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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Notwendigkeit des Maßes. Mechanismus.
mathematischen Grundzug seiner Untersuchungen hervor, durch
welche allein Licht in die Finsternis gebracht werden könne.1
Vergebens jedoch sei es, dort nach Gesetzen zu suchen, wo man
es nur mit Qualitäten zu thun habe, weil daselbst jeder Maßstab
fehlt und die Messung unmöglich wird.2

Wo aber sind diese Quantitäten zu finden? Wo bieten
die Qualitäten der sinnlichen Empfindung die Möglichkeit, sie
auf Größenbestimmungen zurückzuführen, wo und wie kann
der mathematische Maßstab angelegt werden? Nicht an den
Erscheinungen des organischen Lebens, welche dazu viel zu
kompliziert sind; nicht an den Wahrnehmungen des eigenen
Bewußtseins und Willens, für welche wir überhaupt als solche
kein Maß besitzen. Es konnte nur geschehen an möglichst
einfachen Erscheinungen, an den Vorgängen in der Materie,
welche unabhängig sind von der Willkür des Bewußtseins und
welche in voller Regelmäßigkeit ablaufen. Gerade vom Leben
der Welt mußte man absehen, man mußte die Natur vom
Einflusse des Willens emanzipieren und sie als ein mechanisches
Uhrwerk betrachten, das, einmal aufgezogen, seinen notwendigen
Gang geht. Die beseelte Materie unterlag allerdings auch
dieser Naturnotwendigkeit; hatte doch gerade Averroes die-
selbe hervorgehoben, hatten doch die späteren Naturphilosophen
gerade um ihretwillen die Materie als beseelt betrachtet. Aber
diese Naturnotwendigkeit war nicht zu erkennen. Zur
methodischen Erforschung der Welt wurde der Mecha-
nismus
derselben eine unentbehrliche Voraussetzung, die
mechanische Weltauffassung das allein fördernde Mittel.

Auch diese Emanzipation von einem bestimmenden Willen
war wenigstens in Rücksicht auf das theologische Interesse
schon vorbereitet in Averroes, nur durfte der Nachdruck nicht
auf die Entwickelung der Formen aus der Materie gelegt wer-
den, sondern er mußte fallen auf die absolute Transcendenz
Gottes, welcher die Welt ein für allemal so geordnet hatte,
daß sie im gesetzmäßigen Gange arbeitete. Nicht die Welt

1 Op. V. p. 332. Videas etiam, ipsum plurimum delectari rerum aenig-
matibus tenebrosis, cum ego res ipsas obscuritate involutas in lucem intellectus
proferre nitar. Illud quidem familiare est chymicis, hermeticis, Paracelsistis,
hoc proprium habent mathematici.
2 Op. V. p. 347.
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Notwendigkeit des Maßes. Mechanismus.
mathematischen Grundzug seiner Untersuchungen hervor, durch
welche allein Licht in die Finsternis gebracht werden könne.1
Vergebens jedoch sei es, dort nach Gesetzen zu suchen, wo man
es nur mit Qualitäten zu thun habe, weil daselbst jeder Maßstab
fehlt und die Messung unmöglich wird.2

Wo aber sind diese Quantitäten zu finden? Wo bieten
die Qualitäten der sinnlichen Empfindung die Möglichkeit, sie
auf Größenbestimmungen zurückzuführen, wo und wie kann
der mathematische Maßstab angelegt werden? Nicht an den
Erscheinungen des organischen Lebens, welche dazu viel zu
kompliziert sind; nicht an den Wahrnehmungen des eigenen
Bewußtseins und Willens, für welche wir überhaupt als solche
kein Maß besitzen. Es konnte nur geschehen an möglichst
einfachen Erscheinungen, an den Vorgängen in der Materie,
welche unabhängig sind von der Willkür des Bewußtseins und
welche in voller Regelmäßigkeit ablaufen. Gerade vom Leben
der Welt mußte man absehen, man mußte die Natur vom
Einflusse des Willens emanzipieren und sie als ein mechanisches
Uhrwerk betrachten, das, einmal aufgezogen, seinen notwendigen
Gang geht. Die beseelte Materie unterlag allerdings auch
dieser Naturnotwendigkeit; hatte doch gerade Averroes die-
selbe hervorgehoben, hatten doch die späteren Naturphilosophen
gerade um ihretwillen die Materie als beseelt betrachtet. Aber
diese Naturnotwendigkeit war nicht zu erkennen. Zur
methodischen Erforschung der Welt wurde der Mecha-
nismus
derselben eine unentbehrliche Voraussetzung, die
mechanische Weltauffassung das allein fördernde Mittel.

