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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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dete? -- "Mylord, rief sie aus, Sie
"zerreissen mein Herz, und meine Liebe für
"Sie; niemals werd' ich Jhnen diesen
"Mangel feiner Empfindungen vergeben!
"O Gott, wie verblendet war ich!" --
Bittere Thränen, und heftiges Zurückstos-
sen meiner Arme, begleiteten diese Ausru-
fungen. Jch sagte ihr trocken: ich wäre
sicher, daß sie dem Lord Seymour diese
Unempfindlichkeit für sein Vergnügen nicht
gezeigt haben würde. "Und ich bin sicher,
"sagte sie im hohen tragischen Ton, daß
"Mylord Seymour mich einer edlern, und
"feinern Liebe werth gehalten hätte.

Hast du jemals die Narrenkappe einer
sonderbaren Tugend mit wunderlichern
Schellen behangen gesehen, als daß ein
Weib ihre vollkommenste Reize nicht gese-
hen, nicht bewundert haben will? Und
wie albern eigensinnig war der Unter-
schied, den sie zwischen meinen Augen, und
meinem Gefühl machte? Jch wollt' es
Nachmittags von ihr selbst erklärt wis-
sen, aber sie konnte mit allem Nach-
sinnen nichts anders sagen, als daß sie

bey


dete? — „Mylord, rief ſie aus, Sie
„zerreiſſen mein Herz, und meine Liebe fuͤr
„Sie; niemals werd’ ich Jhnen dieſen
„Mangel feiner Empfindungen vergeben!
„O Gott, wie verblendet war ich!“ —
Bittere Thraͤnen, und heftiges Zuruͤckſtoſ-
ſen meiner Arme, begleiteten dieſe Ausru-
fungen. Jch ſagte ihr trocken: ich waͤre
ſicher, daß ſie dem Lord Seymour dieſe
Unempfindlichkeit fuͤr ſein Vergnuͤgen nicht
gezeigt haben wuͤrde. „Und ich bin ſicher,
„ſagte ſie im hohen tragiſchen Ton, daß
„Mylord Seymour mich einer edlern, und
„feinern Liebe werth gehalten haͤtte.

Haſt du jemals die Narrenkappe einer
ſonderbaren Tugend mit wunderlichern
Schellen behangen geſehen, als daß ein
Weib ihre vollkommenſte Reize nicht geſe-
hen, nicht bewundert haben will? Und
wie albern eigenſinnig war der Unter-
ſchied, den ſie zwiſchen meinen Augen, und
meinem Gefuͤhl machte? Jch wollt’ es
Nachmittags von ihr ſelbſt erklaͤrt wiſ-
ſen, aber ſie konnte mit allem Nach-
ſinnen nichts anders ſagen, als daß ſie

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[42/0048] dete? — „Mylord, rief ſie aus, Sie „zerreiſſen mein Herz, und meine Liebe fuͤr „Sie; niemals werd’ ich Jhnen dieſen „Mangel feiner Empfindungen vergeben! „O Gott, wie verblendet war ich!“ — Bittere Thraͤnen, und heftiges Zuruͤckſtoſ- ſen meiner Arme, begleiteten dieſe Ausru- fungen. Jch ſagte ihr trocken: ich waͤre ſicher, daß ſie dem Lord Seymour dieſe Unempfindlichkeit fuͤr ſein Vergnuͤgen nicht gezeigt haben wuͤrde. „Und ich bin ſicher, „ſagte ſie im hohen tragiſchen Ton, daß „Mylord Seymour mich einer edlern, und „feinern Liebe werth gehalten haͤtte. Haſt du jemals die Narrenkappe einer ſonderbaren Tugend mit wunderlichern Schellen behangen geſehen, als daß ein Weib ihre vollkommenſte Reize nicht geſe- hen, nicht bewundert haben will? Und wie albern eigenſinnig war der Unter- ſchied, den ſie zwiſchen meinen Augen, und meinem Gefuͤhl machte? Jch wollt’ es Nachmittags von ihr ſelbſt erklaͤrt wiſ- ſen, aber ſie konnte mit allem Nach- ſinnen nichts anders ſagen, als daß ſie bey

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/48>, abgerufen am 21.11.2024.