Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Mischung: Scotus. R. Baco.
Annahmen treibt. Es zeigt sich nämlich, daß nach der tho-
mistischen Theorie die Verbindnng überhaupt gar nicht durch
die gegenseitige Wirksamkeit der Elemente entstehen kann.
Denn in welchem Augenblicke soll sie entstehen? Sind die
Elemente bereits in ihren Formen zerstört, so ist ja nichts
vorhanden, was eine Verbindung eingehen könnte, die Mischung
würde aus einem Nichtseienden erzeugt werden; bleibt aber
eins der Elemente bestehen, so würde das Mixtum aus diesem
Einzigen, nicht aber unter Korruption der Elemente entstehen.
Wie soll auch aus den unvollkommenen Elementen das voll-
kommenere Kompositum sich entwickeln?1 Um diese Schwierig-
keiten zu erklären, nimmt Scotus an, daß nicht die Wechsel-
wirkung der Elemente, sondern ein allgemeines oder natürliches
Agens die Verbindung erzeugt. Dieses Agens, das nicht näher
bestimmt wird, eduziert die Form des Kompositums aus der
Materie, es bringt dieselbe nicht von außen oder aus sich
hinzu, sondern es bewirkt sie ursächlich in dem Kompositum.2
Wieder stockt die Untersuchung am Problem der Veränder-
lichkeit.

Auf diese Weise mehren sich für diejenigen, welche an
dem scholastischen Begriffe von der substanziellen Einheit der
Mischung festhalten wollen, immermehr die Schwierigkeiten,
die Vorgänge in der Körperwelt zu beherrschen.

Diese Schwierigkeiten fallen jedoch fort, sobald eine selbst-
ständigere Fassung der Materie versucht wird, wie das bei
Roger Baco (+ 1294) der Fall ist. Dieser geistvolle, wenn
auch mitunter sich selbst überschätzende Franziskaner steht
in der Auffassung der Fragen nach dem Wesen der materiellen
Vorgänge hoch über seinen Zeitgenossen. Indem er neben
der Vielheit und Vielfältigkeit der endlichen Formen eine
gleiche Vielheit und Vielfältigkeit der stofflichen Substrate

1 Opera Tom. VI. p. 755.
2 Op. T. VI. L. II. Sent. Dist. XII. qu. 1. n. 17. Agens de potentia
materiae praeexistentis et quae in fine generationis est pars compositi, educit
formam, quae est altera pars compositi, quae prius non fuit in actu nec in re
extra sicut materia. Dazu vgl. De rer. princip. qu. 10. art. 2. § 10. T. III.
p. 82. ... agentia naturalia sic generant compositum, quod quamvis generent
per se, nihilominus sua actione educunt de potentia materiae illud, quo com-
positum principale est tale, scilicet, formam. ....

Die Mischung: Scotus. R. Baco.
Annahmen treibt. Es zeigt sich nämlich, daß nach der tho-
mistischen Theorie die Verbindnng überhaupt gar nicht durch
die gegenseitige Wirksamkeit der Elemente entstehen kann.
Denn in welchem Augenblicke soll sie entstehen? Sind die
Elemente bereits in ihren Formen zerstört, so ist ja nichts
vorhanden, was eine Verbindung eingehen könnte, die Mischung
würde aus einem Nichtseienden erzeugt werden; bleibt aber
eins der Elemente bestehen, so würde das Mixtum aus diesem
Einzigen, nicht aber unter Korruption der Elemente entstehen.
Wie soll auch aus den unvollkommenen Elementen das voll-
kommenere Kompositum sich entwickeln?1 Um diese Schwierig-
keiten zu erklären, nimmt Scotus an, daß nicht die Wechsel-
wirkung der Elemente, sondern ein allgemeines oder natürliches
Agens die Verbindung erzeugt. Dieses Agens, das nicht näher
bestimmt wird, eduziert die Form des Kompositums aus der
Materie, es bringt dieselbe nicht von außen oder aus sich
hinzu, sondern es bewirkt sie ursächlich in dem Kompositum.2
Wieder stockt die Untersuchung am Problem der Veränder-
lichkeit.

