Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite
Erster Abschnitt.
Die Atomistik bei den Kirchenvätern.


1. Abneigung gegen die Physik.

An Quellen für die antike Atomistik und an Überliefer-
ungen ihrer Lehren hat es im Mittelalter nicht gefehlt. Aber
dieselben waren ihr nicht günstig. Das theologische Interesse
herrschte unumschränkt; die Theologie war diejenige Wissen-
schaft, der alle übrigen zu dienen hatten, und unter diesen
ihren Hilfswissenschaften glaubte sie der Physik am wenigsten
zu bedürfen. Der Name der Physik fehlt unter der Zahl der
sieben freien Künste, welche als das Trivium der Grammatik,
Rhetorik und Dialektik und als das Quadrivium der Arithmetik,
Musik, Geometrie und Astronomie den Kreis der Anforderungen
erfüllen, den man an wissenschaftliche Bildung stellte. Ja die
Beschäftigung mit der Physik galt eher für nachteilig und
hinderlich, und selbst Gelehrte, welche sich derselben widmeten,
sahen die naturwissenschaftlichen Studien doch immer als
nebensächlich und nur geduldet an.1 Sogar Thomas von Aquino
erklärte noch das Streben nach Erkenntnis der Dinge für
Sünde, soweit es nicht auf die Erkenntnis Gottes zielte.2 Die
Untersuchung der Natur überließ man den Ärzten; der Name
Physicus bedeutete lange Zeit hindurch nichts anderes als
Medicus.3

1 Vgl. v. Eicken, Mittelalt. Weltansch. S. 589 ff. -- Die vollständigen
Titel der citierten Werke s. im Anhang.
2 Summa theologiae secunda sec. quaest. 167, art. 1. Op. Venet. 1593.
T. XI. p. 407.
3 Jourdain, Lat. Übers. d. Arist. S. 242. -- Vgl. den Artikel Physica in
Du Cange, Glossar.
Erster Abschnitt.
Die Atomistik bei den Kirchenvätern.


1. Abneigung gegen die Physik.

An Quellen für die antike Atomistik und an Überliefer-
ungen ihrer Lehren hat es im Mittelalter nicht gefehlt. Aber
dieselben waren ihr nicht günstig. Das theologische Interesse
herrschte unumschränkt; die Theologie war diejenige Wissen-
schaft, der alle übrigen zu dienen hatten, und unter diesen
ihren Hilfswissenschaften glaubte sie der Physik am wenigsten
zu bedürfen. Der Name der Physik fehlt unter der Zahl der
sieben freien Künste, welche als das Trivium der Grammatik,
Rhetorik und Dialektik und als das Quadrivium der Arithmetik,
Musik, Geometrie und Astronomie den Kreis der Anforderungen
erfüllen, den man an wissenschaftliche Bildung stellte. Ja die
Beschäftigung mit der Physik galt eher für nachteilig und
hinderlich, und selbst Gelehrte, welche sich derselben widmeten,
sahen die naturwissenschaftlichen Studien doch immer als
nebensächlich und nur geduldet an.1 Sogar Thomas von Aquino
erklärte noch das Streben nach Erkenntnis der Dinge für
Sünde, soweit es nicht auf die Erkenntnis Gottes zielte.2 Die
Untersuchung der Natur überließ man den Ärzten; der Name
Physicus bedeutete lange Zeit hindurch nichts anderes als
Medicus.3

