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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Bitault, Villon, de Claves.
2. Die Disputation des de Claves und ihre Folgen.

Die Veröffentlichungen von Sennert, Gorlaeus, Bacon,
Basso
und d'Espagnet, welche in die Jahre 1619--1623 fallen,
zeigen, daß in dieser Zeit die Korpuskulartheorie bereits weite
Verbreitung und zahlreiche Anhänger gefunden hatte. Dennoch
durfte sie sich im Zentrum der damaligen Wissenschaft, in
Paris, unter der Herrschaft des Aristotelismus noch nicht ans
Tageslicht wagen. Der erste Versuch zu einer öffentlichen
Agitation für die Atomistik fand in Paris im Jahre 1624 statt,
und derselbe sollte für die Entwickelung der Korpuskulartheorie
nicht weniger verhängnisvolle Folgen haben, als der Inquisi-
tionsprozeß Galileis für den Fortschritt der freien Forschung
überhaupt.

Am 24. und 25. August 1624 beabsichtigten Jean Bitault,
Antoine Villon
und Etienne de Claves (Stephanus Clavius
oder Clavesius) Thesen gegen Aristoteles und Paracelsus
öffentlich zu diskutieren.1 Bitault sollte dieselben verteidigen,
Villon, genannt le Soldat philosophe, wie es scheint, ein etwas
unruhiger Kopf und in allen Sätteln sich gerecht fühlender
Autodidakt, war zum Richter und Leiter bestimmt, de Cla-
ves
, ein in der Chemie erfahrener Arzt, sollte präsidieren und
die erforderlichen Experimente anstellen.

Von diesen Thesen heben wir in Bezug auf die atomistische
Lehre folgendes hervor.2 Die erste These bezeichnet die An-
nahme einer materia prima als trüglich und unbegründet, die
zweite behauptet dasselbe von den substanziellen Formen. In

1 Mercure francois, T. X. Paris 1625. p. 504 ff. -- De Launoy, De var.
Arist. in acad. Paris. fort. Op.
T. IV p. 220 ff. -- Sorel, S. 501. -- Kästner,
Gesch. d. Math. IV S. 459. -- Über die Lebensverhältnisse der drei Genannten
konnte ich Näheres nicht ermitteln. Von de Claves werden zwei Schriften
angeführt: Des principes de Nature, Paris 1635, 8°, und Nouvelles lumieres
philosophiques
(?), die jedoch in keiner der mir zugänglichen Bibliotheken
vorhanden sind. Jacques Gaffarel, Curiositez inouyes c. 5, n. 9 p. 100 nennt
de Claves "un des excellents Chimistes de notre temps", nach Bayle, Dict.
Art. "Chesne" II p. 156. In der mir vorliegenden lateinischen Übersetzung,
Hamburg 1676, fehlt der Name de Claves (p. 99). Auch in Jungius' Briefwechsel
wird de Clave erwähnt.
2 De Launoy, a. a. O. Op. T. IV. p. 225 f.
Bitault, Villon, de Claves.
2. Die Disputation des de Claves und ihre Folgen.

Die Veröffentlichungen von Sennert, Gorlaeus, Bacon,
Basso
und d’Espagnet, welche in die Jahre 1619—1623 fallen,
zeigen, daß in dieser Zeit die Korpuskulartheorie bereits weite
Verbreitung und zahlreiche Anhänger gefunden hatte. Dennoch
durfte sie sich im Zentrum der damaligen Wissenschaft, in
Paris, unter der Herrschaft des Aristotelismus noch nicht ans
Tageslicht wagen. Der erste Versuch zu einer öffentlichen
Agitation für die Atomistik fand in Paris im Jahre 1624 statt,
und derselbe sollte für die Entwickelung der Korpuskulartheorie
nicht weniger verhängnisvolle Folgen haben, als der Inquisi-
tionsprozeß Galileis für den Fortschritt der freien Forschung
überhaupt.

Am 24. und 25. August 1624 beabsichtigten Jean Bitault,
Antoine Villon
und Etienne de Claves (Stephanus Clavius
oder Clavesius) Thesen gegen Aristoteles und Paracelsus
öffentlich zu diskutieren.1 Bitault sollte dieselben verteidigen,
Villon, genannt le Soldat philosophe, wie es scheint, ein etwas
unruhiger Kopf und in allen Sätteln sich gerecht fühlender
Autodidakt, war zum Richter und Leiter bestimmt, de Cla-
ves
, ein in der Chemie erfahrener Arzt, sollte präsidieren und
die erforderlichen Experimente anstellen.

