Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.Scotus: Die Formen. wäre es mit der substanziellen Einheit des Kompositums un-verträglich, wenn die Bestandteile desselben ihre substanziale Form behielten. Scotus stellt sich den Sachverhalt so vor, daß die Elemente, indem sie ihr Sein in der Mischung ver- lieren, dadurch eine höhere Form des Seins angenommen haben und ihr früheres Sein nur in dem Sinne behalten, wie das Niedere im Höheren enthalten ist.1 Er nimmt eine Stufen- ordnung der Formen an von den unvollkommenen Formen, welche der Materie näher stehen und in ihrer Wirksamkeit beschränkt sind, zu den vollkommenen Formen der geistigen Wesen und gab dadurch Veranlassung zu einer eingehenden Erörterung der Frage De intensione et remissione formarum.2 So ist die Form der Mischung eine höhere als die der Elemente und vermag die letztere in sich aufzunehmen, so daß die zusammengesetzten anorganischen Körper eine substanzielle Einheit bilden. Bei den belebten Körpern, inbesondere dem Menschen, vereinigen sich jedoch die höheren Formen nicht unmittelbar mit der materia primo prima; sondern da beim Tode eines lebenden Wesens, wenn also die Form des Lebens ent- weicht, doch noch die Form des Körpers bestehen bleibt, so half sich Scotus mit der Annahme einer vermittelnden Form, der oben genannten forma corporeitatis. Trotzdem gewinnt er die vollkommene Einheit der substanziellen Form des Menschen, indem er alle die einzelnen Formen, die elementare, die des Kompositums, der Körperlichkeit, die vegetative und die sensi- tive Form einander unterordnet und die höchste sämtliche übrigen mit ihrer Einheit umfassen läßt.3 Die vorhergehende Form verhält sich zur höheren als Materie.4 Diese Relativität des Formbegriffs ist das Charakteristische für Scotus und, wie man sieht, durchaus Ibn Gabirol nachgebildet. In Bezug auf unsere specielle Frage bemerkt Scotus eine secundum substantiam, sive remissam (sicut dicit Commentator) sive non remissam, sicut ponit Avicenna ... Non enim operatio mixti est ejusdem speciei cum aliqua operatione elementi (p. 753). 1 A. a. O. Tom. VI. p. 755. 2 Vgl. Prantl, Gesch. d. Log. III S. 223. 3 De rerum princ. qu. 9. § 51--53. T. III p. 71, 72. 4 Vgl. Schneid, a. a. O. S. 17. A. 3.
Scotus: Die Formen. wäre es mit der substanziellen Einheit des Kompositums un-verträglich, wenn die Bestandteile desselben ihre substanziale Form behielten. Scotus stellt sich den Sachverhalt so vor, daß die Elemente, indem sie ihr Sein in der Mischung ver- lieren, dadurch eine höhere Form des Seins angenommen haben und ihr früheres Sein nur in dem Sinne behalten, wie das Niedere im Höheren enthalten ist.1 Er nimmt eine Stufen- ordnung der Formen an von den unvollkommenen Formen, welche der Materie näher stehen und in ihrer Wirksamkeit beschränkt sind, zu den vollkommenen Formen der geistigen Wesen und gab dadurch Veranlassung zu einer eingehenden Erörterung der Frage De intensione et remissione formarum.2 So ist die Form der Mischung eine höhere als die der Elemente und vermag die letztere in sich aufzunehmen, so daß die zusammengesetzten anorganischen Körper eine substanzielle Einheit bilden. Bei den belebten Körpern, inbesondere dem Menschen, vereinigen sich jedoch die höheren Formen nicht unmittelbar mit der materia primo prima; sondern da beim Tode eines lebenden Wesens, wenn also die Form des Lebens ent- weicht, doch noch die Form des Körpers bestehen bleibt, so half sich Scotus mit der Annahme einer vermittelnden Form, der oben genannten forma corporeitatis. Trotzdem gewinnt er die vollkommene Einheit der substanziellen Form des Menschen, indem er alle die einzelnen Formen, die elementare, die des Kompositums, der Körperlichkeit, die vegetative und die sensi- tive Form einander unterordnet und die höchste sämtliche übrigen mit ihrer Einheit umfassen läßt.3 Die vorhergehende Form verhält sich zur höheren als Materie.4 Diese Relativität des Formbegriffs ist das Charakteristische für Scotus und, wie man sieht, durchaus Ibn Gabirol nachgebildet. In Bezug auf unsere specielle Frage bemerkt Scotus eine secundum substantiam, sive remissam (sicut dicit Commentator) sive non remissam, sicut ponit Avicenna … Non enim operatio mixti est ejusdem speciei cum aliqua operatione elementi (p. 753). 1 A. a. O. Tom. VI. p. 755. 2 Vgl. Prantl, Gesch. d. Log. III S. 223. 3 De rerum princ. qu. 9. § 51—53. T. III p. 71, 72. 4 Vgl. Schneid, a. a. O. S. 17. A. 3.
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Scotus: Die Formen.
wäre es mit der substanziellen Einheit des Kompositums un-
verträglich, wenn die Bestandteile desselben ihre substanziale
Form behielten. Scotus stellt sich den Sachverhalt so vor,
daß die Elemente, indem sie ihr Sein in der Mischung ver-
lieren, dadurch eine höhere Form des Seins angenommen haben
und ihr früheres Sein nur in dem Sinne behalten, wie das
Niedere im Höheren enthalten ist. 1 Er nimmt eine Stufen-
ordnung der Formen an von den unvollkommenen Formen,
welche der Materie näher stehen und in ihrer Wirksamkeit
beschränkt sind, zu den vollkommenen Formen der geistigen
Wesen und gab dadurch Veranlassung zu einer eingehenden
Erörterung der Frage De intensione et remissione formarum. 2 So
ist die Form der Mischung eine höhere als die der Elemente
und vermag die letztere in sich aufzunehmen, so daß die
zusammengesetzten anorganischen Körper eine substanzielle
Einheit bilden. Bei den belebten Körpern, inbesondere dem
Menschen, vereinigen sich jedoch die höheren Formen nicht
unmittelbar mit der materia primo prima; sondern da beim Tode
eines lebenden Wesens, wenn also die Form des Lebens ent-
weicht, doch noch die Form des Körpers bestehen bleibt, so
half sich Scotus mit der Annahme einer vermittelnden Form,
der oben genannten forma corporeitatis. Trotzdem gewinnt er
die vollkommene Einheit der substanziellen Form des Menschen,
indem er alle die einzelnen Formen, die elementare, die des
Kompositums, der Körperlichkeit, die vegetative und die sensi-
tive Form einander unterordnet und die höchste sämtliche übrigen
mit ihrer Einheit umfassen läßt. 3 Die vorhergehende Form
verhält sich zur höheren als Materie. 4 Diese Relativität des
Formbegriffs ist das Charakteristische für Scotus und, wie man
sieht, durchaus Ibn Gabirol nachgebildet.
In Bezug auf unsere specielle Frage bemerkt Scotus eine
bisher übersehene Schwierigkeit, die ihn zu neuen unbestimmten
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1 A. a. O. Tom. VI. p. 755.
2 Vgl. Prantl, Gesch. d. Log. III S. 223.
3 De rerum princ. qu. 9. § 51—53. T. III p. 71, 72.
4 Vgl. Schneid, a. a. O. S. 17. A. 3.
5 secundum substantiam, sive remissam (sicut dicit Commentator) sive non
remissam, sicut ponit Avicenna … Non enim operatio mixti est ejusdem
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