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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Isidorus über Epikur. Beda.
gibt er nicht bloß mit der nötigen Reserve, sondern er fügt
an andrer Stelle, wo er auf Epikur zu sprechen kommt, fol-
gende kräftige Bemerkungen hinzu. "Die Epikureer haben
ihren Namen von einem gewissen Philosophen Epicurus, einem
Verehrer der Eitelkeit, nicht der Weisheit, den sogar die alten
Philosophen selbst ein Schwein nannten; er wälzt sich gleich-
sam im Kote des Fleisches, er nennt die Lust des Körpers das
höchste Gut; auch hat er behauptet, daß die Welt nicht durch
göttliche Vorsehung geschaffen oder geleitet sei; vielmehr schreibt
er den Ursprung der Dinge den Atomen zu, d. h. unteilbaren
und festen Körpern, durch deren zufällige Zusammenstöße
alles entsteht und entstanden ist. Sie behaupten aber, daß
Gott nicht wirke, daß alles aus Körpern bestehe, daß die
Seele nichts andres sei als ein Körper."1

Das ist das Warnungsschild, welches Isidor der bloßen
Erwähnung der Atomenlehre beigibt. Es dürfte seine Wir-
kung nicht verfehlt haben. Mehr und mehr schwindet das
Verständnis für die Physik der Alten.

Beda beschränkt sich in seiner Schrift De natura rerum
ebenfalls auf die Anführung der Lehre von den vier Elementen.
In seiner kleinen Abhandlung De divisionibus temporum ent-
nimmt er dem Isidor einige seiner Angaben über die Atome.
"Atome nennen die Philosophen gewisse in der Welt vorhan-
dene so äußerst kleine Teile, daß sie der Sichtbarkeit sich
entziehen und der Zerlegung nicht fähig sind; sie werden
gleich den Sonnenstäubchen hierhin und dahin getragen."2

Hier ist die Bemerkung fortgelassen, daß die Atome sich
im Leeren bewegen. Wer mochte sich auch darum kümmern,

1 Lib. VIII. c. 6. §. 15, 16.
2 Venerabilis Bedae Opera. 8 Bde. Fol. Colon. Agripp. 1688. De divisio-
nibus temporum liber.
Tom. I. p. 90. Isidorus diffinivit dicens: atomos
philosophi dicunt quasdam in mundo partes minutissimas, ut visui facile non
pateant, nec sectionem recipiant: huc illucque ferantur sicut tenuissimi pulveres,
qui infusi per fenestras radiis Solis fugantur. Discipulus: Quot sunt genera
atomorum? Magister: Quinque. D. Quae? M. Atomus in corpore, atomus in
Sole, atomus in oratione, atomus in numero, atomus in tempore. D. Atomus
in corpore quomodo est? M. Quicquid minimum in corporibus, quod secari aut
dividi non potest, atomus dicitur, veluti sunt minutissima grana arenarum: ut
capillus dixit, Findere me nulli possunt, praecidere multi. Est enim pilus in
corpore, qui per longum vix dividi potest.
Laßwitz. 3

Isidorus über Epikur. Beda.
gibt er nicht bloß mit der nötigen Reserve, sondern er fügt
an andrer Stelle, wo er auf Epikur zu sprechen kommt, fol-
gende kräftige Bemerkungen hinzu. „Die Epikureer haben
ihren Namen von einem gewissen Philosophen Epicurus, einem
Verehrer der Eitelkeit, nicht der Weisheit, den sogar die alten
Philosophen selbst ein Schwein nannten; er wälzt sich gleich-
sam im Kote des Fleisches, er nennt die Lust des Körpers das
höchste Gut; auch hat er behauptet, daß die Welt nicht durch
göttliche Vorsehung geschaffen oder geleitet sei; vielmehr schreibt
er den Ursprung der Dinge den Atomen zu, d. h. unteilbaren
und festen Körpern, durch deren zufällige Zusammenstöße
alles entsteht und entstanden ist. Sie behaupten aber, daß
Gott nicht wirke, daß alles aus Körpern bestehe, daß die
Seele nichts andres sei als ein Körper.‟1

Das ist das Warnungsschild, welches Isidor der bloßen
Erwähnung der Atomenlehre beigibt. Es dürfte seine Wir-
kung nicht verfehlt haben. Mehr und mehr schwindet das
Verständnis für die Physik der Alten.

