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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Bestandteile in der Mischung.
Achter Abschnitt.
Die Frage nach dem Verhalten der Bestandteile
in der chemischen Verbindung.


1. Die Streitfrage.

Die aristotelische Theorie der chemischen Verbindung
(#) hatte Folgendes ergeben.1 Die Verbindung, d. h. der
zusammengesetzte Körper, ist vollständig, seiner ganzen Masse
nach, homogen, so daß er bis ins Unendliche in gleich-
artige (#) Teile geteilt gedacht werden kann. Dem-
nach sind die Bestandteile in ihm nicht bloß in minimale
Partikeln geteilt nebeneinander gelagert (#),2 sondern sie
sind in einem umgewandelten Zustande (#) zur Ver-
einigung (#) gebracht.3 Diese Umwandlung besteht darin,
daß die gegensätzlichen Eigenschaften der Bestandteile einen
Mittelzustand zwischen Aktualität und Potenzialität annehmen,
in welchem sie ihr Übermaß (#) gegenseitig aus-
gleichen,4 während die verbundenen Substanzen (#-
#) selbst nicht aktuell, aber ohne vergangen zu sein (#
#), nämlich potenziell, so sind, wie sie vor der Ver-
bindung waren.5

Dies ist das Resultat, welches man aus den bezüglichen
Stellen klar schöpfen kann; weniger klar freilich ist die Be-
deutung der ausgesprochenen Meinung selbst. An der einen
Stelle ist von der Potenzialität der Substanzen, die doch nicht
vergangen sein sollen, die Rede; an der andren von einem
Mittelzustande der Gegensätze (#) zwischen Aktualität
und Potenzialität. Zum Verständnis dieser Auffassung muß
man sich der doppelten Bedeutung der Begriffe # und
# bei Aristoteles erinnern.6 Aristoteles unterscheidet
eine erste Entelechie, den actus primus der Scholastiker, von

1 Vgl. S. 124--129.
2 p. 328a. 5--12.
3 p. 328 b. 22.
4 p. 334 b
6--20.
5 p. 327 b 22--26.
6 S. S. 89. Anm. 1.
Bestandteile in der Mischung.
Achter Abschnitt.
Die Frage nach dem Verhalten der Bestandteile
in der chemischen Verbindung.


1. Die Streitfrage.

Die aristotelische Theorie der chemischen Verbindung
(#) hatte Folgendes ergeben.1 Die Verbindung, d. h. der
zusammengesetzte Körper, ist vollständig, seiner ganzen Masse
nach, homogen, so daß er bis ins Unendliche in gleich-
artige (#) Teile geteilt gedacht werden kann. Dem-
nach sind die Bestandteile in ihm nicht bloß in minimale
Partikeln geteilt nebeneinander gelagert (#),2 sondern sie
sind in einem umgewandelten Zustande (#) zur Ver-
einigung (#) gebracht.3 Diese Umwandlung besteht darin,
daß die gegensätzlichen Eigenschaften der Bestandteile einen
Mittelzustand zwischen Aktualität und Potenzialität annehmen,
in welchem sie ihr Übermaß (#) gegenseitig aus-
gleichen,4 während die verbundenen Substanzen (#-
#) selbst nicht aktuell, aber ohne vergangen zu sein (#
#), nämlich potenziell, so sind, wie sie vor der Ver-
bindung waren.5

Dies ist das Resultat, welches man aus den bezüglichen
Stellen klar schöpfen kann; weniger klar freilich ist die Be-
deutung der ausgesprochenen Meinung selbst. An der einen
Stelle ist von der Potenzialität der Substanzen, die doch nicht
vergangen sein sollen, die Rede; an der andren von einem
Mittelzustande der Gegensätze (#) zwischen Aktualität
und Potenzialität. Zum Verständnis dieser Auffassung muß
man sich der doppelten Bedeutung der Begriffe # und
# bei Aristoteles erinnern.6 Aristoteles unterscheidet
eine erste Entelechie, den actus primus der Scholastiker, von

1 Vgl. S. 124—129.
2 p. 328a. 5—12.
3 p. 328 b. 22.
4 p. 334 b
6—20.
5 p. 327 b 22—26.
6 S. S. 89. Anm. 1.
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[235/0253] Bestandteile in der Mischung. Achter Abschnitt. Die Frage nach dem Verhalten der Bestandteile in der chemischen Verbindung. 1. Die Streitfrage. Die aristotelische Theorie der chemischen Verbindung (#) hatte Folgendes ergeben. 1 Die Verbindung, d. h. der zusammengesetzte Körper, ist vollständig, seiner ganzen Masse nach, homogen, so daß er bis ins Unendliche in gleich- artige (#) Teile geteilt gedacht werden kann. Dem- nach sind die Bestandteile in ihm nicht bloß in minimale Partikeln geteilt nebeneinander gelagert (#), 2 sondern sie sind in einem umgewandelten Zustande (#) zur Ver- einigung (#) gebracht. 3 Diese Umwandlung besteht darin, daß die gegensätzlichen Eigenschaften der Bestandteile einen Mittelzustand zwischen Aktualität und Potenzialität annehmen, in welchem sie ihr Übermaß (#) gegenseitig aus- gleichen, 4 während die verbundenen Substanzen (#- #) selbst nicht aktuell, aber ohne vergangen zu sein (# #), nämlich potenziell, so sind, wie sie vor der Ver- bindung waren. 5 Dies ist das Resultat, welches man aus den bezüglichen Stellen klar schöpfen kann; weniger klar freilich ist die Be- deutung der ausgesprochenen Meinung selbst. An der einen Stelle ist von der Potenzialität der Substanzen, die doch nicht vergangen sein sollen, die Rede; an der andren von einem Mittelzustande der Gegensätze (#) zwischen Aktualität und Potenzialität. Zum Verständnis dieser Auffassung muß man sich der doppelten Bedeutung der Begriffe # und # bei Aristoteles erinnern. 6 Aristoteles unterscheidet eine erste Entelechie, den actus primus der Scholastiker, von 1 Vgl. S. 124—129. 2 p. 328a. 5—12. 3 p. 328 b. 22. 4 p. 334 b 6—20. 5 p. 327 b 22—26. 6 S. S. 89. Anm. 1.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/253>, abgerufen am 24.11.2024.