Auf diese Weise mehren sich für diejenigen, welche an
dem scholastischen Begriffe von der substanziellen Einheit der
Mischung festhalten wollen, immermehr die Schwierigkeiten,
die Vorgänge in der Körperwelt zu beherrschen.

Diese Schwierigkeiten fallen jedoch fort, sobald eine selbst-
ständigere Fassung der Materie versucht wird, wie das bei
Roger Baco († 1294) der Fall ist. Dieser geistvolle, wenn
auch mitunter sich selbst überschätzende Franziskaner steht
in der Auffassung der Fragen nach dem Wesen der materiellen
Vorgänge hoch über seinen Zeitgenossen. Indem er neben
der Vielheit und Vielfältigkeit der endlichen Formen eine
gleiche Vielheit und Vielfältigkeit der stofflichen Substrate

1 Opera Tom. VI. p. 755.
2 Op. T. VI. L. II. Sent. Dist. XII. qu. 1. n. 17. Agens de potentia
materiae praeexistentis et quae in fine generationis est pars compositi, educit
formam, quae est altera pars compositi, quae prius non fuit in actu nec in re
extra sicut materia. Dazu vgl. De rer. princip. qu. 10. art. 2. § 10. T. III.
p. 82. … agentia naturalia sic generant compositum, quod quamvis generent
per se, nihilominus sua actione educunt de potentia materiae illud, quo com-
positum principale est tale, scilicet, formam. ....
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0269" n="251"/><fw place="top" type="header">Die Mischung: <hi rendition="#k">Scotus</hi>. R. <hi rendition="#k">Baco</hi>.</fw><lb/>
Annahmen treibt. Es zeigt sich nämlich, daß nach der tho-<lb/>
mistischen Theorie die Verbindnng überhaupt gar nicht durch<lb/>
die gegenseitige Wirksamkeit der Elemente entstehen kann.<lb/>
Denn in welchem Augenblicke soll sie entstehen? Sind die<lb/>
Elemente bereits in ihren Formen zerstört, so ist ja nichts<lb/>
vorhanden, was eine Verbindung eingehen könnte, die Mischung<lb/>
würde aus einem Nichtseienden erzeugt werden; bleibt aber<lb/>
eins der Elemente bestehen, so würde das Mixtum aus diesem<lb/>
Einzigen, nicht aber unter Korruption der Elemente entstehen.<lb/>
Wie soll auch aus den unvollkommenen Elementen das voll-<lb/>
kommenere Kompositum sich entwickeln?<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">Opera</hi> Tom. VI. p. 755.</note> Um diese Schwierig-<lb/>
keiten zu erklären, nimmt <hi rendition="#k">Scotus</hi> an, daß nicht die Wechsel-<lb/>
wirkung der Elemente, sondern ein allgemeines oder natürliches<lb/>
Agens die Verbindung erzeugt. Dieses Agens, das nicht näher<lb/>
bestimmt wird, <hi rendition="#g">eduziert</hi> die Form des Kompositums aus der<lb/>
Materie, es bringt dieselbe nicht von außen oder aus sich<lb/>
hinzu, sondern es bewirkt sie ursächlich in dem Kompositum.<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">Op.</hi> T. VI. <hi rendition="#i">L. II. Sent.</hi> Dist. XII. qu. 1. n. 17. Agens de potentia<lb/>
materiae praeexistentis et quae in fine generationis est pars compositi, educit<lb/>
formam, quae est altera pars compositi, quae prius non fuit in actu nec in re<lb/>
extra sicut materia. Dazu vgl. <hi rendition="#i">De rer. princip.</hi> qu. 10. art. 2. § 10. T. III.<lb/>
p. 82. &#x2026; agentia naturalia sic generant compositum, quod quamvis generent<lb/>
per se, nihilominus sua actione educunt de potentia materiae illud, quo com-<lb/>
positum principale est tale, scilicet, formam. ....</note><lb/>
Wieder stockt die Untersuchung am Problem der Veränder-<lb/>
