[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.und der Gedanke des Vorraths von Nah- rung, den sie gegeben, mischet unter den Schauer des anfangenden Nordwindes ein warmes Gefühl von Freude. Die Blätter der Obstbäume sind abgefal- len, die Wiesen verwelkt, trübe Wolken gießen Regen aus; die Erde wird locker, und zu Spaziergängen unbrauchbar; das gedankenlose Geschöpf murret darüber; aber die nachdenkende Seele sieht die er- weichende Oberfläche unsers Wohnplatzes mit Rührung an. Dürre Blätter und gelbes Gras werden durch Herbstregen zu einer Nahrung der Fruchtbarkeit unsrer Erde bereitet; diese Betrachtung läßt uns gewiß nicht ohne eine frohe Empfindung über die Vorsorge unsers Schöpfers, und giebt uns eine Aussicht auf den nachkom- menden Frühling. Mitten unter dem Verlust aller äußerlichen Annehmlichkei- ten, ja selbst dem Widerwillen ihrer ge- nährten und ergötzten Kinder ausgesetzt, fängt unsere mütterliche Erde an, in ih- rem Jnnern für das künftige Wohl dersel- ben
und der Gedanke des Vorraths von Nah- rung, den ſie gegeben, miſchet unter den Schauer des anfangenden Nordwindes ein warmes Gefuͤhl von Freude. Die Blaͤtter der Obſtbaͤume ſind abgefal- len, die Wieſen verwelkt, truͤbe Wolken gießen Regen aus; die Erde wird locker, und zu Spaziergaͤngen unbrauchbar; das gedankenloſe Geſchoͤpf murret daruͤber; aber die nachdenkende Seele ſieht die er- weichende Oberflaͤche unſers Wohnplatzes mit Ruͤhrung an. Duͤrre Blaͤtter und gelbes Gras werden durch Herbſtregen zu einer Nahrung der Fruchtbarkeit unſrer Erde bereitet; dieſe Betrachtung laͤßt uns gewiß nicht ohne eine frohe Empfindung uͤber die Vorſorge unſers Schoͤpfers, und giebt uns eine Ausſicht auf den nachkom- menden Fruͤhling. Mitten unter dem Verluſt aller aͤußerlichen Annehmlichkei- ten, ja ſelbſt dem Widerwillen ihrer ge- naͤhrten und ergoͤtzten Kinder ausgeſetzt, faͤngt unſere muͤtterliche Erde an, in ih- rem Jnnern fuͤr das kuͤnftige Wohl derſel- ben
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garten, die Obſtbaͤume ſtehen beraubt da,
und der Gedanke des Vorraths von Nah-
rung, den ſie gegeben, miſchet unter den
Schauer des anfangenden Nordwindes
ein warmes Gefuͤhl von Freude. Die
Blaͤtter der Obſtbaͤume ſind abgefal-
len, die Wieſen verwelkt, truͤbe Wolken
gießen Regen aus; die Erde wird locker,
und zu Spaziergaͤngen unbrauchbar; das
gedankenloſe Geſchoͤpf murret daruͤber;
aber die nachdenkende Seele ſieht die er-
weichende Oberflaͤche unſers Wohnplatzes
mit Ruͤhrung an. Duͤrre Blaͤtter und
gelbes Gras werden durch Herbſtregen zu
einer Nahrung der Fruchtbarkeit unſrer
Erde bereitet; dieſe Betrachtung laͤßt uns
gewiß nicht ohne eine frohe Empfindung
uͤber die Vorſorge unſers Schoͤpfers, und
giebt uns eine Ausſicht auf den nachkom-
menden Fruͤhling. Mitten unter dem
Verluſt aller aͤußerlichen Annehmlichkei-
ten, ja ſelbſt dem Widerwillen ihrer ge-
naͤhrten und ergoͤtzten Kinder ausgeſetzt,
faͤngt unſere muͤtterliche Erde an, in ih-
rem Jnnern fuͤr das kuͤnftige Wohl derſel-
ben
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