freute. Aber der Anblick junger Mädchen, besonders, die in einerley Alter mit ihr zu seyn schienen, brachte sie in ihre vorige Traurigkeit, und sie bat Gott mit gefal- teten Händen, daß er ja jede reine wohl- denkende Seele ihres Geschlechts, vor dem Kummer bewahren möge, der ihr zärtli- ches Herz durchnage.
Unter diesen Abwechslungen kamen wir glücklich in Vaels an. Mein Schwager und meine Schwester empfiengen uns mit allem Trost der tugendhaften Freundschaft, und suchten meine liebe Dame zu beruhigen; aber am fünften Tage wurde sie krank, und zwölf Tage lang dachten wir nichts anders, als daß sie sterben würde. Sie schrieb auch einen kleinen Auszug ihres Verhängnisses, und ein Testament. Aber sie erhohlte sich wider ihr Wünschen; und als sie wieder auf seyn konnte, setzte sie sich in die Kinderstube meiner Emilia, und lehrte ihr kleines Pathgen lesen; diese Beschäfftigung, und der Umgang mit meinem Schwager und meiner Schwester, beruhigten sie augenscheinlich; so, daß
man
freute. Aber der Anblick junger Maͤdchen, beſonders, die in einerley Alter mit ihr zu ſeyn ſchienen, brachte ſie in ihre vorige Traurigkeit, und ſie bat Gott mit gefal- teten Haͤnden, daß er ja jede reine wohl- denkende Seele ihres Geſchlechts, vor dem Kummer bewahren moͤge, der ihr zaͤrtli- ches Herz durchnage.
Unter dieſen Abwechslungen kamen wir gluͤcklich in Vaels an. Mein Schwager und meine Schweſter empfiengen uns mit allem Troſt der tugendhaften Freundſchaft, und ſuchten meine liebe Dame zu beruhigen; aber am fuͤnften Tage wurde ſie krank, und zwoͤlf Tage lang dachten wir nichts anders, als daß ſie ſterben wuͤrde. Sie ſchrieb auch einen kleinen Auszug ihres Verhaͤngniſſes, und ein Teſtament. Aber ſie erhohlte ſich wider ihr Wuͤnſchen; und als ſie wieder auf ſeyn konnte, ſetzte ſie ſich in die Kinderſtube meiner Emilia, und lehrte ihr kleines Pathgen leſen; dieſe Beſchaͤfftigung, und der Umgang mit meinem Schwager und meiner Schweſter, beruhigten ſie augenſcheinlich; ſo, daß
man
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[64/0070]
freute. Aber der Anblick junger Maͤdchen,
beſonders, die in einerley Alter mit ihr
zu ſeyn ſchienen, brachte ſie in ihre vorige
Traurigkeit, und ſie bat Gott mit gefal-
teten Haͤnden, daß er ja jede reine wohl-
denkende Seele ihres Geſchlechts, vor dem
Kummer bewahren moͤge, der ihr zaͤrtli-
ches Herz durchnage.
Unter dieſen Abwechslungen kamen wir
gluͤcklich in Vaels an. Mein Schwager und
meine Schweſter empfiengen uns mit allem
Troſt der tugendhaften Freundſchaft, und
ſuchten meine liebe Dame zu beruhigen;
aber am fuͤnften Tage wurde ſie krank,
und zwoͤlf Tage lang dachten wir nichts
anders, als daß ſie ſterben wuͤrde. Sie
ſchrieb auch einen kleinen Auszug ihres
Verhaͤngniſſes, und ein Teſtament. Aber
ſie erhohlte ſich wider ihr Wuͤnſchen; und
als ſie wieder auf ſeyn konnte, ſetzte ſie
ſich in die Kinderſtube meiner Emilia, und
lehrte ihr kleines Pathgen leſen; dieſe
Beſchaͤfftigung, und der Umgang mit
meinem Schwager und meiner Schweſter,
beruhigten ſie augenſcheinlich; ſo, daß
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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