lichkeit.</p><lb/>
            <p>Auf diese Weise mehren sich für diejenigen, welche an<lb/>
dem scholastischen Begriffe von der substanziellen Einheit der<lb/>
Mischung festhalten wollen, immermehr die Schwierigkeiten,<lb/>
die Vorgänge in der Körperwelt zu beherrschen.</p><lb/>
            <p>Diese Schwierigkeiten fallen jedoch fort, sobald eine selbst-<lb/>
ständigere Fassung der Materie versucht wird, wie das bei<lb/><hi rendition="#k">Roger Baco</hi> (&#x2020; 1294) der Fall ist. Dieser geistvolle, wenn<lb/>
auch mitunter sich selbst überschätzende Franziskaner steht<lb/>
in der Auffassung der Fragen nach dem Wesen der materiellen<lb/>
Vorgänge hoch über seinen Zeitgenossen. Indem er neben<lb/>
der Vielheit und Vielfältigkeit der endlichen Formen eine<lb/>
gleiche Vielheit und Vielfältigkeit der stofflichen Substrate<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0269] Die Mischung: Scotus. R. Baco. Annahmen treibt. Es zeigt sich nämlich, daß nach der tho- mistischen Theorie die Verbindnng überhaupt gar nicht durch die gegenseitige Wirksamkeit der Elemente entstehen kann. Denn in welchem Augenblicke soll sie entstehen? Sind die Elemente bereits in ihren Formen zerstört, so ist ja nichts vorhanden, was eine Verbindung eingehen könnte, die Mischung würde aus einem Nichtseienden erzeugt werden; bleibt aber eins der Elemente bestehen, so würde das Mixtum aus diesem Einzigen, nicht aber unter Korruption der Elemente entstehen. Wie soll auch aus den unvollkommenen Elementen das voll- kommenere Kompositum sich entwickeln? 1 Um diese Schwierig- keiten zu erklären, nimmt Scotus an, daß nicht die Wechsel- wirkung der Elemente, sondern ein allgemeines oder natürliches Agens die Verbindung erzeugt. Dieses Agens, das nicht näher bestimmt wird, eduziert die Form des Kompositums aus der Materie, es bringt dieselbe nicht von außen oder aus sich hinzu, sondern es bewirkt sie ursächlich in dem Kompositum. 2 Wieder stockt die Untersuchung am Problem der Veränder- lichkeit. Auf diese Weise mehren sich für diejenigen, welche an dem scholastischen Begriffe von der substanziellen Einheit der Mischung festhalten wollen, immermehr die Schwierigkeiten, die Vorgänge in der Körperwelt zu beherrschen. Diese Schwierigkeiten fallen jedoch fort, sobald eine selbst- ständigere Fassung der Materie versucht wird, wie das bei Roger Baco († 1294) der Fall ist. Dieser geistvolle, wenn auch mitunter sich selbst überschätzende Franziskaner steht in der Auffassung der Fragen nach dem Wesen der materiellen Vorgänge hoch über seinen Zeitgenossen. Indem er neben der Vielheit und Vielfältigkeit der endlichen Formen eine gleiche Vielheit und Vielfältigkeit der stofflichen Substrate 1 Opera Tom. VI. p. 755. 2 Op. T. VI. L. II. Sent. Dist. XII. qu. 1. n. 17. Agens de potentia materiae praeexistentis et quae in fine generationis est pars compositi, educit formam, quae est altera pars compositi, quae prius non fuit in actu nec in re extra sicut materia. Dazu vgl. De rer. princip. qu. 10. art. 2. § 10. T. III. p. 82. … agentia naturalia sic generant compositum, quod quamvis generent per se, nihilominus sua actione educunt de potentia materiae illud, quo com- positum principale est tale, scilicet, formam. ....

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/269
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/269>, abgerufen am 27.09.2024.