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Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

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Steuern sage, Beweise enthalte, die nicht "wissenschaftlich logisch"
seien. (Stenogr. Bericht p. 51.)

Jn dem mir ausgefertigten Urtheil ist allerdings auffälliger
Weise dieser Widerspruch gegen die Wahrheit dessen, was
ich über die indirecten Steuern sage, völlig zurückgenommen.
Es steht hier kein Wort mehr, in welchem diese meine Lehre
als unwahr oder auch nur ungenau bezeichnet wird.

An und für sich, meine Herren, hat nun schon, wie Sie be-
greifen werden, das publicirte Urtheil eine größere Wichtigkeit
für mich als das ausgefertigte Urtheil; denn das in der
Sitzung sofort publicirte
Urtheil zeigt mir die wirk-
lichen, psychologischen Gründe,
aus denen ich ver-
urtheilt wurde. Das ausgefertigte Urtheil zeigt mir nur die
Gründe, mit welchen diese Verurtheilung hinterher ver-
theidigt
wird! Aber selbst abgesehen hiervon: auch in dem
ausgefertigten Urtheil ist meine Ausführung über die indirecte
Steuer, und obgleich jeder Einspruch gegen die Wahrheit der-
selben hier fehlt, als das überall wiederkehrende, wahrhafte
Fundament der Verurtheilung, als das, wodurch zu Haß
und Verachtung angereizt worden sein soll, stehen geblieben!

Es läßt sich also nur annehmen, daß das Urtheil seinen
Widerspruch gegen die Wahrheit meiner Ausführung nur äußer-
lich
zurückgezogen hat, innerlich aber nach wie vor an ihm
festhält.

Denn von zwei Dingen Eins. Jst meine Lehre über die
indirecten Steuern wissenschaftlich wahr -- so wird sie
auch nicht strafrechtlich angreifbar sein. Jst sie wissenschaftlich
wahr, so ist und bleibt sie durch den Art. 20 der Verfassung ge-
deckt: "Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei." Jst sie wahr,
so bleibt sie selbst abgesehen von diesem Artikel vollkommen un-
angreifbar, denn wir leben nicht in einer Zeit, in welcher man
die Finanzstatistik und Nationalökonomie, gleichviel wo und
wann sie gepredigt würden, für ein Verbrechen erklären kann.

Das hat selbst der Staatsanwalt in erster Jnstanz aner-
kannt. Denn sein ganzer Angriff beruhte darauf, daß diese meine
Lehre nach ihm "unwahre Thatsachen", daß sie ein
"Sophisma" enthalte.

Ein Anderer würde Jhnen vielleicht sagen: selbst wenn
diese Lehre irrig wäre, so bleibt sie immer noch eine wissenschaft-
liche irrige Lehre. Seit wann wäre ein wissenschaftlicher Jrr-

Steuern ſage, Beweiſe enthalte, die nicht „wiſſenſchaftlich logiſch“
ſeien. (Stenogr. Bericht p. 51.)

Jn dem mir ausgefertigten Urtheil iſt allerdings auffälliger
Weiſe dieſer Widerſpruch gegen die Wahrheit deſſen, was
ich über die indirecten Steuern ſage, völlig zurückgenommen.
Es ſteht hier kein Wort mehr, in welchem dieſe meine Lehre
als unwahr oder auch nur ungenau bezeichnet wird.

An und für ſich, meine Herren, hat nun ſchon, wie Sie be-
greifen werden, das publicirte Urtheil eine größere Wichtigkeit
für mich als das ausgefertigte Urtheil; denn das in der
Sitzung ſofort publicirte
Urtheil zeigt mir die wirk-
lichen, pſychologiſchen Gründe,
aus denen ich ver-
urtheilt wurde. Das ausgefertigte Urtheil zeigt mir nur die
Gründe, mit welchen dieſe Verurtheilung hinterher ver-
theidigt
wird! Aber ſelbſt abgeſehen hiervon: auch in dem
ausgefertigten Urtheil iſt meine Ausführung über die indirecte
Steuer, und obgleich jeder Einſpruch gegen die Wahrheit der-
ſelben hier fehlt, als das überall wiederkehrende, wahrhafte
Fundament der Verurtheilung, als das, wodurch zu Haß
und Verachtung angereizt worden ſein ſoll, ſtehen geblieben!

Es läßt ſich alſo nur annehmen, daß das Urtheil ſeinen
Widerſpruch gegen die Wahrheit meiner Ausführung nur äußer-
lich
zurückgezogen hat, innerlich aber nach wie vor an ihm
feſthält.