Beda beschränkt sich in seiner Schrift De natura rerum
ebenfalls auf die Anführung der Lehre von den vier Elementen.
In seiner kleinen Abhandlung De divisionibus temporum ent-
nimmt er dem Isidor einige seiner Angaben über die Atome.
„Atome nennen die Philosophen gewisse in der Welt vorhan-
dene so äußerst kleine Teile, daß sie der Sichtbarkeit sich
entziehen und der Zerlegung nicht fähig sind; sie werden
gleich den Sonnenstäubchen hierhin und dahin getragen.‟2

Hier ist die Bemerkung fortgelassen, daß die Atome sich
im Leeren bewegen. Wer mochte sich auch darum kümmern,

1 Lib. VIII. c. 6. §. 15, 16.
2 Venerabilis Bedae Opera. 8 Bde. Fol. Colon. Agripp. 1688. De divisio-
nibus temporum liber.
Tom. I. p. 90. Isidorus diffinivit dicens: atomos
philosophi dicunt quasdam in mundo partes minutissimas, ut visui facile non
pateant, nec sectionem recipiant: huc illucque ferantur sicut tenuissimi pulveres,
qui infusi per fenestras radiis Solis fugantur. Discipulus: Quot sunt genera
atomorum? Magister: Quinque. D. Quae? M. Atomus in corpore, atomus in
Sole, atomus in oratione, atomus in numero, atomus in tempore. D. Atomus
in corpore quomodo est? M. Quicquid minimum in corporibus, quod secari aut
dividi non potest, atomus dicitur, veluti sunt minutissima grana arenarum: ut
capillus dixit, Findere me nulli possunt, praecidere multi. Est enim pilus in
corpore, qui per longum vix dividi potest.
Laßwitz. 3
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[33/0051] Isidorus über Epikur. Beda. gibt er nicht bloß mit der nötigen Reserve, sondern er fügt an andrer Stelle, wo er auf Epikur zu sprechen kommt, fol- gende kräftige Bemerkungen hinzu. „Die Epikureer haben ihren Namen von einem gewissen Philosophen Epicurus, einem Verehrer der Eitelkeit, nicht der Weisheit, den sogar die alten Philosophen selbst ein Schwein nannten; er wälzt sich gleich- sam im Kote des Fleisches, er nennt die Lust des Körpers das höchste Gut; auch hat er behauptet, daß die Welt nicht durch göttliche Vorsehung geschaffen oder geleitet sei; vielmehr schreibt er den Ursprung der Dinge den Atomen zu, d. h. unteilbaren und festen Körpern, durch deren zufällige Zusammenstöße alles entsteht und entstanden ist. Sie behaupten aber, daß Gott nicht wirke, daß alles aus Körpern bestehe, daß die Seele nichts andres sei als ein Körper.‟ 1 Das ist das Warnungsschild, welches Isidor der bloßen Erwähnung der Atomenlehre beigibt. Es dürfte seine Wir- kung nicht verfehlt haben. Mehr und mehr schwindet das Verständnis für die Physik der Alten. Beda beschränkt sich in seiner Schrift De natura rerum ebenfalls auf die Anführung der Lehre von den vier Elementen. In seiner kleinen Abhandlung De divisionibus temporum ent- nimmt er dem Isidor einige seiner Angaben über die Atome. „Atome nennen die Philosophen gewisse in der Welt vorhan- dene so äußerst kleine Teile, daß sie der Sichtbarkeit sich entziehen und der Zerlegung nicht fähig sind; sie werden gleich den Sonnenstäubchen hierhin und dahin getragen.‟ 2 Hier ist die Bemerkung fortgelassen, daß die Atome sich im Leeren bewegen. Wer mochte sich auch darum kümmern, 1 Lib. VIII. c. 6. §. 15, 16. 2 Venerabilis Bedae Opera. 8 Bde. Fol. Colon. Agripp. 1688. De divisio- nibus temporum liber. Tom. I. p. 90. Isidorus diffinivit dicens: atomos philosophi dicunt quasdam in mundo partes minutissimas, ut visui facile non pateant, nec sectionem recipiant: huc illucque ferantur sicut tenuissimi pulveres, qui infusi per fenestras radiis Solis fugantur. Discipulus: Quot sunt genera atomorum? Magister: Quinque. D. Quae? M. Atomus in corpore, atomus in Sole, atomus in oratione, atomus in numero, atomus in tempore. D. Atomus in corpore quomodo est? M. Quicquid minimum in corporibus, quod secari aut dividi non potest, atomus dicitur, veluti sunt minutissima grana arenarum: ut capillus dixit, Findere me nulli possunt, praecidere multi. Est enim pilus in corpore, qui per longum vix dividi potest. Laßwitz. 3

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/51>, abgerufen am 24.11.2024.