Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Weinstuben füllen, vermöge ihrer Ubiquität den Schein einer
Wunder wie großen Anzahl erregen, nur an sich denken, nur
von sich sprechen, die sich dünken die Welt zu sein, und, indem
sie allein über alle Zeitungen und alle Fabrikanstalten der
öffentlichen Meinung disponiren, wahrhaftig sogar alle An-
dern dahin bringen, es zu glauben und sich einreden zu
lassen, daß sie, diese 11,000 oder diese 44,000, die Welt
sind!

Und unter dieser winzigen Handvoll Leute, die sich allein
regt, allein bewegt, allein spricht, schreibt, perorirt, nur
ihre eigenen Jnteressen kennt und versicht und sich so sehr ein-
redet Alles zu sein, daß sie sich wahrhaftig sogar noch einredet,
sie sei es, welche die Steuern aufbringe, -- unter dieser Hand-
voll Menschen windet sich in stummer unaussprechlicher Qual,
in wimmelnder Zahl das unbemittelte Volk, die 17 Millionen,
producirt Alles, was uns das Leben verschönt, macht uns die
unerläßliche Bedingung aller Gesittung, die Existenz des
Staates möglich, schlägt seine Schlachten, zahlt seine Steuern
-- und hat Niemand, der an es dächte und es verträte!

Und der Staatsanwalt glaubt wirklich, daß die Bemittel-
ten, jene 44,000 Menschen, die über 1000 Thaler Einkommen
haben, die indirecten Steuern aufbringen?

Stellen wir ein einfaches Rechenexempel an.

Wenn der Staat die 96 Millionen Thaler, die er in dem
Budget von 1855, das ich in meinem Vortrag betrachtet habe,
durch directe und indirecte Steuern zusammengenommen erhebt,
von den Bemittelten durch die indirecte Steuer aufbringen
wollte, so würde zuvörderst jeder dieser 44,400 Bemittelten
durchschnittlich 2186 Thlr. jährlich zur Steuer beizutragen
haben,
während, wie Sie sahen, 14,428 Personen von jenen
44,400 überhaupt nicht mehr als 1000--1200 Thaler Ein-
kommen und andere 17,575 überhaupt nicht mehr als
2000 Thaler Einkommen haben, und wenn Sie das einge-
schätzte Einkommen aller zur classificirten Einkommensteuer
Herangezogenen zusammenaddiren und durch die Anzahl dieser
Steuerpflichtigen dividiren, jeder derselben überhaupt nur durch-
schnittlich 2357 Thaler Einkommen hat.

Zweitens aber: damit durchschnittlich jeder dieser 44,400
Bemittelten jährlich 2186 Thaler zur indirecten Steuer bei-
trage -- wie groß müßte da wohl die jährlich von ihm und

Weinſtuben füllen, vermöge ihrer Ubiquität den Schein einer
Wunder wie großen Anzahl erregen, nur an ſich denken, nur
von ſich ſprechen, die ſich dünken die Welt zu ſein, und, indem
ſie allein über alle Zeitungen und alle Fabrikanſtalten der
öffentlichen Meinung disponiren, wahrhaftig ſogar alle An-
dern dahin bringen, es zu glauben und ſich einreden zu
laſſen, daß ſie, dieſe 11,000 oder dieſe 44,000, die Welt
ſind!

Und unter dieſer winzigen Handvoll Leute, die ſich allein
regt, allein bewegt, allein ſpricht, ſchreibt, perorirt, nur
ihre eigenen Jntereſſen kennt und verſicht und ſich ſo ſehr ein-
redet Alles zu ſein, daß ſie ſich wahrhaftig ſogar noch einredet,
ſie ſei es, welche die Steuern aufbringe, — unter dieſer Hand-
voll Menſchen windet ſich in ſtummer unausſprechlicher Qual,
in wimmelnder Zahl das unbemittelte Volk, die 17 Millionen,
producirt Alles, was uns das Leben verſchönt, macht uns die
unerläßliche Bedingung aller Geſittung, die Exiſtenz des
Staates möglich, ſchlägt ſeine Schlachten, zahlt ſeine Steuern
— und hat Niemand, der an es dächte und es verträte!

Und der Staatsanwalt glaubt wirklich, daß die Bemittel-
ten, jene 44,000 Menſchen, die über 1000 Thaler Einkommen
haben, die indirecten Steuern aufbringen?

