Schon in dem Entwickelungsgange der spätern griechi- schen Philosophie hatte die Zurücksetzung der Physik durch das Überwiegen der theosophischen Spekulation sich vorbereitet und zum Teil vollzogen. Die Erklärung Platons, daß man in der Physik nur "Wahrscheinliches" lehren könne1, wurde ver- hängnisvoll bei den Umständen und Tendenzen, unter denen das Mittelalter die Reste der Philosophie überkam. Plutarch gilt vieles in den Naturerscheinungen für so unbegreiflich, daß er die Zurückhaltung des Urteils anempfiehlt,2 und dieser Meinung entspricht denn auch der Erfolg seiner physikalischen Betrachtungen. Das physikalische Interesse ist endlich im Neuplatonismus völlig verschwunden. Wir werden zwar später sehen, in welcher Weise neuplatonische Ideen auch bei der Erneuerung der Physik lebendig geworden sind, aber zunächst tritt nur der theosophische und metaphysische Charakter des Neuplatonismus in Wirksamkeit, welcher der naturwissenschaft- lichen Betrachtung und der mechanischen Erklärungsweise abgeneigt und feindlich ist.
Um so mehr kam er dem Bedürfnis des Christentums ent- gegen. Das Diesseits hat seinen Wert verloren, auf ein besseres Jenseits ist die Sehnsucht der Menschheit gerichtet. Aus dem Jenseits strömt das Heil; ohne Vermittelung der Erkenntnis der Natur, welche nur ein Hemmnis und eine Fessel in der Hingabe an die ewige Wahrheit ist, offenbart sich das Geheimnis des Ewigen der sich in Gott versenkenden Seele. Das religiöse Erlebnis ist die machtvollste Angelegenheit der Menschheit geworden; die Probleme des Kosmos haben ihre Bedeutung verloren. "Gott und die Seele will ich erkennen." "Und nichts weiter?" "Gar nichts weiter". So redet die Ver- nunft zur Seele bei Augustinus.3
Gar nichts weiter soll erkannt werden, als das Verhältnis der Seele zu Gott, und gar nichts weiter kann erkannt werden; der Verstand ist machtlos, nur die Offenbarung durch die Gnade Gottes vermag den Menschen zu erleuchten. Das ist das Thema, welches die Lehrer der Christenheit, die Kirchenväter,
1Timaeus, Cap. 5 am Schluß.
2De primo frig. c. 23. [Schluß.]
3Soliloquia I, c. 2. (§. 7). Op. Antwerpen 1700. Fol. T. I p. 267 (D). Vgl. Dilthey, Geisteswissenschaften. I. S. 326.
Verschwinden des physikalischen Interesses.
Schon in dem Entwickelungsgange der spätern griechi- schen Philosophie hatte die Zurücksetzung der Physik durch das Überwiegen der theosophischen Spekulation sich vorbereitet und zum Teil vollzogen. Die Erklärung Platons, daß man in der Physik nur „Wahrscheinliches‟ lehren könne1, wurde ver- hängnisvoll bei den Umständen und Tendenzen, unter denen das Mittelalter die Reste der Philosophie überkam. Plutarch gilt vieles in den Naturerscheinungen für so unbegreiflich, daß er die Zurückhaltung des Urteils anempfiehlt,2 und dieser Meinung entspricht denn auch der Erfolg seiner physikalischen Betrachtungen. Das physikalische Interesse ist endlich im Neuplatonismus völlig verschwunden. Wir werden zwar später sehen, in welcher Weise neuplatonische Ideen auch bei der Erneuerung der Physik lebendig geworden sind, aber zunächst tritt nur der theosophische und metaphysische Charakter des Neuplatonismus in Wirksamkeit, welcher der naturwissenschaft- lichen Betrachtung und der mechanischen Erklärungsweise abgeneigt und feindlich ist.
