Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

G. Bruno: Atomistische Mathematik.
rührung der kreis- oder kugelförmigen Atome stattfindet; eine
solche Reihe von Minimen heißt ein filum. Aus dieser Auf-
fassung der Geraden widerlegen sich diejenigen Einwände,
welche man von seiten der Mathematik gegen die Zusammen-
setzung des Raumes aus starren Punkten hat machen wollen.
Man hat eben den Punkt als Minimum vom Punkte als Ter-
minus nicht unterschieden. Man müßte aber berücksichtigen,
daß z. B. im Quadrat zwar die Atome in den Seiten und den
Parallelen dazu, nicht aber in den Diagonalen sich berühren,
daß also diese weiter voneinander abstehen. Daher ist die
Diagonale keineswegs gleich der Seite, wie die Gegner der
Atomistik wollen.1 Auch gibt es vom Mittelpunkte des
Kreises aus nach der Peripherie durchaus nicht unendlich viele
Radien, sondern in Wahrheit nicht mehr als 6 gerade Linien, da nur
6 Kreise von einem (gleich großen) Kreise berührt werden. In
dem einfachsten Falle, daß nur 6 Minima um das Minimum
in der Mitte gelegt sind, enthält der Radius 2 Minima; fügt
man noch einen Gnomon hinzu, so besteht der Radius aus
3 Minimen u. s. w.2

Wenn zwei gerade Linien sich unter einem schiefen Winkel
schneiden, so wäre es irrtümlich, zu glauben, daß sie sich in
einem Punkte schneiden, sondern sie berühren sich secundum
longum.
3 Eine Berührung von Kreisen untereinander und mit
Geraden braucht überhaupt nicht immer in einem Punkte statt-
zufinden; insbesondere wird ein sehr großer Kreis mit einer
Geraden sich nicht punctualiter, sondern linealiter berühren.4 Es
folgt ferner aus der runden Gestalt der Minima, daß ein Win-
kel im allgemeinen nicht in mehr als zwei gleiche Teile (ab-
solut genommen) geteilt werden kann, weil sich von dem Mini-
mum in seinem Scheitel im allgemeinen zwischen den Schen-
keln nicht mehr als eine (reelle) Gerade ziehen lassen wird --
es lassen sich nämlich, wie schon gesagt, von einem Punkte
aus in der Ebene überhaupt nur 6 gerade Linien ziehen.5
Durch die atomistische Fassung des Raumes glaubt Bruno end-

1 De min. II, 13. p. 89, 90.
2 De min. III, 2. Schol. p. 103. Vgl. Fig. 5. S. 373.
3 De min. II, 13. Schol. p. 91.
4 De min. II. 15. p. 95, 96.
5 De min. III, 3. p. 104 f.

G. Bruno: Atomistische Mathematik.
rührung der kreis- oder kugelförmigen Atome stattfindet; eine
solche Reihe von Minimen heißt ein filum. Aus dieser Auf-
fassung der Geraden widerlegen sich diejenigen Einwände,
welche man von seiten der Mathematik gegen die Zusammen-
setzung des Raumes aus starren Punkten hat machen wollen.
Man hat eben den Punkt als Minimum vom Punkte als Ter-
minus nicht unterschieden. Man müßte aber berücksichtigen,
daß z. B. im Quadrat zwar die Atome in den Seiten und den
Parallelen dazu, nicht aber in den Diagonalen sich berühren,
daß also diese weiter voneinander abstehen. Daher ist die
Diagonale keineswegs gleich der Seite, wie die Gegner der
Atomistik wollen.1 Auch gibt es vom Mittelpunkte des
Kreises aus nach der Peripherie durchaus nicht unendlich viele
Radien, sondern in Wahrheit nicht mehr als 6 gerade Linien, da nur
6 Kreise von einem (gleich großen) Kreise berührt werden. In
dem einfachsten Falle, daß nur 6 Minima um das Minimum
in der Mitte gelegt sind, enthält der Radius 2 Minima; fügt
man noch einen Gnomon hinzu, so besteht der Radius aus
3 Minimen u. s. w.2