Auch diese Emanzipation von einem bestimmenden Willen
war wenigstens in Rücksicht auf das theologische Interesse
schon vorbereitet in Averroes, nur durfte der Nachdruck nicht
auf die Entwickelung der Formen aus der Materie gelegt wer-
den, sondern er mußte fallen auf die absolute Transcendenz
Gottes, welcher die Welt ein für allemal so geordnet hatte,
daß sie im gesetzmäßigen Gange arbeitete. Nicht die Welt

1 Op. V. p. 332. Videas etiam, ipsum plurimum delectari rerum aenig-
matibus tenebrosis, cum ego res ipsas obscuritate involutas in lucem intellectus
proferre nitar. Illud quidem familiare est chymicis, hermeticis, Paracelsistis,
hoc proprium habent mathematici.
2 Op. V. p. 347.
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[355/0373] Notwendigkeit des Maßes. Mechanismus. mathematischen Grundzug seiner Untersuchungen hervor, durch welche allein Licht in die Finsternis gebracht werden könne. 1 Vergebens jedoch sei es, dort nach Gesetzen zu suchen, wo man es nur mit Qualitäten zu thun habe, weil daselbst jeder Maßstab fehlt und die Messung unmöglich wird. 2 Wo aber sind diese Quantitäten zu finden? Wo bieten die Qualitäten der sinnlichen Empfindung die Möglichkeit, sie auf Größenbestimmungen zurückzuführen, wo und wie kann der mathematische Maßstab angelegt werden? Nicht an den Erscheinungen des organischen Lebens, welche dazu viel zu kompliziert sind; nicht an den Wahrnehmungen des eigenen Bewußtseins und Willens, für welche wir überhaupt als solche kein Maß besitzen. Es konnte nur geschehen an möglichst einfachen Erscheinungen, an den Vorgängen in der Materie, welche unabhängig sind von der Willkür des Bewußtseins und welche in voller Regelmäßigkeit ablaufen. Gerade vom Leben der Welt mußte man absehen, man mußte die Natur vom Einflusse des Willens emanzipieren und sie als ein mechanisches Uhrwerk betrachten, das, einmal aufgezogen, seinen notwendigen Gang geht. Die beseelte Materie unterlag allerdings auch dieser Naturnotwendigkeit; hatte doch gerade Averroes die- selbe hervorgehoben, hatten doch die späteren Naturphilosophen gerade um ihretwillen die Materie als beseelt betrachtet. Aber diese Naturnotwendigkeit war nicht zu erkennen. Zur methodischen Erforschung der Welt wurde der Mecha- nismus derselben eine unentbehrliche Voraussetzung, die mechanische Weltauffassung das allein fördernde Mittel. Auch diese Emanzipation von einem bestimmenden Willen war wenigstens in Rücksicht auf das theologische Interesse schon vorbereitet in Averroes, nur durfte der Nachdruck nicht auf die Entwickelung der Formen aus der Materie gelegt wer- den, sondern er mußte fallen auf die absolute Transcendenz Gottes, welcher die Welt ein für allemal so geordnet hatte, daß sie im gesetzmäßigen Gange arbeitete. Nicht die Welt 1 Op. V. p. 332. Videas etiam, ipsum plurimum delectari rerum aenig- matibus tenebrosis, cum ego res ipsas obscuritate involutas in lucem intellectus proferre nitar. Illud quidem familiare est chymicis, hermeticis, Paracelsistis, hoc proprium habent mathematici. 2 Op. V. p. 347. 23*

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/373>, abgerufen am 22.11.2024.