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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Einleitung.


Die Theorie der Materie sucht über die allgemeinen Bedin-
gungen Rechenschaft zu geben, auf welchen die Erfüllung des
Raumes durch unterscheidbare sinnliche Qualitäten und der
Wechsel derselben in der Zeit beruht. Ihre Geschichte ist
aufs engste verknüpft mit der Entwickelung der Erkenntnis
überhaupt; denn ihr Gegenstand umfaßt den ganzen Inhalt
aller sinnlichen Erfahrung. Jenes im Raum gegebene Verän-
derliche, welches wir die Körperwelt nennen, ist das Mittel,
in dessen Wechselwirkung der Mensch mit seinem eigenen
Leibe sich gestellt findet. Ihm gegenüber hat er seine physi-
sche Existenz zu verteidigen, ihm gegenüber will er seine
geistige Überlegenheit aufrecht erhalten. Das unmittelbare
sinnliche Erlebnis gilt es zu bewältigen, zu ordnen, zu beherr-
schen; und die Vollendung dieser Beherrschung durch Begriff
und Gesetz wäre ein Naturerkennen, welches in einer allge-
meinen Theorie der Materie gipfelte. Deshalb steht die Theorie
der Materie in einem Zentrum der Erkenntnisbestrebungen, in
welchem sich die verschiedensten Motive kreuzen, und deshalb
darf man erwarten, daß eine Geschichte der Theorie der
Materie vorzüglich geeignet sei, Aufklärungen über die Ele-
mente zu geben, auf welche die menschliche Erkenntnis sich
gründet.

Fragt man aber nach dem Inhalt dieser Theorie der Materie,
welche historisch behandelt werden soll, so findet sich, daß es
gar nicht eine Theorie, sondern eine Vielheit von Theorien
gibt. Diese müssen demnach zunächst nach inneren Gesichts-
punkten ihrer Verwandtschaft geordnet werden. Ein solches

Laßwitz. 1
Einleitung.


Die Theorie der Materie sucht über die allgemeinen Bedin-
gungen Rechenschaft zu geben, auf welchen die Erfüllung des
Raumes durch unterscheidbare sinnliche Qualitäten und der
Wechsel derselben in der Zeit beruht. Ihre Geschichte ist
aufs engste verknüpft mit der Entwickelung der Erkenntnis
überhaupt; denn ihr Gegenstand umfaßt den ganzen Inhalt
aller sinnlichen Erfahrung. Jenes im Raum gegebene Verän-
derliche, welches wir die Körperwelt nennen, ist das Mittel,
in dessen Wechselwirkung der Mensch mit seinem eigenen
Leibe sich gestellt findet. Ihm gegenüber hat er seine physi-
sche Existenz zu verteidigen, ihm gegenüber will er seine
geistige Überlegenheit aufrecht erhalten. Das unmittelbare
sinnliche Erlebnis gilt es zu bewältigen, zu ordnen, zu beherr-
schen; und die Vollendung dieser Beherrschung durch Begriff
und Gesetz wäre ein Naturerkennen, welches in einer allge-
meinen Theorie der Materie gipfelte. Deshalb steht die Theorie
der Materie in einem Zentrum der Erkenntnisbestrebungen, in
welchem sich die verschiedensten Motive kreuzen, und deshalb
darf man erwarten, daß eine Geschichte der Theorie der
Materie vorzüglich geeignet sei, Aufklärungen über die Ele-
mente zu geben, auf welche die menschliche Erkenntnis sich
gründet.

Fragt man aber nach dem Inhalt dieser Theorie der Materie,
welche historisch behandelt werden soll, so findet sich, daß es
gar nicht eine Theorie, sondern eine Vielheit von Theorien
gibt. Diese müssen demnach zunächst nach inneren Gesichts-
punkten ihrer Verwandtschaft geordnet werden. Ein solches

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[[1]/0019] Einleitung. Die Theorie der Materie sucht über die allgemeinen Bedin- gungen Rechenschaft zu geben, auf welchen die Erfüllung des Raumes durch unterscheidbare sinnliche Qualitäten und der Wechsel derselben in der Zeit beruht. Ihre Geschichte ist aufs engste verknüpft mit der Entwickelung der Erkenntnis überhaupt; denn ihr Gegenstand umfaßt den ganzen Inhalt aller sinnlichen Erfahrung. Jenes im Raum gegebene Verän- derliche, welches wir die Körperwelt nennen, ist das Mittel, in dessen Wechselwirkung der Mensch mit seinem eigenen Leibe sich gestellt findet. Ihm gegenüber hat er seine physi- sche Existenz zu verteidigen, ihm gegenüber will er seine geistige Überlegenheit aufrecht erhalten. Das unmittelbare sinnliche Erlebnis gilt es zu bewältigen, zu ordnen, zu beherr- schen; und die Vollendung dieser Beherrschung durch Begriff und Gesetz wäre ein Naturerkennen, welches in einer allge- meinen Theorie der Materie gipfelte. Deshalb steht die Theorie der Materie in einem Zentrum der Erkenntnisbestrebungen, in welchem sich die verschiedensten Motive kreuzen, und deshalb darf man erwarten, daß eine Geschichte der Theorie der Materie vorzüglich geeignet sei, Aufklärungen über die Ele- mente zu geben, auf welche die menschliche Erkenntnis sich gründet. Fragt man aber nach dem Inhalt dieser Theorie der Materie, welche historisch behandelt werden soll, so findet sich, daß es gar nicht eine Theorie, sondern eine Vielheit von Theorien gibt. Diese müssen demnach zunächst nach inneren Gesichts- punkten ihrer Verwandtschaft geordnet werden. Ein solches Laßwitz. 1

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/19>, abgerufen am 21.11.2024.