die sie sonst bey dem Anblick einer schö- nen Gegend fühlten.
Sie schwieg einige Minuten, und be- trachtete den Himmel um uns her; dann sagte sie unter zärtlichen Weinen:
Es ist wahr, liebe Rosina, ich lebe, als ob mein Unglück alles Gute und Angenehme auf Erden verschlungen hätte; und dennoch liegt die Ursache meines Jammers weder in den Ge- schöpfen, noch in ihrem wohlthätigen Urheber. Warum bin ich von der vor- geschriebenen Bahn abgewichen? --
Sie fieng darauf eine Wiederholung ihres Lebens, und der merkwürdigsten Um- stände ihres Schicksals an. Jch suchte sie mit sich selbst, und den Beweggründen ihrer Handlungen, besonders mit den Ur- sachen ihrer heimlichen Heurath, und Flucht aus D., zufrieden zu stellen, und gewann doch so viel, daß sie bey dem An- blick der vollen Scheuren, und dem Ge- wühle der Herbstgeschäffte in den Dörfern die wir durchfuhren, vergnügt aussah, und sich über das Wohl der Landleute
freute.
die ſie ſonſt bey dem Anblick einer ſchoͤ- nen Gegend fuͤhlten.
Sie ſchwieg einige Minuten, und be- trachtete den Himmel um uns her; dann ſagte ſie unter zaͤrtlichen Weinen:
Es iſt wahr, liebe Roſina, ich lebe, als ob mein Ungluͤck alles Gute und Angenehme auf Erden verſchlungen haͤtte; und dennoch liegt die Urſache meines Jammers weder in den Ge- ſchoͤpfen, noch in ihrem wohlthaͤtigen Urheber. Warum bin ich von der vor- geſchriebenen Bahn abgewichen? —
Sie fieng darauf eine Wiederholung ihres Lebens, und der merkwuͤrdigſten Um- ſtaͤnde ihres Schickſals an. Jch ſuchte ſie mit ſich ſelbſt, und den Beweggruͤnden ihrer Handlungen, beſonders mit den Ur- ſachen ihrer heimlichen Heurath, und Flucht aus D., zufrieden zu ſtellen, und gewann doch ſo viel, daß ſie bey dem An- blick der vollen Scheuren, und dem Ge- wuͤhle der Herbſtgeſchaͤffte in den Doͤrfern die wir durchfuhren, vergnuͤgt ausſah, und ſich uͤber das Wohl der Landleute
freute.
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die ſie ſonſt bey dem Anblick einer ſchoͤ-
nen Gegend fuͤhlten.
Sie ſchwieg einige Minuten, und be-
trachtete den Himmel um uns her; dann
ſagte ſie unter zaͤrtlichen Weinen:
Es iſt wahr, liebe Roſina, ich lebe,
als ob mein Ungluͤck alles Gute und
Angenehme auf Erden verſchlungen
haͤtte; und dennoch liegt die Urſache
meines Jammers weder in den Ge-
ſchoͤpfen, noch in ihrem wohlthaͤtigen
Urheber. Warum bin ich von der vor-
geſchriebenen Bahn abgewichen? —
Sie fieng darauf eine Wiederholung
ihres Lebens, und der merkwuͤrdigſten Um-
ſtaͤnde ihres Schickſals an. Jch ſuchte
ſie mit ſich ſelbſt, und den Beweggruͤnden
ihrer Handlungen, beſonders mit den Ur-
ſachen ihrer heimlichen Heurath, und
Flucht aus D., zufrieden zu ſtellen, und
gewann doch ſo viel, daß ſie bey dem An-
blick der vollen Scheuren, und dem Ge-
wuͤhle der Herbſtgeſchaͤffte in den Doͤrfern
die wir durchfuhren, vergnuͤgt ausſah,
und ſich uͤber das Wohl der Landleute
freute.
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/69>, abgerufen am 16.02.2025.
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