der ausgedehnten räumlichen Figur nur die starre Konstanz derselben, nicht aber seine Dimensionen, seine Gestalt, sein bestimmtes Volumen verloren hat, kann dasselbe nunmehr selbst wieder als Element der Zusammensetzung dienen. Brunos räumliches Minimum ist nicht der mathematische Punkt, sondern das mathematische Volumenelement;Bruno hat mit seinem Minimum nichts geringeres geleistet, als den fruchtbaren und positiven Begriff des Unendlichkleinen zu erfassen.
Wir bemerken den Fortschritt, welchen Bruno über Cusanus hinaus in der Entdeckung des Denkmittels der Variabilität gemacht hat, ganz im Geiste seines Meisters. Cusanus hatte das Erkennen als ein Messen erklärt; das Messen bedarf des Maßes. Dieses Maß suchte Bruno, er suchte es in jedem Ge- biete des Seins und nannte es Minimum. Im Minimum findet er die Realität der Dinge gewährleistet. Aber hier zeigt sich eine Hemmung seines genialen Denkens durch die geschicht- liche Gewalt des Substanzialitätsbegriffs. Das Minimum selbst ist für Bruno wieder die Substanz der Dinge, die Realität also noch immer an die Substanz geknüpft. Freilich ist es keine starre Substanz, sondern nur dadurch ist es Bedingung der Wirklichkeit, daß es das Werden der Dinge einschließt. Es enthält die Tendenz der gesetzlichen Veränderung der Dinge. Was Cusanus fühlte, aber noch nicht begrifflich zu fassen vermochte, was bei ihm als der unbestimmte Begriff des die Gegensätze einenden Unendlichen auftritt, das bannt Bruno in den schöpferischen Typus der Monade, des Mini- mums.
Er hat damit aus dem Kontinuum das erzeugende Element ausgesondert und den Grundgedanken formuliert, welcher not- wendig war, um der Erscheinungswelt Selbständigkeit in einem ihr immanenten Begriffe zu verleihen. Trotzdem ist seine ganze Philosophie nur vorbereitend, weil er Substanzialität und Variabilität noch nicht zu trennen vermochte. Alle die Begriffe aber, welche die Naturwissenschaft zur Aufstellung einer Atomistik braucht, hat er durchdacht. Die Körper ge- winnen das Kontinuum ihrer Räumlichkeit durch die Erzeugung aus dem Minimum; ihre Festigkeit und Solidität ist durch das physikalische Atom gegeben. Selbst der verbindende Welt- äther fehlt nicht, und in der brunonischen Substanz kann man
Fortschritt über Cusanus. Minimum als Realität.
der ausgedehnten räumlichen Figur nur die starre Konstanz derselben, nicht aber seine Dimensionen, seine Gestalt, sein bestimmtes Volumen verloren hat, kann dasselbe nunmehr selbst wieder als Element der Zusammensetzung dienen. Brunos räumliches Minimum ist nicht der mathematische Punkt, sondern das mathematische Volumenelement;Bruno hat mit seinem Minimum nichts geringeres geleistet, als den fruchtbaren und positiven Begriff des Unendlichkleinen zu erfassen.
Wir bemerken den Fortschritt, welchen Bruno über Cusanus hinaus in der Entdeckung des Denkmittels der Variabilität gemacht hat, ganz im Geiste seines Meisters. Cusanus hatte das Erkennen als ein Messen erklärt; das Messen bedarf des Maßes. Dieses Maß suchte Bruno, er suchte es in jedem Ge- biete des Seins und nannte es Minimum. Im Minimum findet er die Realität der Dinge gewährleistet. Aber hier zeigt sich eine Hemmung seines genialen Denkens durch die geschicht- liche Gewalt des Substanzialitätsbegriffs. Das Minimum selbst ist für Bruno wieder die Substanz der Dinge, die Realität also noch immer an die Substanz geknüpft. Freilich ist es keine starre Substanz, sondern nur dadurch ist es Bedingung der Wirklichkeit, daß es das Werden der Dinge einschließt. Es enthält die Tendenz der gesetzlichen Veränderung der Dinge. Was Cusanus fühlte, aber noch nicht begrifflich zu fassen vermochte, was bei ihm als der unbestimmte Begriff des die Gegensätze einenden Unendlichen auftritt, das bannt Bruno in den schöpferischen Typus der Monade, des Mini- mums.