Stellen wir ein einfaches Rechenexempel an.

Wenn der Staat die 96 Millionen Thaler, die er in dem
Budget von 1855, das ich in meinem Vortrag betrachtet habe,
durch directe und indirecte Steuern zuſammengenommen erhebt,
von den Bemittelten durch die indirecte Steuer aufbringen
wollte, ſo würde zuvörderſt jeder dieſer 44,400 Bemittelten
durchſchnittlich 2186 Thlr. jährlich zur Steuer beizutragen
haben,
während, wie Sie ſahen, 14,428 Perſonen von jenen
44,400 überhaupt nicht mehr als 1000—1200 Thaler Ein-
kommen und andere 17,575 überhaupt nicht mehr als
2000 Thaler Einkommen haben, und wenn Sie das einge-
ſchätzte Einkommen aller zur claſſificirten Einkommenſteuer
Herangezogenen zuſammenaddiren und durch die Anzahl dieſer
Steuerpflichtigen dividiren, jeder derſelben überhaupt nur durch-
ſchnittlich 2357 Thaler Einkommen hat.

Zweitens aber: damit durchſchnittlich jeder dieſer 44,400
Bemittelten jährlich 2186 Thaler zur indirecten Steuer bei-
trage — wie groß müßte da wohl die jährlich von ihm und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0063" n="57"/>
Wein&#x017F;tuben füllen, vermöge ihrer Ubiquität den Schein einer<lb/>
Wunder wie großen Anzahl erregen, nur an <hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi> denken, nur<lb/>
von <hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi> &#x017F;prechen, die &#x017F;ich dünken die Welt zu &#x017F;ein, und, indem<lb/>
&#x017F;ie allein über alle Zeitungen und alle Fabrikan&#x017F;talten der<lb/>
öffentlichen Meinung disponiren, wahrhaftig &#x017F;ogar alle An-<lb/>
dern dahin bringen, es zu glauben und &#x017F;ich einreden zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie, die&#x017F;e 11,000 oder die&#x017F;e 44,000, <hi rendition="#g">die Welt<lb/>
&#x017F;ind!</hi></p><lb/>
        <p>Und unter die&#x017F;er winzigen Handvoll Leute, die &#x017F;ich allein<lb/>
regt, allein bewegt, allein &#x017F;pricht, &#x017F;chreibt, perorirt, nur<lb/>
ihre eigenen Jntere&#x017F;&#x017F;en kennt und ver&#x017F;icht und &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ehr ein-<lb/>
redet Alles zu &#x017F;ein, daß &#x017F;ie &#x017F;ich wahrhaftig &#x017F;ogar noch einredet,<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> &#x017F;ei es, welche die Steuern aufbringe, &#x2014; unter die&#x017F;er Hand-<lb/>
voll Men&#x017F;chen windet &#x017F;ich in &#x017F;tummer unaus&#x017F;prechlicher Qual,<lb/>
in wimmelnder Zahl das unbemittelte Volk, die 17 Millionen,<lb/>
producirt Alles, was uns das Leben ver&#x017F;chönt, macht uns die<lb/>
unerläßliche Bedingung aller Ge&#x017F;ittung, die Exi&#x017F;tenz des<lb/><hi rendition="#g">Staates</hi> möglich, &#x017F;chlägt &#x017F;eine Schlachten, zahlt &#x017F;eine Steuern<lb/>
&#x2014; und hat Niemand, der an es dächte und es verträte!</p><lb/>
        <p>Und der Staatsanwalt glaubt wirklich, daß die Bemittel-<lb/>
ten, jene 44,000 Men&#x017F;chen, die über 1000 Thaler Einkommen<lb/>
haben, die indirecten Steuern aufbringen?</p><lb/>
        <p>Stellen wir ein einfaches Rechenexempel an.</p><lb/>
        <p>Wenn der Staat die 96 Millionen Thaler, die er in dem<lb/>
Budget von 1855, das ich in meinem Vortrag betrachtet habe,<lb/>
durch directe und indirecte Steuern zu&#x017F;ammengenommen erhebt,<lb/>
von den Bemittelten durch die indirecte Steuer aufbringen<lb/>
wollte, &#x017F;o würde zuvörder&#x017F;t jeder die&#x017F;er 44,400 Bemittelten<lb/>