Wenn zwei gerade Linien sich unter einem schiefen Winkel
schneiden, so wäre es irrtümlich, zu glauben, daß sie sich in
einem Punkte schneiden, sondern sie berühren sich secundum
longum.
3 Eine Berührung von Kreisen untereinander und mit
Geraden braucht überhaupt nicht immer in einem Punkte statt-
zufinden; insbesondere wird ein sehr großer Kreis mit einer
Geraden sich nicht punctualiter, sondern linealiter berühren.4 Es
folgt ferner aus der runden Gestalt der Minima, daß ein Win-
kel im allgemeinen nicht in mehr als zwei gleiche Teile (ab-
solut genommen) geteilt werden kann, weil sich von dem Mini-
mum in seinem Scheitel im allgemeinen zwischen den Schen-
keln nicht mehr als eine (reelle) Gerade ziehen lassen wird —
es lassen sich nämlich, wie schon gesagt, von einem Punkte
aus in der Ebene überhaupt nur 6 gerade Linien ziehen.5
Durch die atomistische Fassung des Raumes glaubt Bruno end-

1 De min. II, 13. p. 89, 90.
2 De min. III, 2. Schol. p. 103. Vgl. Fig. 5. S. 373.
3 De min. II, 13. Schol. p. 91.
4 De min. II. 15. p. 95, 96.
5 De min. III, 3. p. 104 f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0394" n="376"/><fw place="top" type="header">G. <hi rendition="#k">Bruno</hi>: Atomistische Mathematik.</fw><lb/>
rührung der kreis- oder kugelförmigen Atome stattfindet; eine<lb/>
solche Reihe von Minimen heißt ein <hi rendition="#i">filum.</hi> Aus dieser Auf-<lb/>
fassung der Geraden widerlegen sich diejenigen Einwände,<lb/>
welche man von seiten der Mathematik gegen die Zusammen-<lb/>
setzung des Raumes aus starren Punkten hat machen wollen.<lb/>
Man hat eben den Punkt als Minimum vom Punkte als Ter-<lb/>
minus nicht unterschieden. Man müßte aber berücksichtigen,<lb/>
daß z. B. im Quadrat zwar die Atome in den Seiten und den<lb/>
Parallelen dazu, nicht aber in den Diagonalen sich berühren,<lb/>
daß also diese weiter voneinander abstehen. Daher ist die<lb/>
Diagonale keineswegs gleich der Seite, wie die Gegner der<lb/>
Atomistik wollen.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">De min.</hi> II, 13. p. 89, 90.</note> Auch gibt es vom Mittelpunkte des<lb/>
Kreises aus nach der Peripherie durchaus nicht unendlich viele<lb/>
Radien, sondern in Wahrheit nicht mehr als 6 gerade Linien, da nur<lb/>
6 Kreise von einem (gleich großen) Kreise berührt werden. In<lb/>
dem einfachsten Falle, daß nur 6 Minima um das Minimum<lb/>
in der Mitte gelegt sind, enthält der Radius 2 Minima; fügt<lb/>
man noch einen Gnomon hinzu, so besteht der Radius aus<lb/>
3 Minimen u. s. w.<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">De min.</hi> III, 2. Schol. p. 103. Vgl. Fig. 5. S. 373.</note></p><lb/>
            <p>Wenn zwei gerade Linien sich unter einem schiefen Winkel<lb/>
schneiden, so wäre es irrtümlich, zu glauben, daß sie sich in<lb/>
einem Punkte schneiden, sondern sie berühren sich <hi rendition="#i">secundum<lb/>
longum.</hi><note place="foot" n="3"><hi rendition="#i">De min.</hi> II, 13. Schol. p. 91.</note> Eine Berührung von Kreisen untereinander und mit<lb/>
Geraden braucht überhaupt nicht immer in einem Punkte statt-<lb/>
zufinden; insbesondere wird ein sehr großer Kreis mit einer<lb/>
