Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

indirecten Steuern sind, unter welchen diese Zölle auf Gegenstände
des Bedürfnisses eine so bedeutende Rolle spielen, und ich habe
Jhnen gesagt, daß ich die Liste der Zeugnisse hierfür nicht weiter
vermehren will. Aber die 9. Maßregel, die daselbst von dem
Congresse beschlossen wird, lautet: Propagation des doctrines
d'economie politique propres a dissiper les prejuges et a demon-
trer la necessite de la liberte du commerce des grains et des
denrees en general, publications familieres destinees a eclairer
les populations etc.
"

"Verbreitung der Lehren der Nationalökonomie, die geeig-
net sind, die Vorurtheile zu beseitigen und die Nothwendigkeit
der Freiheit des Handels mit Getreide und Lebensbedürfnissen
im Allgemeinen aufzuzeigen, vertrauliche Publicationen bestimmt
die Bevölkerungen aufzuklären."

Aber jener Congreß von Gelehrten aller Nationen hatte
seine Rechnung ohne die preußische Staatsanwaltschaft gemacht.

Jch verbreite solche Doctrinen, ich schreite zu solchen ver-
traulichen Publicationen an die Bevölkerung, wie sie der inter-
nationale Wohlthätigkeitscongreß beschließt -- und ich werde
verfolgt und verurtheilt, weil ich diese Lehren den Arbeitern
vorgetragen habe!

Meine Antwort in jure wird wo möglich noch eindring-
licher sein:

Jch habe bereits darauf aufmerksam gemacht, daß der §. 100
des St.-G.-B. nur das Kriterium des öffentlichen Orts kennt
und somit nicht gestattet, was überhaupt an einem öffentlichen Ort
zu sagen erlaubt ist, an einem andern für unerlaubt zu erklären.

Eben so sagt der Art. 4 der Verfassung, alle Preußen sind
gleich. Sie müssen also auch gleich sein vor den Motiven des
Strafrichters, gleich vor den Lehren der Wissenschaft, die man
an sie bringen darf. Es giebt bei uns keine Kastenunterschei-
dungen, nach welchen es verboten wäre, in der einen Kaste Er-
kenntnisse zu verbreiten, die in der andern frei cursiren dürfen!

Wie? Der Art. 20 der Verfassung sagt: "Die Wissenschaft
und ihre Lehre ist frei" -- und Sie wollten. den Arbeiterstand
von ihr ausschließen?

Aber zu noch viel ernsthafteren Erwägungen giebt das
Urtheil Anlaß, über das ich mich beschwere. Es bildet, wie ich
selbst kurz ausführen werde, einen schweren Verstoß gegen unser
gesammtes öffentliches Recht, einen Verstoß, der, wenn heute die

indirecten Steuern ſind, unter welchen dieſe Zölle auf Gegenſtände
des Bedürfniſſes eine ſo bedeutende Rolle ſpielen, und ich habe
Jhnen geſagt, daß ich die Liſte der Zeugniſſe hierfür nicht weiter
vermehren will. Aber die 9. Maßregel, die daſelbſt von dem
Congreſſe beſchloſſen wird, lautet: Propagation des doctrines
d’économie politique propres à dissiper les préjugés et à démon-
trer la nécessité de la liberté du commerce des grains et des
denrées en général, publications familières destinées à éclairer
les populations etc.

„Verbreitung der Lehren der Nationalökonomie, die geeig-
net ſind, die Vorurtheile zu beſeitigen und die Nothwendigkeit
der Freiheit des Handels mit Getreide und Lebensbedürfniſſen
im Allgemeinen aufzuzeigen, vertrauliche Publicationen beſtimmt
die Bevölkerungen aufzuklären.“

Aber jener Congreß von Gelehrten aller Nationen hatte
ſeine Rechnung ohne die preußiſche Staatsanwaltſchaft gemacht.

Jch verbreite ſolche Doctrinen, ich ſchreite zu ſolchen ver-
traulichen Publicationen an die Bevölkerung, wie ſie der inter-
nationale Wohlthätigkeitscongreß beſchließt — und ich werde
verfolgt und verurtheilt, weil ich dieſe Lehren den Arbeitern
vorgetragen habe!