durch&#x017F;chnittlich 2186 Thlr. jährlich <hi rendition="#g">zur Steuer beizutragen<lb/>
haben,</hi> während, wie Sie &#x017F;ahen, 14,428 Per&#x017F;onen von jenen<lb/>
44,400 überhaupt nicht mehr als 1000&#x2014;1200 Thaler Ein-<lb/>
kommen und andere 17,575 überhaupt nicht mehr als<lb/>
2000 Thaler <hi rendition="#g">Einkommen</hi> haben, und wenn Sie das einge-<lb/>
&#x017F;chätzte Einkommen <hi rendition="#g">aller</hi> zur cla&#x017F;&#x017F;ificirten Einkommen&#x017F;teuer<lb/>
Herangezogenen zu&#x017F;ammenaddiren und durch die Anzahl die&#x017F;er<lb/>
Steuerpflichtigen dividiren, jeder der&#x017F;elben überhaupt nur durch-<lb/>
&#x017F;chnittlich 2357 Thaler Einkommen hat.</p><lb/>
        <p>Zweitens aber: damit durch&#x017F;chnittlich jeder die&#x017F;er 44,400<lb/>
Bemittelten jährlich 2186 Thaler zur indirecten <hi rendition="#g">Steuer</hi> bei-<lb/>
trage &#x2014; wie groß müßte da wohl die jährlich von ihm und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0063] Weinſtuben füllen, vermöge ihrer Ubiquität den Schein einer Wunder wie großen Anzahl erregen, nur an ſich denken, nur von ſich ſprechen, die ſich dünken die Welt zu ſein, und, indem ſie allein über alle Zeitungen und alle Fabrikanſtalten der öffentlichen Meinung disponiren, wahrhaftig ſogar alle An- dern dahin bringen, es zu glauben und ſich einreden zu laſſen, daß ſie, dieſe 11,000 oder dieſe 44,000, die Welt ſind! Und unter dieſer winzigen Handvoll Leute, die ſich allein regt, allein bewegt, allein ſpricht, ſchreibt, perorirt, nur ihre eigenen Jntereſſen kennt und verſicht und ſich ſo ſehr ein- redet Alles zu ſein, daß ſie ſich wahrhaftig ſogar noch einredet, ſie ſei es, welche die Steuern aufbringe, — unter dieſer Hand- voll Menſchen windet ſich in ſtummer unausſprechlicher Qual, in wimmelnder Zahl das unbemittelte Volk, die 17 Millionen, producirt Alles, was uns das Leben verſchönt, macht uns die unerläßliche Bedingung aller Geſittung, die Exiſtenz des Staates möglich, ſchlägt ſeine Schlachten, zahlt ſeine Steuern — und hat Niemand, der an es dächte und es verträte! Und der Staatsanwalt glaubt wirklich, daß die Bemittel- ten, jene 44,000 Menſchen, die über 1000 Thaler Einkommen haben, die indirecten Steuern aufbringen? Stellen wir ein einfaches Rechenexempel an. Wenn der Staat die 96 Millionen Thaler, die er in dem Budget von 1855, das ich in meinem Vortrag betrachtet habe, durch directe und indirecte Steuern zuſammengenommen erhebt, von den Bemittelten durch die indirecte Steuer aufbringen wollte, ſo würde zuvörderſt jeder dieſer 44,400 Bemittelten durchſchnittlich 2186 Thlr. jährlich zur Steuer beizutragen haben, während, wie Sie ſahen, 14,428 Perſonen von jenen 44,400 überhaupt nicht mehr als 1000—1200 Thaler Ein- kommen und andere 17,575 überhaupt nicht mehr als 2000 Thaler Einkommen haben, und wenn Sie das einge- ſchätzte Einkommen aller zur claſſificirten Einkommenſteuer Herangezogenen zuſammenaddiren und durch die Anzahl dieſer Steuerpflichtigen dividiren, jeder derſelben überhaupt nur durch- ſchnittlich 2357 Thaler Einkommen hat. Zweitens aber: damit durchſchnittlich jeder dieſer 44,400 Bemittelten jährlich 2186 Thaler zur indirecten Steuer bei- trage — wie groß müßte da wohl die jährlich von ihm und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/63
Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/63>, abgerufen am 12.05.2024.