Um so mehr kam er dem Bedürfnis des Christentums ent- gegen. Das Diesseits hat seinen Wert verloren, auf ein besseres Jenseits ist die Sehnsucht der Menschheit gerichtet. Aus dem Jenseits strömt das Heil; ohne Vermittelung der Erkenntnis der Natur, welche nur ein Hemmnis und eine Fessel in der Hingabe an die ewige Wahrheit ist, offenbart sich das Geheimnis des Ewigen der sich in Gott versenkenden Seele. Das religiöse Erlebnis ist die machtvollste Angelegenheit der Menschheit geworden; die Probleme des Kosmos haben ihre Bedeutung verloren. „Gott und die Seele will ich erkennen.‟ „Und nichts weiter?‟ „Gar nichts weiter‟. So redet die Ver- nunft zur Seele bei Augustinus.3
Gar nichts weiter soll erkannt werden, als das Verhältnis der Seele zu Gott, und gar nichts weiter kann erkannt werden; der Verstand ist machtlos, nur die Offenbarung durch die Gnade Gottes vermag den Menschen zu erleuchten. Das ist das Thema, welches die Lehrer der Christenheit, die Kirchenväter,
1Timaeus, Cap. 5 am Schluß.
2De primo frig. c. 23. [Schluß.]
3Soliloquia I, c. 2. (§. 7). Op. Antwerpen 1700. Fol. T. I p. 267 (D). Vgl. Dilthey, Geisteswissenschaften. I. S. 326.
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Verschwinden des physikalischen Interesses.
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schen Philosophie hatte die Zurücksetzung der Physik durch
das Überwiegen der theosophischen Spekulation sich vorbereitet
und zum Teil vollzogen. Die Erklärung Platons, daß man in
der Physik nur „Wahrscheinliches‟ lehren könne 1, wurde ver-
hängnisvoll bei den Umständen und Tendenzen, unter denen
das Mittelalter die Reste der Philosophie überkam. Plutarch
gilt vieles in den Naturerscheinungen für so unbegreiflich, daß
er die Zurückhaltung des Urteils anempfiehlt, 2 und dieser
Meinung entspricht denn auch der Erfolg seiner physikalischen
Betrachtungen. Das physikalische Interesse ist endlich im
Neuplatonismus völlig verschwunden. Wir werden zwar später
sehen, in welcher Weise neuplatonische Ideen auch bei der
Erneuerung der Physik lebendig geworden sind, aber zunächst
tritt nur der theosophische und metaphysische Charakter des
Neuplatonismus in Wirksamkeit, welcher der naturwissenschaft-
lichen Betrachtung und der mechanischen Erklärungsweise
abgeneigt und feindlich ist.
Um so mehr kam er dem Bedürfnis des Christentums ent-
gegen. Das Diesseits hat seinen Wert verloren, auf ein
besseres Jenseits ist die Sehnsucht der Menschheit gerichtet.
Aus dem Jenseits strömt das Heil; ohne Vermittelung der
Erkenntnis der Natur, welche nur ein Hemmnis und eine Fessel
in der Hingabe an die ewige Wahrheit ist, offenbart sich das
Geheimnis des Ewigen der sich in Gott versenkenden Seele.
Das religiöse Erlebnis ist die machtvollste Angelegenheit der
Menschheit geworden; die Probleme des Kosmos haben ihre
Bedeutung verloren. „Gott und die Seele will ich erkennen.‟
„Und nichts weiter?‟ „Gar nichts weiter‟. So redet die Ver-
nunft zur Seele bei Augustinus. 3
Gar nichts weiter soll erkannt werden, als das Verhältnis
der Seele zu Gott, und gar nichts weiter kann erkannt werden;
der Verstand ist machtlos, nur die Offenbarung durch die Gnade
Gottes vermag den Menschen zu erleuchten. Das ist das
Thema, welches die Lehrer der Christenheit, die Kirchenväter,
1 Timaeus, Cap. 5 am Schluß.
2 De primo frig. c. 23. [Schluß.]
3 Soliloquia I, c. 2. (§. 7). Op. Antwerpen 1700. Fol. T. I p. 267 (D).
Vgl. Dilthey, Geisteswissenschaften. I. S. 326.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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