtre Melancholie, und ent-
zog mich Seymours Hauſe auf einige Mo-
nate. Die Stille meines Landguths, wo
ich ehemals von meiner großen Reiſe aus-
ruhete, gab mir dießmal kein ganzes
Maaß von Frieden; ich wollte mich uͤber-

winden;
T 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0303" n="272[297]"/>
zen ent&#x017F;tanden wa&#x0364;re! Mit wie vielem<lb/>
Recht be&#x017F;itzt die Tugend der großmu&#x0364;thi-<lb/>
gen Aufopferung un&#x017F;ers Glu&#x0364;cks die er&#x017F;te<lb/>
Stelle des Ruhms! Wie theuer ko&#x017F;tet &#x017F;ie<lb/>
auch ein edelgewo&#x0364;hntes Herz! &#x2014; Wun-<lb/>
dern Sie &#x017F;ich ja nicht, wenn &#x017F;ie &#x017F;elten<lb/>
i&#x017F;t. &#x2014; Doch eine Probe wie diejenige<lb/>
die <hi rendition="#fr">ich</hi> machte, hat nicht leicht Statt.<lb/>
Mit Vergnu&#x0364;gen hab&#x2019; ich das Glu&#x0364;ck mei-<lb/>
nes Bruders dem meinigen vorgezogen.<lb/>
Die Handlung reuet mich nicht, ich litt<lb/>
nicht nur niedertra&#x0364;chtigen Neid, &#x017F;ondern<lb/>
allein durch das gezwungene Still&#x017F;chwei-<lb/>
gen meiner Empfindungen, die ich keinem<lb/>
Unheiligen anvertrauen will, um die fal-<lb/>
&#x017F;chen Beurtheilungen meiner ehrerbietigen<lb/>
Leiden&#x017F;chaft zu vermeiden, und die reine<lb/>
Freund&#x017F;chaft meiner edlen Schwe&#x017F;ter in<lb/>
kein zweydeutiges Licht zu bringen. Jch<lb/>
fiel in eine du&#x0364;&#x017F;tre Melancholie, und ent-<lb/>
zog mich Seymours Hau&#x017F;e auf einige Mo-<lb/>
nate. Die Stille meines Landguths, wo<lb/>
ich ehemals von meiner großen Rei&#x017F;e aus-<lb/>
ruhete, gab mir dießmal kein ganzes<lb/>
Maaß von Frieden; ich wollte mich u&#x0364;ber-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 5</fw><fw place="bottom" type="catch">winden;</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272[297]/0303] zen entſtanden waͤre! Mit wie vielem Recht beſitzt die Tugend der großmuͤthi- gen Aufopferung unſers Gluͤcks die erſte Stelle des Ruhms! Wie theuer koſtet ſie auch ein edelgewoͤhntes Herz! — Wun- dern Sie ſich ja nicht, wenn ſie ſelten iſt. — Doch eine Probe wie diejenige die ich machte, hat nicht leicht Statt. Mit Vergnuͤgen hab’ ich das Gluͤck mei- nes Bruders dem meinigen vorgezogen. Die Handlung reuet mich nicht, ich litt nicht nur niedertraͤchtigen Neid, ſondern allein durch das gezwungene Stillſchwei- gen meiner Empfindungen, die ich keinem Unheiligen anvertrauen will, um die fal- ſchen Beurtheilungen meiner ehrerbietigen Leidenſchaft zu vermeiden, und die reine Freundſchaft meiner edlen Schweſter in kein zweydeutiges Licht zu bringen. Jch fiel in eine duͤſtre Melancholie, und ent- zog mich Seymours Hauſe auf einige Mo- nate. Die Stille meines Landguths, wo ich ehemals von meiner großen Reiſe aus- ruhete, gab mir dießmal kein ganzes Maaß von Frieden; ich wollte mich uͤber- winden; T 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/303
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 272[297]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/303>, abgerufen am 22.11.2024.