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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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G. Bruno: Keine Verwandelbarkeit der Figuren.
der Zwischenräume und Poren nicht bemerkt wird. Auch sei
es ja bekannt, daß die Mathematiker jede geradlinige Figur
in ein Dreieck, dieses in ein Parallelogramm, von da in ein
Rechteck und endlich in ein Quadrat verwandelten, und er
selbst habe in seinem Buche De principiis mensurae et figurae (es
ist dies das 4. Buch De minimo) dergleichen Konstruktionen
gelehrt, aber dies alles sei nur als mathematisch und sehr be-
quem für die sinnliche Anschauung (ad sensum) zuzugeben,
entspreche indes keineswegs den wirklichen Verhältnissen in der
Natur und der verstandesmäßigen Einsicht. Die Bequemlich-
keit für die Sinne beruht darauf, daß die kleinen Un-
gleichheiten, welche bei diesen Umformungen auftreten, nicht
berücksichtigt werden, da sie allerdings nur für das Denken,
nicht aber für die sinnliche Anschauung vorhanden sind.1 Für
das Denken und in der Wirklichkeit der Natur existiert also
keinerlei Verwandlung der Figuren; dieselbe kann vielmehr
stets nur eine äußerliche, niemals eine von innen heraus be-
wirkte sein; und dies gilt natürlich auch für die Quadratur des
Zirkels.2

Der spezielle Grund, auf welchen Bruno diesen Schluß
stützt, daß nämlich Figuren mit gleicher Anzahl Minimen wegen
des ungleichmäßigen Zuwachses nicht möglich wären, ist
übrigens nicht richtig, denn thatsächlich kann in den Reihen
der verschiedenen Polygonalzahlen sich dieselbe Zahl wieder-
holen; so ist z. B. 36 sowohl die achte Dreieckszahl als die
sechste Quadratzahl, d. h. 36 Kreise kann man sowohl zu einem
Dreieck als zu einem Quadrate zusammenlegen; in die Seite
des Dreiecks kämen dann 8, in die Seite des Quadrats 6 Kreise
zu liegen. Ebenso kann man 91 Kreise, welche ein Dreieck
bilden, in dessen Seite 13 derselben liegen, so zusammenlegen,
daß jene sechseckige Figur, als welche Bruno den Kreis auf-
faßt, entsteht, wenn man den Radius gleich 6 nimmt. Der
Schluß, welchen Bruno zieht, daß sich streng genommen und
absolut eine Figur niemals in eine andre verwandeln ließe, be-
ruht also auf einem mathematischen Irrtum; das hat aber nicht
viel zu sagen, da Bruno noch viel weiterreichende Gründe für
seine Behauptung bei der Hand hat.

1 De min. II, 8. Schol. p. 81--83.
2 De min. III, 12. Schol. p. 128.

G. Bruno: Keine Verwandelbarkeit der Figuren.
der Zwischenräume und Poren nicht bemerkt wird. Auch sei
es ja bekannt, daß die Mathematiker jede geradlinige Figur
in ein Dreieck, dieses in ein Parallelogramm, von da in ein
Rechteck und endlich in ein Quadrat verwandelten, und er
selbst habe in seinem Buche De principiis mensurae et figurae (es
ist dies das 4. Buch De minimo) dergleichen Konstruktionen
gelehrt, aber dies alles sei nur als mathematisch und sehr be-
quem für die sinnliche Anschauung (ad sensum) zuzugeben,
entspreche indes keineswegs den wirklichen Verhältnissen in der
Natur und der verstandesmäßigen Einsicht. Die Bequemlich-
keit für die Sinne beruht darauf, daß die kleinen Un-
gleichheiten, welche bei diesen Umformungen auftreten, nicht
berücksichtigt werden, da sie allerdings nur für das Denken,
nicht aber für die sinnliche Anschauung vorhanden sind.1 Für
das Denken und in der Wirklichkeit der Natur existiert also
keinerlei Verwandlung der Figuren; dieselbe kann vielmehr
stets nur eine äußerliche, niemals eine von innen heraus be-
wirkte sein; und dies gilt natürlich auch für die Quadratur des
Zirkels.2

