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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Plotin: Weltseele.
durch welche sie von einem Akt zum andren übergeht." Durch
diese Bewegung bewirkt die Weltseele die Entstehung der
Dinge. Sie ist die Ursache, aus welcher die sinnliche Welt hervor-
geht, die schöpferische Kraft der Natur und das weltordnende
Prinzip. Durch die Weltseele werden die Formen in die Materie
eingeführt und die Qualität und Quantität der Körperwelt erzeugt.
Das Vermittelnde bei dieser Erzeugung des Sinnlichen ist der
#. Jeder spezifischen Differenz entspricht ein Logos. Das
Sein wird in der Seele zum Leben, die Idee zum Begriff (#),
und durch die Mitteilung des # an die Materie entsteht
die sinnliche Erscheinung. Die gesamte Erscheinungswelt ist
daher belebt, und durch die Weltseele ist eine Sympathie und
Wechselwirkung zwischen allen Dingen und allen Teilen der
Welt ermöglicht.

Wir werden im folgenden sehen, wie dieser Gedanke
eines weltordnenden, lebendigen Prinzips von der Naturphilo-
sophie ergriffen und benutzt worden ist. Wenn man aber
versucht, diese Vorstellung von der Weltseele physikalisch zu
verwerten, so liegt es in der Natur der Sache, daß man nach
einer Veranschaulichung ihres Begriffes strebt; und die Folge
davon ist, daß die Weltseele verstofflicht wird und ihr Begriff
mehr demjenigen der Stoiker von der Weltseele als einem alles
durchdringenden, äußerst feinen feuerartigen Äther sich nähert.
Diese Umgestaltung, zugleich eine Erinnerung an Heraklit, liegt
um so näher, als dadurch eine Vereinigung mit der aristotelischen
Lehre von der Lebenswärme möglich erschien und die Unsicher-
heit der aristotelischen Bestimmung über das Verhältnis dieser
Lebenswärme zum Äther einer Verschmelzung dieser Vorstel-
lungen günstig war. Die Begriffe Raum, Äther und Weltseele
fließen auf diese Weise zusammen und werden um so weniger
geschieden, je mehr sich das Denken in poetischen Bildern
anstatt in strengkritischen Untersuchungen der Physik gefällt.

Die Beziehungen der Weltseele zum Raume waren schon
insofern vorbereitet, als man die parallele Stellung, welche
Platon dem Mathematischen neben der Weltseele anwies, näm-
lich die Vermittelung zwischen den sinnlichen Dingen und den
Ideen, dadurch zu verdeutlichen suchte, daß man dem von der
Weltseele erfüllten Raume geradezu diese Rolle zuschrieb. Ja
es ist sogar bei Proklus dieser Vorstellung ganz bestimmt vor-

Plotin: Weltseele.
durch welche sie von einem Akt zum andren übergeht.‟ Durch
diese Bewegung bewirkt die Weltseele die Entstehung der
Dinge. Sie ist die Ursache, aus welcher die sinnliche Welt hervor-
geht, die schöpferische Kraft der Natur und das weltordnende
Prinzip. Durch die Weltseele werden die Formen in die Materie
eingeführt und die Qualität und Quantität der Körperwelt erzeugt.
Das Vermittelnde bei dieser Erzeugung des Sinnlichen ist der
#. Jeder spezifischen Differenz entspricht ein Logos. Das
Sein wird in der Seele zum Leben, die Idee zum Begriff (#),
und durch die Mitteilung des # an die Materie entsteht
die sinnliche Erscheinung. Die gesamte Erscheinungswelt ist
daher belebt, und durch die Weltseele ist eine Sympathie und
Wechselwirkung zwischen allen Dingen und allen Teilen der
Welt ermöglicht.