Von diesen Thesen heben wir in Bezug auf die atomistische
Lehre folgendes hervor.2 Die erste These bezeichnet die An-
nahme einer materia prima als trüglich und unbegründet, die
zweite behauptet dasselbe von den substanziellen Formen. In

1 Mercure françois, T. X. Paris 1625. p. 504 ff. — De Launoy, De var.
Arist. in acad. Paris. fort. Op.
T. IV p. 220 ff. — Sorel, S. 501. — Kästner,
Gesch. d. Math. IV S. 459. — Über die Lebensverhältnisse der drei Genannten
konnte ich Näheres nicht ermitteln. Von de Claves werden zwei Schriften
angeführt: Des principes de Nature, Paris 1635, 8°, und Nouvelles lumières
philosophiques
(?), die jedoch in keiner der mir zugänglichen Bibliotheken
vorhanden sind. Jacques Gaffarel, Curiositez inouyes c. 5, n. 9 p. 100 nennt
de Claves „un des excellents Chimistes de notre temps‟, nach Bayle, Dict.
Art. „Chesne‟ II p. 156. In der mir vorliegenden lateinischen Übersetzung,
Hamburg 1676, fehlt der Name de Claves (p. 99). Auch in Jungius’ Briefwechsel
wird de Clave erwähnt.
2 De Launoy, a. a. O. Op. T. IV. p. 225 f.
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[482/0500] Bitault, Villon, de Claves. 2. Die Disputation des de Claves und ihre Folgen. Die Veröffentlichungen von Sennert, Gorlaeus, Bacon, Basso und d’Espagnet, welche in die Jahre 1619—1623 fallen, zeigen, daß in dieser Zeit die Korpuskulartheorie bereits weite Verbreitung und zahlreiche Anhänger gefunden hatte. Dennoch durfte sie sich im Zentrum der damaligen Wissenschaft, in Paris, unter der Herrschaft des Aristotelismus noch nicht ans Tageslicht wagen. Der erste Versuch zu einer öffentlichen Agitation für die Atomistik fand in Paris im Jahre 1624 statt, und derselbe sollte für die Entwickelung der Korpuskulartheorie nicht weniger verhängnisvolle Folgen haben, als der Inquisi- tionsprozeß Galileis für den Fortschritt der freien Forschung überhaupt. Am 24. und 25. August 1624 beabsichtigten Jean Bitault, Antoine Villon und Etienne de Claves (Stephanus Clavius oder Clavesius) Thesen gegen Aristoteles und Paracelsus öffentlich zu diskutieren. 1 Bitault sollte dieselben verteidigen, Villon, genannt le Soldat philosophe, wie es scheint, ein etwas unruhiger Kopf und in allen Sätteln sich gerecht fühlender Autodidakt, war zum Richter und Leiter bestimmt, de Cla- ves, ein in der Chemie erfahrener Arzt, sollte präsidieren und die erforderlichen Experimente anstellen. Von diesen Thesen heben wir in Bezug auf die atomistische Lehre folgendes hervor. 2 Die erste These bezeichnet die An- nahme einer materia prima als trüglich und unbegründet, die zweite behauptet dasselbe von den substanziellen Formen. In 1 Mercure françois, T. X. Paris 1625. p. 504 ff. — De Launoy, De var. Arist. in acad. Paris. fort. Op. T. IV p. 220 ff. — Sorel, S. 501. — Kästner, Gesch. d. Math. IV S. 459. — Über die Lebensverhältnisse der drei Genannten konnte ich Näheres nicht ermitteln. Von de Claves werden zwei Schriften angeführt: Des principes de Nature, Paris 1635, 8°, und Nouvelles lumières philosophiques (?), die jedoch in keiner der mir zugänglichen Bibliotheken vorhanden sind. Jacques Gaffarel, Curiositez inouyes c. 5, n. 9 p. 100 nennt de Claves „un des excellents Chimistes de notre temps‟, nach Bayle, Dict. Art. „Chesne‟ II p. 156. In der mir vorliegenden lateinischen Übersetzung, Hamburg 1676, fehlt der Name de Claves (p. 99). Auch in Jungius’ Briefwechsel wird de Clave erwähnt. 2 De Launoy, a. a. O. Op. T. IV. p. 225 f.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/500>, abgerufen am 22.11.2024.