Geraden sich nicht <hi rendition="#i">punctualiter</hi>, sondern <hi rendition="#i">linealiter</hi> berühren.<note place="foot" n="4"><hi rendition="#i">De min.</hi> II. 15. p. 95, 96.</note> Es<lb/>
folgt ferner aus der runden Gestalt der Minima, daß ein Win-<lb/>
kel im allgemeinen nicht in mehr als zwei gleiche Teile (ab-<lb/>
solut genommen) geteilt werden kann, weil sich von dem Mini-<lb/>
mum in seinem Scheitel im allgemeinen zwischen den Schen-<lb/>
keln nicht mehr als eine (reelle) Gerade ziehen lassen wird &#x2014;<lb/>
es lassen sich nämlich, wie schon gesagt, von einem Punkte<lb/>
aus in der Ebene überhaupt nur 6 gerade Linien ziehen.<note place="foot" n="5"><hi rendition="#i">De min.</hi> III, 3. p. 104 f.</note><lb/>
Durch die atomistische Fassung des Raumes glaubt <hi rendition="#k">Bruno</hi> end-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[376/0394] G. Bruno: Atomistische Mathematik. rührung der kreis- oder kugelförmigen Atome stattfindet; eine solche Reihe von Minimen heißt ein filum. Aus dieser Auf- fassung der Geraden widerlegen sich diejenigen Einwände, welche man von seiten der Mathematik gegen die Zusammen- setzung des Raumes aus starren Punkten hat machen wollen. Man hat eben den Punkt als Minimum vom Punkte als Ter- minus nicht unterschieden. Man müßte aber berücksichtigen, daß z. B. im Quadrat zwar die Atome in den Seiten und den Parallelen dazu, nicht aber in den Diagonalen sich berühren, daß also diese weiter voneinander abstehen. Daher ist die Diagonale keineswegs gleich der Seite, wie die Gegner der Atomistik wollen. 1 Auch gibt es vom Mittelpunkte des Kreises aus nach der Peripherie durchaus nicht unendlich viele Radien, sondern in Wahrheit nicht mehr als 6 gerade Linien, da nur 6 Kreise von einem (gleich großen) Kreise berührt werden. In dem einfachsten Falle, daß nur 6 Minima um das Minimum in der Mitte gelegt sind, enthält der Radius 2 Minima; fügt man noch einen Gnomon hinzu, so besteht der Radius aus 3 Minimen u. s. w. 2 Wenn zwei gerade Linien sich unter einem schiefen Winkel schneiden, so wäre es irrtümlich, zu glauben, daß sie sich in einem Punkte schneiden, sondern sie berühren sich secundum longum. 3 Eine Berührung von Kreisen untereinander und mit Geraden braucht überhaupt nicht immer in einem Punkte statt- zufinden; insbesondere wird ein sehr großer Kreis mit einer Geraden sich nicht punctualiter, sondern linealiter berühren. 4 Es folgt ferner aus der runden Gestalt der Minima, daß ein Win- kel im allgemeinen nicht in mehr als zwei gleiche Teile (ab- solut genommen) geteilt werden kann, weil sich von dem Mini- mum in seinem Scheitel im allgemeinen zwischen den Schen- keln nicht mehr als eine (reelle) Gerade ziehen lassen wird — es lassen sich nämlich, wie schon gesagt, von einem Punkte aus in der Ebene überhaupt nur 6 gerade Linien ziehen. 5 Durch die atomistische Fassung des Raumes glaubt Bruno end- 1 De min. II, 13. p. 89, 90. 2 De min. III, 2. Schol. p. 103. Vgl. Fig. 5. S. 373. 3 De min. II, 13. Schol. p. 91. 4 De min. II. 15. p. 95, 96. 5 De min. III, 3. p. 104 f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/394
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/394>, abgerufen am 01.06.2024.