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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Cusanus: Empirie. Weltzusammenhang.
auffinden könne, und gibt wertvolle Winke über die Beziehungen,
welche auf diese Weise zwischen anscheinend heterogenen Vor-
gängen entdeckt werden könnten. Es darf die Bedeutung nicht
unterschätzt werden, welche in der richtigen Einsicht liegt,
daß der Mensch in der Wage ein Mittel besitzt zur Feststellung
von gesetzlichen Thatsachen in der Natur, die der einfachen
Beobachtung durch Auge, Ohr und Tastgefühl entgehen.1

Es ist diese Einsicht ein Ausfluß jener freieren Anschau-
ung des Cusaners, die sich auch in seiner unbefangenen Be-
urteilung der verschiedenen Religionen ausspricht, und beson-
ders in seinem Bruche mit der aristotelischen Tradition zu Tage
tritt. Wie er sein eigenes Denken auf keinerlei Autorität
stützen will, so empfiehlt er gegenüber dem scholastischen
Bücherkram das Zurückgehen auf eigene Forschung und das
Lesen in dem großen Buche der Natur, das Gott selbst ge-
schrieben und uns aufgeschlagen hat.2 So macht er sich auch
in Physik und Kosmologie verhältnismäßig frei von Aristoteles.

Es wurde schon bemerkt, daß Cusanus zwischen allen
Dingen der Welt einen lückenlosen Zusammenhang erkennt,
daß das Ganze im einzelnen, das Einzelne im ganzen, alles in
allem ist. In dieser durch Gott belebten Welt findet sich alles in
steter Wechselwirkung, der Untergang einzelner Teile ist nur
ein scheinbarer, nur ein Wechsel der Art des Seins, und der
Tod ist nichts andres als Auflösung zur Mitteilung und Ver-
vielfältigung neuen Lebens.3 Somit verschwindet der wesent-
liche Unterschied zwischen Himmel und Erde, das ganze Welt-
all ist ohne Grenzen im Raume und selbst in steter Bewegung.
Es gibt nichts Unbewegtes in der Welt, denn die grenzenlose
Welt hat keinen Mittelpunkt, und nur dieser könnte unbewegt
sein.4 Daher ist auch die Erde nicht ohne Bewegung, sie ruht
nicht im Zentrum der Welt und ist nicht schlechter als andre
Sterne; sie ist selbst ein Stern, der Bewegung unterworfen,

1 Es wäre interessant, wenn sich jemand der Mühe unterziehen wollte zu
untersuchen, inwieweit zwischen Cusanus und den Arabern, insbesondere
Alkhazinis Wage der Weisheit in dieser Frage ein Zusammenhang besteht.
2 De idiota 1. I. p. 137 u. anderweitig.
3 Vgl. Eucken, Beiträge S. 29.
4 Über die Erhaltung der Bewegung des absolut Runden und die Mitteilung
der Bewegung bei Cusa vgl. Wohlwill, Beharrungsges., S. 11 ff.

Cusanus: Empirie. Weltzusammenhang.
auffinden könne, und gibt wertvolle Winke über die Beziehungen,
welche auf diese Weise zwischen anscheinend heterogenen Vor-
gängen entdeckt werden könnten. Es darf die Bedeutung nicht
unterschätzt werden, welche in der richtigen Einsicht liegt,
daß der Mensch in der Wage ein Mittel besitzt zur Feststellung
von gesetzlichen Thatsachen in der Natur, die der einfachen
Beobachtung durch Auge, Ohr und Tastgefühl entgehen.1

Es ist diese Einsicht ein Ausfluß jener freieren Anschau-
ung des Cusaners, die sich auch in seiner unbefangenen Be-
urteilung der verschiedenen Religionen ausspricht, und beson-
ders in seinem Bruche mit der aristotelischen Tradition zu Tage
tritt. Wie er sein eigenes Denken auf keinerlei Autorität
stützen will, so empfiehlt er gegenüber dem scholastischen
Bücherkram das Zurückgehen auf eigene Forschung und das
Lesen in dem großen Buche der Natur, das Gott selbst ge-
schrieben und uns aufgeschlagen hat.2 So macht er sich auch
in Physik und Kosmologie verhältnismäßig frei von Aristoteles.