1 Vgl. v. Eicken, Mittelalt. Weltansch. S. 589 ff. — Die vollständigen
Titel der citierten Werke s. im Anhang.
2 Summa theologiae secunda sec. quaest. 167, art. 1. Op. Venet. 1593.
T. XI. p. 407.
3 Jourdain, Lat. Übers. d. Arist. S. 242. — Vgl. den Artikel Physica in
Du Cange, Glossar.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0029" n="[11]"/>
        <div n="2">
          <head>Erster Abschnitt.<lb/>
Die Atomistik bei den Kirchenvätern.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">1. Abneigung gegen die Physik.</hi> </head><lb/>
            <p>An Quellen für die antike Atomistik und an Überliefer-<lb/>
ungen ihrer Lehren hat es im Mittelalter nicht gefehlt. Aber<lb/>
dieselben waren ihr nicht günstig. Das theologische Interesse<lb/>
herrschte unumschränkt; die Theologie war diejenige Wissen-<lb/>
schaft, der alle übrigen zu dienen hatten, und unter diesen<lb/>
ihren Hilfswissenschaften glaubte sie der Physik am wenigsten<lb/>
zu bedürfen. Der Name der Physik fehlt unter der Zahl der<lb/>
sieben freien Künste, welche als das Trivium der Grammatik,<lb/>
Rhetorik und Dialektik und als das Quadrivium der Arithmetik,<lb/>
Musik, Geometrie und Astronomie den Kreis der Anforderungen<lb/>
erfüllen, den man an wissenschaftliche Bildung stellte. Ja die<lb/>
Beschäftigung mit der Physik galt eher für nachteilig und<lb/>
hinderlich, und selbst Gelehrte, welche sich derselben widmeten,<lb/>
sahen die naturwissenschaftlichen Studien doch immer als<lb/>
nebensächlich und nur geduldet an.<note place="foot" n="1">Vgl. v. <hi rendition="#k">Eicken</hi>, <hi rendition="#i">Mittelalt. Weltansch.</hi> S. 589 ff. &#x2014; Die vollständigen<lb/>
Titel der citierten Werke s. im Anhang.</note> Sogar <hi rendition="#k">Thomas von Aquino</hi><lb/>
erklärte noch das Streben nach Erkenntnis der Dinge für<lb/>
Sünde, soweit es nicht auf die Erkenntnis Gottes zielte.<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">Summa theologiae secunda sec. quaest.</hi> 167, art. 1. Op. Venet. 1593.<lb/>
T. XI. p. 407.</note> Die<lb/>
Untersuchung der Natur überließ man den Ärzten; der Name<lb/>
Physicus bedeutete lange Zeit hindurch nichts anderes als<lb/>
Medicus.<note place="foot" n="3"><hi rendition="#k">Jourdain</hi>, <hi rendition="#i">Lat. Übers. d. Arist.</hi> S. 242. &#x2014; Vgl. den Artikel <hi rendition="#g">Physica</hi> in<lb/><hi rendition="#k">Du Cange</hi>, <hi rendition="#i">Glossar.</hi></note></p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[11]/0029] Erster Abschnitt. Die Atomistik bei den Kirchenvätern. 1. Abneigung gegen die Physik. An Quellen für die antike Atomistik und an Überliefer- ungen ihrer Lehren hat es im Mittelalter nicht gefehlt. Aber dieselben waren ihr nicht günstig. Das theologische Interesse herrschte unumschränkt; die Theologie war diejenige Wissen- schaft, der alle übrigen zu dienen hatten, und unter diesen ihren Hilfswissenschaften glaubte sie der Physik am wenigsten zu bedürfen. Der Name der Physik fehlt unter der Zahl der sieben freien Künste, welche als das Trivium der Grammatik, Rhetorik und Dialektik und als das Quadrivium der Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie den Kreis der Anforderungen erfüllen, den man an wissenschaftliche Bildung stellte. Ja die Beschäftigung mit der Physik galt eher für nachteilig und hinderlich, und selbst Gelehrte, welche sich derselben widmeten, sahen die naturwissenschaftlichen Studien doch immer als nebensächlich und nur geduldet an. 1 Sogar Thomas von Aquino erklärte noch das Streben nach Erkenntnis der Dinge für Sünde, soweit es nicht auf die Erkenntnis Gottes zielte. 2 Die Untersuchung der Natur überließ man den Ärzten; der Name Physicus bedeutete lange Zeit hindurch nichts anderes als Medicus. 3 1 Vgl. v. Eicken, Mittelalt. Weltansch. S. 589 ff. — Die vollständigen Titel der citierten Werke s. im Anhang. 2 Summa theologiae secunda sec. quaest. 167, art. 1. Op. Venet. 1593. T. XI. p. 407. 3 Jourdain, Lat. Übers. d. Arist. S. 242. — Vgl. den Artikel Physica in Du Cange, Glossar.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/29
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. [11]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/29>, abgerufen am 21.11.2024.