Wir werden im folgenden sehen, wie dieser Gedanke
eines weltordnenden, lebendigen Prinzips von der Naturphilo-
sophie ergriffen und benutzt worden ist. Wenn man aber
versucht, diese Vorstellung von der Weltseele physikalisch zu
verwerten, so liegt es in der Natur der Sache, daß man nach
einer Veranschaulichung ihres Begriffes strebt; und die Folge
davon ist, daß die Weltseele verstofflicht wird und ihr Begriff
mehr demjenigen der Stoiker von der Weltseele als einem alles
durchdringenden, äußerst feinen feuerartigen Äther sich nähert.
Diese Umgestaltung, zugleich eine Erinnerung an Heraklit, liegt
um so näher, als dadurch eine Vereinigung mit der aristotelischen
Lehre von der Lebenswärme möglich erschien und die Unsicher-
heit der aristotelischen Bestimmung über das Verhältnis dieser
Lebenswärme zum Äther einer Verschmelzung dieser Vorstel-
lungen günstig war. Die Begriffe Raum, Äther und Weltseele
fließen auf diese Weise zusammen und werden um so weniger
geschieden, je mehr sich das Denken in poetischen Bildern
anstatt in strengkritischen Untersuchungen der Physik gefällt.

Die Beziehungen der Weltseele zum Raume waren schon
insofern vorbereitet, als man die parallele Stellung, welche
Platon dem Mathematischen neben der Weltseele anwies, näm-
lich die Vermittelung zwischen den sinnlichen Dingen und den
Ideen, dadurch zu verdeutlichen suchte, daß man dem von der
Weltseele erfüllten Raume geradezu diese Rolle zuschrieb. Ja
es ist sogar bei Proklus dieser Vorstellung ganz bestimmt vor-

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[267/0285] Plotin: Weltseele. durch welche sie von einem Akt zum andren übergeht.‟ Durch diese Bewegung bewirkt die Weltseele die Entstehung der Dinge. Sie ist die Ursache, aus welcher die sinnliche Welt hervor- geht, die schöpferische Kraft der Natur und das weltordnende Prinzip. Durch die Weltseele werden die Formen in die Materie eingeführt und die Qualität und Quantität der Körperwelt erzeugt. Das Vermittelnde bei dieser Erzeugung des Sinnlichen ist der #. Jeder spezifischen Differenz entspricht ein Logos. Das Sein wird in der Seele zum Leben, die Idee zum Begriff (#), und durch die Mitteilung des # an die Materie entsteht die sinnliche Erscheinung. Die gesamte Erscheinungswelt ist daher belebt, und durch die Weltseele ist eine Sympathie und Wechselwirkung zwischen allen Dingen und allen Teilen der Welt ermöglicht. Wir werden im folgenden sehen, wie dieser Gedanke eines weltordnenden, lebendigen Prinzips von der Naturphilo- sophie ergriffen und benutzt worden ist. Wenn man aber versucht, diese Vorstellung von der Weltseele physikalisch zu verwerten, so liegt es in der Natur der Sache, daß man nach einer Veranschaulichung ihres Begriffes strebt; und die Folge davon ist, daß die Weltseele verstofflicht wird und ihr Begriff mehr demjenigen der Stoiker von der Weltseele als einem alles durchdringenden, äußerst feinen feuerartigen Äther sich nähert. Diese Umgestaltung, zugleich eine Erinnerung an Heraklit, liegt um so näher, als dadurch eine Vereinigung mit der aristotelischen Lehre von der Lebenswärme möglich erschien und die Unsicher- heit der aristotelischen Bestimmung über das Verhältnis dieser Lebenswärme zum Äther einer Verschmelzung dieser Vorstel- lungen günstig war. Die Begriffe Raum, Äther und Weltseele fließen auf diese Weise zusammen und werden um so weniger geschieden, je mehr sich das Denken in poetischen Bildern anstatt in strengkritischen Untersuchungen der Physik gefällt. Die Beziehungen der Weltseele zum Raume waren schon insofern vorbereitet, als man die parallele Stellung, welche Platon dem Mathematischen neben der Weltseele anwies, näm- lich die Vermittelung zwischen den sinnlichen Dingen und den Ideen, dadurch zu verdeutlichen suchte, daß man dem von der Weltseele erfüllten Raume geradezu diese Rolle zuschrieb. Ja es ist sogar bei Proklus dieser Vorstellung ganz bestimmt vor-

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/285>, abgerufen am 28.09.2024.