Denn von zwei Dingen Eins. Jſt meine Lehre über die
indirecten Steuern wiſſenſchaftlich wahr — ſo wird ſie
auch nicht ſtrafrechtlich angreifbar ſein. Jſt ſie wiſſenſchaftlich
wahr, ſo iſt und bleibt ſie durch den Art. 20 der Verfaſſung ge-
deckt: „Die Wiſſenſchaft und ihre Lehre iſt frei.“ Jſt ſie wahr,
ſo bleibt ſie ſelbſt abgeſehen von dieſem Artikel vollkommen un-
angreifbar, denn wir leben nicht in einer Zeit, in welcher man
die Finanzſtatiſtik und Nationalökonomie, gleichviel wo und
wann ſie gepredigt würden, für ein Verbrechen erklären kann.

Das hat ſelbſt der Staatsanwalt in erſter Jnſtanz aner-
kannt. Denn ſein ganzer Angriff beruhte darauf, daß dieſe meine
Lehre nach ihm „unwahre Thatſachen“, daß ſie ein
„Sophisma“ enthalte.

Ein Anderer würde Jhnen vielleicht ſagen: ſelbſt wenn
dieſe Lehre irrig wäre, ſo bleibt ſie immer noch eine wiſſenſchaft-
liche irrige Lehre. Seit wann wäre ein wiſſenſchaftlicher Jrr-

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[12/0018] Steuern ſage, Beweiſe enthalte, die nicht „wiſſenſchaftlich logiſch“ ſeien. (Stenogr. Bericht p. 51.) Jn dem mir ausgefertigten Urtheil iſt allerdings auffälliger Weiſe dieſer Widerſpruch gegen die Wahrheit deſſen, was ich über die indirecten Steuern ſage, völlig zurückgenommen. Es ſteht hier kein Wort mehr, in welchem dieſe meine Lehre als unwahr oder auch nur ungenau bezeichnet wird. An und für ſich, meine Herren, hat nun ſchon, wie Sie be- greifen werden, das publicirte Urtheil eine größere Wichtigkeit für mich als das ausgefertigte Urtheil; denn das in der Sitzung ſofort publicirte Urtheil zeigt mir die wirk- lichen, pſychologiſchen Gründe, aus denen ich ver- urtheilt wurde. Das ausgefertigte Urtheil zeigt mir nur die Gründe, mit welchen dieſe Verurtheilung hinterher ver- theidigt wird! Aber ſelbſt abgeſehen hiervon: auch in dem ausgefertigten Urtheil iſt meine Ausführung über die indirecte Steuer, und obgleich jeder Einſpruch gegen die Wahrheit der- ſelben hier fehlt, als das überall wiederkehrende, wahrhafte Fundament der Verurtheilung, als das, wodurch zu Haß und Verachtung angereizt worden ſein ſoll, ſtehen geblieben! Es läßt ſich alſo nur annehmen, daß das Urtheil ſeinen Widerſpruch gegen die Wahrheit meiner Ausführung nur äußer- lich zurückgezogen hat, innerlich aber nach wie vor an ihm feſthält. Denn von zwei Dingen Eins. Jſt meine Lehre über die indirecten Steuern wiſſenſchaftlich wahr — ſo wird ſie auch nicht ſtrafrechtlich angreifbar ſein. Jſt ſie wiſſenſchaftlich wahr, ſo iſt und bleibt ſie durch den Art. 20 der Verfaſſung ge- deckt: „Die Wiſſenſchaft und ihre Lehre iſt frei.“ Jſt ſie wahr, ſo bleibt ſie ſelbſt abgeſehen von dieſem Artikel vollkommen un- angreifbar, denn wir leben nicht in einer Zeit, in welcher man die Finanzſtatiſtik und Nationalökonomie, gleichviel wo und wann ſie gepredigt würden, für ein Verbrechen erklären kann. Das hat ſelbſt der Staatsanwalt in erſter Jnſtanz aner- kannt. Denn ſein ganzer Angriff beruhte darauf, daß dieſe meine Lehre nach ihm „unwahre Thatſachen“, daß ſie ein „Sophisma“ enthalte. Ein Anderer würde Jhnen vielleicht ſagen: ſelbſt wenn dieſe Lehre irrig wäre, ſo bleibt ſie immer noch eine wiſſenſchaft- liche irrige Lehre. Seit wann wäre ein wiſſenſchaftlicher Jrr-

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Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/18>, abgerufen am 28.04.2024.