Meine Antwort in jure wird wo möglich noch eindring-
licher ſein:

Jch habe bereits darauf aufmerkſam gemacht, daß der §. 100
des St.-G.-B. nur das Kriterium des öffentlichen Orts kennt
und ſomit nicht geſtattet, was überhaupt an einem öffentlichen Ort
zu ſagen erlaubt iſt, an einem andern für unerlaubt zu erklären.

Eben ſo ſagt der Art. 4 der Verfaſſung, alle Preußen ſind
gleich. Sie müſſen alſo auch gleich ſein vor den Motiven des
Strafrichters, gleich vor den Lehren der Wiſſenſchaft, die man
an ſie bringen darf. Es giebt bei uns keine Kaſtenunterſchei-
dungen, nach welchen es verboten wäre, in der einen Kaſte Er-
kenntniſſe zu verbreiten, die in der andern frei curſiren dürfen!

Wie? Der Art. 20 der Verfaſſung ſagt: „Die Wiſſenſchaft
und ihre Lehre iſt frei“ — und Sie wollten. den Arbeiterſtand
von ihr ausſchließen?

Aber zu noch viel ernſthafteren Erwägungen giebt das
Urtheil Anlaß, über das ich mich beſchwere. Es bildet, wie ich
ſelbſt kurz ausführen werde, einen ſchweren Verſtoß gegen unſer
geſammtes öffentliches Recht, einen Verſtoß, der, wenn heute die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <p><pb facs="#f0128" n="122"/>
indirecten Steuern &#x017F;ind, unter welchen die&#x017F;e Zölle auf Gegen&#x017F;tände<lb/>
des Bedürfni&#x017F;&#x017F;es eine &#x017F;o bedeutende Rolle &#x017F;pielen, und ich habe<lb/>
Jhnen ge&#x017F;agt, daß ich die Li&#x017F;te der Zeugni&#x017F;&#x017F;e hierfür nicht weiter<lb/>
vermehren will. Aber die 9. Maßregel, die da&#x017F;elb&#x017F;t von dem<lb/>
Congre&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wird, lautet: <hi rendition="#aq">Propagation des doctrines<lb/>
d&#x2019;économie politique propres à dissiper les préjugés et à démon-<lb/>
trer la nécessité de la liberté du commerce des grains et des<lb/>
denrées en général, publications familières destinées à éclairer<lb/>
les populations etc.</hi>&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Verbreitung der Lehren der Nationalökonomie, die geeig-<lb/>
net &#x017F;ind, die Vorurtheile zu be&#x017F;eitigen und die Nothwendigkeit<lb/>
der Freiheit des Handels mit Getreide und Lebensbedürfni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
im Allgemeinen aufzuzeigen, vertrauliche Publicationen be&#x017F;timmt<lb/>
die Bevölkerungen aufzuklären.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Aber jener Congreß von Gelehrten aller Nationen hatte<lb/>
&#x017F;eine Rechnung ohne die preußi&#x017F;che Staatsanwalt&#x017F;chaft gemacht.</p><lb/>
              <p>Jch verbreite &#x017F;olche Doctrinen, ich &#x017F;chreite zu &#x017F;olchen ver-<lb/>
traulichen Publicationen an die Bevölkerung, wie &#x017F;ie der inter-<lb/>
nationale Wohlthätigkeitscongreß be&#x017F;chließt &#x2014; und ich werde<lb/>
verfolgt und verurtheilt, weil ich die&#x017F;e Lehren den <hi rendition="#g">Arbeitern</hi><lb/>
vorgetragen habe!</p><lb/>
              <p>Meine Antwort <hi rendition="#aq">in jure</hi> wird wo möglich noch eindring-<lb/>
licher &#x017F;ein:</p><lb/>
              <p>Jch habe bereits darauf aufmerk&#x017F;am gemacht, daß der §. 100<lb/>
des St.-G.-B. nur das Kriterium des <hi rendition="#g">öffentlichen Orts</hi> kennt<lb/>
und &#x017F;omit nicht ge&#x017F;tattet, was überhaupt an einem öffentlichen Ort<lb/>
zu &#x017F;agen erlaubt i&#x017F;t, an einem andern für unerlaubt zu erklären.</p><lb/>
              <p>Eben &#x017F;o &#x017F;agt der Art. 4 der Verfa&#x017F;&#x017F;ung, alle Preußen &#x017F;ind<lb/><hi rendition="#g">gleich.</hi> Sie mü&#x017F;&#x017F;en al&#x017F;o auch gleich &#x017F;ein vor den Motiven des<lb/>
