[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.in Jhrem Hause verweilte ich mit Rüh- rung; denn nachdem mir das Verhäng- niß alles geraubt hatte, so war ich um so viel aufmerksamer auf den Zufluchtsort, den ich mir gewählt hatte, und auf die Aufnahme, die ich da fand. Zärtliches Mitleiden war in dem Gesichte meiner treuen Emilia, Ehrfurcht und Freund- schaft in dem von ihrem Manne gezeich- net; ich sah, daß sie mich unschuldig glaubten, und mein Herz bedauerten; Jch konnte sie als Zeugen meiner Unschuld und Tugend ansehen. O, wie erquickend war dieser Gedanke für meine gekränkte Seele! Meine Thränen des ersten Abends waren der Ausdruck des Danks für den Trost, den mich Gott in der treuen Freundschaft meiner Emilia hatte finden lassen. Der zweyte Morgen war hart durch die wiederhohlte Erzählung aller Umstände meiner jammervollen Geschichte. Die Betrachtungen und Vorstellungen ih- res Mannes trösteten mich, noch mehr aber meine Spaziergänge in ihrem Hause, der armen E 3
in Jhrem Hauſe verweilte ich mit Ruͤh- rung; denn nachdem mir das Verhaͤng- niß alles geraubt hatte, ſo war ich um ſo viel aufmerkſamer auf den Zufluchtsort, den ich mir gewaͤhlt hatte, und auf die Aufnahme, die ich da fand. Zaͤrtliches Mitleiden war in dem Geſichte meiner treuen Emilia, Ehrfurcht und Freund- ſchaft in dem von ihrem Manne gezeich- net; ich ſah, daß ſie mich unſchuldig glaubten, und mein Herz bedauerten; Jch konnte ſie als Zeugen meiner Unſchuld und Tugend anſehen. O, wie erquickend war dieſer Gedanke fuͤr meine gekraͤnkte Seele! Meine Thraͤnen des erſten Abends waren der Ausdruck des Danks fuͤr den Troſt, den mich Gott in der treuen Freundſchaft meiner Emilia hatte finden laſſen. Der zweyte Morgen war hart durch die wiederhohlte Erzaͤhlung aller Umſtaͤnde meiner jammervollen Geſchichte. Die Betrachtungen und Vorſtellungen ih- res Mannes troͤſteten mich, noch mehr aber meine Spaziergaͤnge in ihrem Hauſe, der armen E 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="69"/><fw place="top" type="header"><lb/></fw> Nur bey dem Zeitpuncte meiner Ankunft<lb/> in Jhrem Hauſe verweilte ich mit Ruͤh-<lb/> rung; denn nachdem mir das Verhaͤng-<lb/> niß alles geraubt hatte, ſo war ich um<lb/> ſo viel aufmerkſamer auf den Zufluchtsort,<lb/> den ich mir gewaͤhlt hatte, und auf die<lb/> Aufnahme, die ich da fand. Zaͤrtliches<lb/> Mitleiden war in dem Geſichte meiner<lb/> treuen Emilia, Ehrfurcht und Freund-<lb/> ſchaft in dem von ihrem Manne gezeich-<lb/> net; ich ſah, daß ſie mich unſchuldig<lb/> glaubten, und mein Herz bedauerten;<lb/> Jch konnte ſie als Zeugen meiner Unſchuld<lb/> und Tugend anſehen. O, wie erquickend<lb/> war dieſer Gedanke fuͤr meine gekraͤnkte<lb/> Seele! Meine Thraͤnen des erſten Abends<lb/> waren der Ausdruck des Danks fuͤr den<lb/> Troſt, den mich Gott in der treuen<lb/> Freundſchaft meiner Emilia hatte finden<lb/> laſſen. Der zweyte Morgen war hart<lb/> durch die wiederhohlte Erzaͤhlung aller<lb/> Umſtaͤnde meiner jammervollen Geſchichte.<lb/> Die Betrachtungen und Vorſtellungen ih-<lb/> res Mannes troͤſteten mich, noch mehr aber<lb/> meine Spaziergaͤnge in ihrem Hauſe, der<lb/> <fw place="bottom" type="sig">E 3</fw><fw place="bottom" type="catch">armen</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0075]
Nur bey dem Zeitpuncte meiner Ankunft
in Jhrem Hauſe verweilte ich mit Ruͤh-
rung; denn nachdem mir das Verhaͤng-
niß alles geraubt hatte, ſo war ich um
ſo viel aufmerkſamer auf den Zufluchtsort,
den ich mir gewaͤhlt hatte, und auf die
Aufnahme, die ich da fand. Zaͤrtliches
Mitleiden war in dem Geſichte meiner
treuen Emilia, Ehrfurcht und Freund-
ſchaft in dem von ihrem Manne gezeich-
net; ich ſah, daß ſie mich unſchuldig
glaubten, und mein Herz bedauerten;
Jch konnte ſie als Zeugen meiner Unſchuld
und Tugend anſehen. O, wie erquickend
war dieſer Gedanke fuͤr meine gekraͤnkte
Seele! Meine Thraͤnen des erſten Abends
waren der Ausdruck des Danks fuͤr den
Troſt, den mich Gott in der treuen
Freundſchaft meiner Emilia hatte finden
laſſen. Der zweyte Morgen war hart
durch die wiederhohlte Erzaͤhlung aller
Umſtaͤnde meiner jammervollen Geſchichte.
Die Betrachtungen und Vorſtellungen ih-
res Mannes troͤſteten mich, noch mehr aber
meine Spaziergaͤnge in ihrem Hauſe, der
armen
E 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |