Dieses Einteilungsprinzip finden wir in dem Interesse der Erkenntnis vom Wesen der Materie. Wir unterscheiden das erkenntniskritische, das metaphysische und das physikalische Interesse.
Das erkenntniskritische Interesse richtet sich auf die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Es strebt daher in der Theorie der Materie diejenigen Bedingungen auf- zusuchen, auf welchen die Möglichkeit der Erkenntnis der Körperwelt beruht; diejenigen Denkmittel und Einheitsbe- ziehungen des Bewußtseins sind festzustellen, durch welche ein Teil aus der Gesamtheit des Erlebnisses der Menschheit sich als gesetzmäßige Veränderung einer Körperwelt im Raume darstellt.
Das metaphysische Interesse zielt auf Erkenntnis des Seins der Welt im ontologischen Sinne und behandelt die Frage nach der Materie von dem Gesichtspunkte aus, wie ihre Lösung verträglich ist mit den Prinzipien einer allgemeinen Weltan- schauung. Neben dem rein theoretischen Interesse, welches in dem Streben nach der Erkenntnis von einem Urgrunde der Dinge besteht, wirken hier insbesondere religiöse und ethische Motive. Man will wissen, wie die Körperwelt gedacht werden muß, damit eine einheitliche Weltanschauung zustande komme.
Das physikalische Interesse bezieht sich auf ein engeres Gebiet. Es wendet sich dem Probleme der Naturerklärung zu und fragt, wie die Beschaffenheit der Körper zu denken ist, damit die beobachteten Erscheinungen sich daraus ableiten lassen. Hierbei handelt es sich weniger um Erzielung einer Übereinstimmung mit allgemeinen Erkenntnisforderungen, als um Aufsuchung geeigneter Prinzipien zu einer technischen Vereinfachung physikalischer Probleme. Es entspringen Theo- rien lediglich aus den praktischen Bestrebungen der Physiker zur bequemeren Erklärung einzelner Naturerscheinungen. Ihre Urheber sind daher geneigt von Fall zu Fall zu urteilen. Sie verzichten auf eine Beantwortung der Frage nach den letzten Einheiten, auf welchen die Elemente der Körperwelt beruhen, und begnügen sich mit der Aufstellung von Hypothesen, welche in engeren oder weiteren Grenzen Bestätigung durch die Er- fahrung finden. Sie unterscheiden in der Erzeugung der Körperwelt nicht sinnliche und intellektuelle Quellen, nicht
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Einleitung: Interesse der Theorien der Materie.
Dieses Einteilungsprinzip finden wir in dem Interesse der Erkenntnis vom Wesen der Materie. Wir unterscheiden das erkenntniskritische, das metaphysische und das physikalische Interesse.
Das erkenntniskritische Interesse richtet sich auf die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Es strebt daher in der Theorie der Materie diejenigen Bedingungen auf- zusuchen, auf welchen die Möglichkeit der Erkenntnis der Körperwelt beruht; diejenigen Denkmittel und Einheitsbe- ziehungen des Bewußtseins sind festzustellen, durch welche ein Teil aus der Gesamtheit des Erlebnisses der Menschheit sich als gesetzmäßige Veränderung einer Körperwelt im Raume darstellt.
Das metaphysische Interesse zielt auf Erkenntnis des Seins der Welt im ontologischen Sinne und behandelt die Frage nach der Materie von dem Gesichtspunkte aus, wie ihre Lösung verträglich ist mit den Prinzipien einer allgemeinen Weltan- schauung. Neben dem rein theoretischen Interesse, welches in dem Streben nach der Erkenntnis von einem Urgrunde der Dinge besteht, wirken hier insbesondere religiöse und ethische Motive. Man will wissen, wie die Körperwelt gedacht werden muß, damit eine einheitliche Weltanschauung zustande komme.
Das physikalische Interesse bezieht sich auf ein engeres Gebiet. Es wendet sich dem Probleme der Naturerklärung zu und fragt, wie die Beschaffenheit der Körper zu denken ist, damit die beobachteten Erscheinungen sich daraus ableiten lassen. Hierbei handelt es sich weniger um Erzielung einer Übereinstimmung mit allgemeinen Erkenntnisforderungen, als um Aufsuchung geeigneter Prinzipien zu einer technischen Vereinfachung physikalischer Probleme. Es entspringen Theo- rien lediglich aus den praktischen Bestrebungen der Physiker zur bequemeren Erklärung einzelner Naturerscheinungen. Ihre Urheber sind daher geneigt von Fall zu Fall zu urteilen. Sie verzichten auf eine Beantwortung der Frage nach den letzten Einheiten, auf welchen die Elemente der Körperwelt beruhen, und begnügen sich mit der Aufstellung von Hypothesen, welche in engeren oder weiteren Grenzen Bestätigung durch die Er- fahrung finden. Sie unterscheiden in der Erzeugung der Körperwelt nicht sinnliche und intellektuelle Quellen, nicht
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Einleitung: Interesse der Theorien der Materie.
Dieses Einteilungsprinzip finden wir in dem Interesse
der Erkenntnis vom Wesen der Materie. Wir unterscheiden
das erkenntniskritische, das metaphysische und das
physikalische Interesse.
Das erkenntniskritische Interesse richtet sich auf die Frage
nach der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Es strebt
daher in der Theorie der Materie diejenigen Bedingungen auf-
zusuchen, auf welchen die Möglichkeit der Erkenntnis der
Körperwelt beruht; diejenigen Denkmittel und Einheitsbe-
ziehungen des Bewußtseins sind festzustellen, durch welche
ein Teil aus der Gesamtheit des Erlebnisses der Menschheit
sich als gesetzmäßige Veränderung einer Körperwelt im Raume
darstellt.
Das metaphysische Interesse zielt auf Erkenntnis des Seins
der Welt im ontologischen Sinne und behandelt die Frage
nach der Materie von dem Gesichtspunkte aus, wie ihre Lösung
verträglich ist mit den Prinzipien einer allgemeinen Weltan-
schauung. Neben dem rein theoretischen Interesse, welches
in dem Streben nach der Erkenntnis von einem Urgrunde der
Dinge besteht, wirken hier insbesondere religiöse und ethische
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muß, damit eine einheitliche Weltanschauung zustande komme.
Das physikalische Interesse bezieht sich auf ein engeres
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ist, damit die beobachteten Erscheinungen sich daraus ableiten
lassen. Hierbei handelt es sich weniger um Erzielung einer
Übereinstimmung mit allgemeinen Erkenntnisforderungen, als
um Aufsuchung geeigneter Prinzipien zu einer technischen
Vereinfachung physikalischer Probleme. Es entspringen Theo-
rien lediglich aus den praktischen Bestrebungen der Physiker
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Urheber sind daher geneigt von Fall zu Fall zu urteilen. Sie
verzichten auf eine Beantwortung der Frage nach den letzten
Einheiten, auf welchen die Elemente der Körperwelt beruhen,
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/21>, abgerufen am 23.11.2024.
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