Strafrichters, gleich vor den Lehren der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, die man<lb/>
an &#x017F;ie bringen darf. Es giebt bei uns keine Ka&#x017F;tenunter&#x017F;chei-<lb/>
dungen, nach welchen es verboten wäre, in der einen Ka&#x017F;te Er-<lb/>
kenntni&#x017F;&#x017F;e zu verbreiten, die in der andern frei cur&#x017F;iren dürfen!</p><lb/>
              <p>Wie? Der Art. 20 der Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;agt: &#x201E;Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
und ihre Lehre <hi rendition="#g">i&#x017F;t frei</hi>&#x201C; &#x2014; und Sie wollten. den Arbeiter&#x017F;tand<lb/>
von ihr aus&#x017F;chließen?</p><lb/>
              <p>Aber zu noch viel ern&#x017F;thafteren Erwägungen giebt das<lb/>
Urtheil Anlaß, über das ich mich be&#x017F;chwere. Es bildet, wie ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t kurz ausführen werde, einen &#x017F;chweren Ver&#x017F;toß gegen un&#x017F;er<lb/>
ge&#x017F;ammtes öffentliches Recht, einen Ver&#x017F;toß, der, wenn heute die<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0128] indirecten Steuern ſind, unter welchen dieſe Zölle auf Gegenſtände des Bedürfniſſes eine ſo bedeutende Rolle ſpielen, und ich habe Jhnen geſagt, daß ich die Liſte der Zeugniſſe hierfür nicht weiter vermehren will. Aber die 9. Maßregel, die daſelbſt von dem Congreſſe beſchloſſen wird, lautet: Propagation des doctrines d’économie politique propres à dissiper les préjugés et à démon- trer la nécessité de la liberté du commerce des grains et des denrées en général, publications familières destinées à éclairer les populations etc.“ „Verbreitung der Lehren der Nationalökonomie, die geeig- net ſind, die Vorurtheile zu beſeitigen und die Nothwendigkeit der Freiheit des Handels mit Getreide und Lebensbedürfniſſen im Allgemeinen aufzuzeigen, vertrauliche Publicationen beſtimmt die Bevölkerungen aufzuklären.“ Aber jener Congreß von Gelehrten aller Nationen hatte ſeine Rechnung ohne die preußiſche Staatsanwaltſchaft gemacht. Jch verbreite ſolche Doctrinen, ich ſchreite zu ſolchen ver- traulichen Publicationen an die Bevölkerung, wie ſie der inter- nationale Wohlthätigkeitscongreß beſchließt — und ich werde verfolgt und verurtheilt, weil ich dieſe Lehren den Arbeitern vorgetragen habe! Meine Antwort in jure wird wo möglich noch eindring- licher ſein: Jch habe bereits darauf aufmerkſam gemacht, daß der §. 100 des St.-G.-B. nur das Kriterium des öffentlichen Orts kennt und ſomit nicht geſtattet, was überhaupt an einem öffentlichen Ort zu ſagen erlaubt iſt, an einem andern für unerlaubt zu erklären. Eben ſo ſagt der Art. 4 der Verfaſſung, alle Preußen ſind gleich. Sie müſſen alſo auch gleich ſein vor den Motiven des Strafrichters, gleich vor den Lehren der Wiſſenſchaft, die man an ſie bringen darf. Es giebt bei uns keine Kaſtenunterſchei- dungen, nach welchen es verboten wäre, in der einen Kaſte Er- kenntniſſe zu verbreiten, die in der andern frei curſiren dürfen! Wie? Der Art. 20 der Verfaſſung ſagt: „Die Wiſſenſchaft und ihre Lehre iſt frei“ — und Sie wollten. den Arbeiterſtand von ihr ausſchließen? Aber zu noch viel ernſthafteren Erwägungen giebt das Urtheil Anlaß, über das ich mich beſchwere. Es bildet, wie ich ſelbſt kurz ausführen werde, einen ſchweren Verſtoß gegen unſer geſammtes öffentliches Recht, einen Verſtoß, der, wenn heute die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/128
Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/128>, abgerufen am 04.12.2024.