Er hat damit aus dem Kontinuum das erzeugende Element ausgesondert und den Grundgedanken formuliert, welcher not- wendig war, um der Erscheinungswelt Selbständigkeit in einem ihr immanenten Begriffe zu verleihen. Trotzdem ist seine ganze Philosophie nur vorbereitend, weil er Substanzialität und Variabilität noch nicht zu trennen vermochte. Alle die Begriffe aber, welche die Naturwissenschaft zur Aufstellung einer Atomistik braucht, hat er durchdacht. Die Körper ge- winnen das Kontinuum ihrer Räumlichkeit durch die Erzeugung aus dem Minimum; ihre Festigkeit und Solidität ist durch das physikalische Atom gegeben. Selbst der verbindende Welt- äther fehlt nicht, und in der brunonischen Substanz kann man
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Fortschritt über Cusanus. Minimum als Realität.
der ausgedehnten räumlichen Figur nur die starre Konstanz
derselben, nicht aber seine Dimensionen, seine Gestalt, sein
bestimmtes Volumen verloren hat, kann dasselbe nunmehr
selbst wieder als Element der Zusammensetzung dienen. Brunos
räumliches Minimum ist nicht der mathematische Punkt, sondern
das mathematische Volumenelement; Bruno hat mit seinem
Minimum nichts geringeres geleistet, als den fruchtbaren und
positiven Begriff des Unendlichkleinen zu erfassen.
Wir bemerken den Fortschritt, welchen Bruno über Cusanus
hinaus in der Entdeckung des Denkmittels der Variabilität
gemacht hat, ganz im Geiste seines Meisters. Cusanus hatte
das Erkennen als ein Messen erklärt; das Messen bedarf des
Maßes. Dieses Maß suchte Bruno, er suchte es in jedem Ge-
biete des Seins und nannte es Minimum. Im Minimum findet
er die Realität der Dinge gewährleistet. Aber hier zeigt sich
eine Hemmung seines genialen Denkens durch die geschicht-
liche Gewalt des Substanzialitätsbegriffs. Das Minimum selbst
ist für Bruno wieder die Substanz der Dinge, die Realität
also noch immer an die Substanz geknüpft. Freilich ist es
keine starre Substanz, sondern nur dadurch ist es Bedingung
der Wirklichkeit, daß es das Werden der Dinge einschließt.
Es enthält die Tendenz der gesetzlichen Veränderung der
Dinge. Was Cusanus fühlte, aber noch nicht begrifflich zu
fassen vermochte, was bei ihm als der unbestimmte Begriff
des die Gegensätze einenden Unendlichen auftritt, das bannt
Bruno in den schöpferischen Typus der Monade, des Mini-
mums.
Er hat damit aus dem Kontinuum das erzeugende Element
ausgesondert und den Grundgedanken formuliert, welcher not-
wendig war, um der Erscheinungswelt Selbständigkeit in einem
ihr immanenten Begriffe zu verleihen. Trotzdem ist seine
ganze Philosophie nur vorbereitend, weil er Substanzialität
und Variabilität noch nicht zu trennen vermochte. Alle die
Begriffe aber, welche die Naturwissenschaft zur Aufstellung
einer Atomistik braucht, hat er durchdacht. Die Körper ge-
winnen das Kontinuum ihrer Räumlichkeit durch die Erzeugung
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das physikalische Atom gegeben. Selbst der verbindende Welt-
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/407>, abgerufen am 22.11.2024.
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