Der spezielle Grund, auf welchen Bruno diesen Schluß
stützt, daß nämlich Figuren mit gleicher Anzahl Minimen wegen
des ungleichmäßigen Zuwachses nicht möglich wären, ist
übrigens nicht richtig, denn thatsächlich kann in den Reihen
der verschiedenen Polygonalzahlen sich dieselbe Zahl wieder-
holen; so ist z. B. 36 sowohl die achte Dreieckszahl als die
sechste Quadratzahl, d. h. 36 Kreise kann man sowohl zu einem
Dreieck als zu einem Quadrate zusammenlegen; in die Seite
des Dreiecks kämen dann 8, in die Seite des Quadrats 6 Kreise
zu liegen. Ebenso kann man 91 Kreise, welche ein Dreieck
bilden, in dessen Seite 13 derselben liegen, so zusammenlegen,
daß jene sechseckige Figur, als welche Bruno den Kreis auf-
faßt, entsteht, wenn man den Radius gleich 6 nimmt. Der
Schluß, welchen Bruno zieht, daß sich streng genommen und
absolut eine Figur niemals in eine andre verwandeln ließe, be-
ruht also auf einem mathematischen Irrtum; das hat aber nicht
viel zu sagen, da Bruno noch viel weiterreichende Gründe für
seine Behauptung bei der Hand hat.

1 De min. II, 8. Schol. p. 81—83.
2 De min. III, 12. Schol. p. 128.
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[374/0392] G. Bruno: Keine Verwandelbarkeit der Figuren. der Zwischenräume und Poren nicht bemerkt wird. Auch sei es ja bekannt, daß die Mathematiker jede geradlinige Figur in ein Dreieck, dieses in ein Parallelogramm, von da in ein Rechteck und endlich in ein Quadrat verwandelten, und er selbst habe in seinem Buche De principiis mensurae et figurae (es ist dies das 4. Buch De minimo) dergleichen Konstruktionen gelehrt, aber dies alles sei nur als mathematisch und sehr be- quem für die sinnliche Anschauung (ad sensum) zuzugeben, entspreche indes keineswegs den wirklichen Verhältnissen in der Natur und der verstandesmäßigen Einsicht. Die Bequemlich- keit für die Sinne beruht darauf, daß die kleinen Un- gleichheiten, welche bei diesen Umformungen auftreten, nicht berücksichtigt werden, da sie allerdings nur für das Denken, nicht aber für die sinnliche Anschauung vorhanden sind. 1 Für das Denken und in der Wirklichkeit der Natur existiert also keinerlei Verwandlung der Figuren; dieselbe kann vielmehr stets nur eine äußerliche, niemals eine von innen heraus be- wirkte sein; und dies gilt natürlich auch für die Quadratur des Zirkels. 2 Der spezielle Grund, auf welchen Bruno diesen Schluß stützt, daß nämlich Figuren mit gleicher Anzahl Minimen wegen des ungleichmäßigen Zuwachses nicht möglich wären, ist übrigens nicht richtig, denn thatsächlich kann in den Reihen der verschiedenen Polygonalzahlen sich dieselbe Zahl wieder- holen; so ist z. B. 36 sowohl die achte Dreieckszahl als die sechste Quadratzahl, d. h. 36 Kreise kann man sowohl zu einem Dreieck als zu einem Quadrate zusammenlegen; in die Seite des Dreiecks kämen dann 8, in die Seite des Quadrats 6 Kreise zu liegen. Ebenso kann man 91 Kreise, welche ein Dreieck bilden, in dessen Seite 13 derselben liegen, so zusammenlegen, daß jene sechseckige Figur, als welche Bruno den Kreis auf- faßt, entsteht, wenn man den Radius gleich 6 nimmt. Der Schluß, welchen Bruno zieht, daß sich streng genommen und absolut eine Figur niemals in eine andre verwandeln ließe, be- ruht also auf einem mathematischen Irrtum; das hat aber nicht viel zu sagen, da Bruno noch viel weiterreichende Gründe für seine Behauptung bei der Hand hat. 1 De min. II, 8. Schol. p. 81—83. 2 De min. III, 12. Schol. p. 128.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/392>, abgerufen am 22.11.2024.