Es wurde schon bemerkt, daß Cusanus zwischen allen
Dingen der Welt einen lückenlosen Zusammenhang erkennt,
daß das Ganze im einzelnen, das Einzelne im ganzen, alles in
allem ist. In dieser durch Gott belebten Welt findet sich alles in
steter Wechselwirkung, der Untergang einzelner Teile ist nur
ein scheinbarer, nur ein Wechsel der Art des Seins, und der
Tod ist nichts andres als Auflösung zur Mitteilung und Ver-
vielfältigung neuen Lebens.3 Somit verschwindet der wesent-
liche Unterschied zwischen Himmel und Erde, das ganze Welt-
all ist ohne Grenzen im Raume und selbst in steter Bewegung.
Es gibt nichts Unbewegtes in der Welt, denn die grenzenlose
Welt hat keinen Mittelpunkt, und nur dieser könnte unbewegt
sein.4 Daher ist auch die Erde nicht ohne Bewegung, sie ruht
nicht im Zentrum der Welt und ist nicht schlechter als andre
Sterne; sie ist selbst ein Stern, der Bewegung unterworfen,

1 Es wäre interessant, wenn sich jemand der Mühe unterziehen wollte zu
untersuchen, inwieweit zwischen Cusanus und den Arabern, insbesondere
Alkhazinis Wage der Weisheit in dieser Frage ein Zusammenhang besteht.
2 De idiota 1. I. p. 137 u. anderweitig.
3 Vgl. Eucken, Beiträge S. 29.
4 Über die Erhaltung der Bewegung des absolut Runden und die Mitteilung
der Bewegung bei Cusa vgl. Wohlwill, Beharrungsges., S. 11 ff.
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[280/0298] Cusanus: Empirie. Weltzusammenhang. auffinden könne, und gibt wertvolle Winke über die Beziehungen, welche auf diese Weise zwischen anscheinend heterogenen Vor- gängen entdeckt werden könnten. Es darf die Bedeutung nicht unterschätzt werden, welche in der richtigen Einsicht liegt, daß der Mensch in der Wage ein Mittel besitzt zur Feststellung von gesetzlichen Thatsachen in der Natur, die der einfachen Beobachtung durch Auge, Ohr und Tastgefühl entgehen. 1 Es ist diese Einsicht ein Ausfluß jener freieren Anschau- ung des Cusaners, die sich auch in seiner unbefangenen Be- urteilung der verschiedenen Religionen ausspricht, und beson- ders in seinem Bruche mit der aristotelischen Tradition zu Tage tritt. Wie er sein eigenes Denken auf keinerlei Autorität stützen will, so empfiehlt er gegenüber dem scholastischen Bücherkram das Zurückgehen auf eigene Forschung und das Lesen in dem großen Buche der Natur, das Gott selbst ge- schrieben und uns aufgeschlagen hat. 2 So macht er sich auch in Physik und Kosmologie verhältnismäßig frei von Aristoteles. Es wurde schon bemerkt, daß Cusanus zwischen allen Dingen der Welt einen lückenlosen Zusammenhang erkennt, daß das Ganze im einzelnen, das Einzelne im ganzen, alles in allem ist. In dieser durch Gott belebten Welt findet sich alles in steter Wechselwirkung, der Untergang einzelner Teile ist nur ein scheinbarer, nur ein Wechsel der Art des Seins, und der Tod ist nichts andres als Auflösung zur Mitteilung und Ver- vielfältigung neuen Lebens. 3 Somit verschwindet der wesent- liche Unterschied zwischen Himmel und Erde, das ganze Welt- all ist ohne Grenzen im Raume und selbst in steter Bewegung. Es gibt nichts Unbewegtes in der Welt, denn die grenzenlose Welt hat keinen Mittelpunkt, und nur dieser könnte unbewegt sein. 4 Daher ist auch die Erde nicht ohne Bewegung, sie ruht nicht im Zentrum der Welt und ist nicht schlechter als andre Sterne; sie ist selbst ein Stern, der Bewegung unterworfen, 1 Es wäre interessant, wenn sich jemand der Mühe unterziehen wollte zu untersuchen, inwieweit zwischen Cusanus und den Arabern, insbesondere Alkhazinis Wage der Weisheit in dieser Frage ein Zusammenhang besteht. 2 De idiota 1. I. p. 137 u. anderweitig. 3 Vgl. Eucken, Beiträge S. 29. 4 Über die Erhaltung der Bewegung des absolut Runden und die Mitteilung der Bewegung bei Cusa vgl. Wohlwill, Beharrungsges., S. 11 ff.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/298>, abgerufen am 22.11.2024.