Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehntes Kapitel.
machen und der Anziehung der Erde nur durch einen
schwachen Korrekturschuß nachzuhelfen.

Die Diabarität wurde aufgehoben. Mit höchster
Spannung warteten wir die nächste Beobachtung ab.
War in der früheren Berechnung irgend ein kleiner
Fehler vorgekommen, so konnte es sein, daß wir nach
dem Monde statt nach der Erde fielen. Noch stand
er über uns, mit seiner glänzenden Scheibe einen
beträchtlichen Teil des Himmels verdeckend, denn sein
Durchmesser erschien 26 mal so groß, wie hier von
der Erde aus. Deutlich unterschieden wir jede Einzel-
heit an seiner Oberfläche. Die riesigen Ringgebirge
lagen wie zum Greifen vor uns. Die langgestreckten
Lavafelder, durch die tiefschwarzen Schatten breiter
Risse unterbrochen, glänzten blendend im Sonnenlicht.
Unter uns, bereits merklich kleiner als der Mond,
schwebte die Erde als matte Scheibe, vom Schimmer
des Mondlichts erleuchtet; nur eine schmale Sichel
zeigte sich im Strahl der Sonne. Wenn wir uns
von der Sonne, die nahe neben der Erde stand, ab-
wendeten, glänzten überall am tiefschwarzen Firmament
die Sterne in leuchtender Pracht. Es war ein herrlicher
Anblick, aber wir achteten nicht darauf. Wir warteten
nur, ob unsere Kugel beginnen würde sich zu drehen,
d. h. den Boden unter unsern Füßen dem Monde
zuzuwenden; dies wäre das Zeichen gewesen, daß wir
dem Monde und nicht mehr der Erde tributär waren.
Noch näherten wir uns dem Monde, da er noch immer
ein wenig vor uns in unserer Richtung stand. Noch
überwog die Anziehung der Erde, doch war sie von

Vierzehntes Kapitel.
machen und der Anziehung der Erde nur durch einen
ſchwachen Korrekturſchuß nachzuhelfen.

Die Diabarität wurde aufgehoben. Mit höchſter
Spannung warteten wir die nächſte Beobachtung ab.
War in der früheren Berechnung irgend ein kleiner
Fehler vorgekommen, ſo konnte es ſein, daß wir nach
dem Monde ſtatt nach der Erde fielen. Noch ſtand
er über uns, mit ſeiner glänzenden Scheibe einen
beträchtlichen Teil des Himmels verdeckend, denn ſein
Durchmeſſer erſchien 26 mal ſo groß, wie hier von
der Erde aus. Deutlich unterſchieden wir jede Einzel-
heit an ſeiner Oberfläche. Die rieſigen Ringgebirge
lagen wie zum Greifen vor uns. Die langgeſtreckten
Lavafelder, durch die tiefſchwarzen Schatten breiter
Riſſe unterbrochen, glänzten blendend im Sonnenlicht.
Unter uns, bereits merklich kleiner als der Mond,
ſchwebte die Erde als matte Scheibe, vom Schimmer
des Mondlichts erleuchtet; nur eine ſchmale Sichel
zeigte ſich im Strahl der Sonne. Wenn wir uns
von der Sonne, die nahe neben der Erde ſtand, ab-
wendeten, glänzten überall am tiefſchwarzen Firmament
die Sterne in leuchtender Pracht. Es war ein herrlicher
Anblick, aber wir achteten nicht darauf. Wir warteten
nur, ob unſere Kugel beginnen würde ſich zu drehen,
d. h. den Boden unter unſern Füßen dem Monde
zuzuwenden; dies wäre das Zeichen geweſen, daß wir
dem Monde und nicht mehr der Erde tributär waren.
Noch näherten wir uns dem Monde, da er noch immer
ein wenig vor uns in unſerer Richtung ſtand. Noch
überwog die Anziehung der Erde, doch war ſie von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="208"/><fw place="top" type="header">Vierzehntes Kapitel.</fw><lb/>
machen und der Anziehung der Erde nur durch einen<lb/>
&#x017F;chwachen Korrektur&#x017F;chuß nachzuhelfen.</p><lb/>
          <p>Die Diabarität wurde aufgehoben. Mit höch&#x017F;ter<lb/>
Spannung warteten wir die näch&#x017F;te Beobachtung ab.<lb/>
War in der früheren Berechnung irgend ein kleiner<lb/>
Fehler vorgekommen, &#x017F;o konnte es &#x017F;ein, daß wir nach<lb/>
dem Monde &#x017F;tatt nach der Erde fielen. Noch &#x017F;tand<lb/>
er über uns, mit &#x017F;einer glänzenden Scheibe einen<lb/>
beträchtlichen Teil des Himmels verdeckend, denn &#x017F;ein<lb/>
Durchme&#x017F;&#x017F;er er&#x017F;chien 26 mal &#x017F;o groß, wie hier von<lb/>
der Erde aus. Deutlich unter&#x017F;chieden wir jede Einzel-<lb/>
heit an &#x017F;einer Oberfläche. Die rie&#x017F;igen Ringgebirge<lb/>
lagen wie zum Greifen vor uns. Die langge&#x017F;treckten<lb/>
Lavafelder, durch die tief&#x017F;chwarzen Schatten breiter<lb/>
Ri&#x017F;&#x017F;e unterbrochen, glänzten blendend im Sonnenlicht.<lb/>
Unter uns, bereits merklich kleiner als der Mond,<lb/>
&#x017F;chwebte die Erde als matte Scheibe, vom Schimmer<lb/>
des Mondlichts erleuchtet; nur eine &#x017F;chmale Sichel<lb/>
zeigte &#x017F;ich im Strahl der Sonne. Wenn wir uns<lb/>
von der Sonne, die nahe neben der Erde &#x017F;tand, ab-<lb/>
wendeten, glänzten überall am tief&#x017F;chwarzen Firmament<lb/>
die Sterne in leuchtender Pracht. Es war ein herrlicher<lb/>
Anblick, aber wir achteten nicht darauf. Wir warteten<lb/>
nur, ob un&#x017F;ere Kugel beginnen würde &#x017F;ich zu drehen,<lb/>
d. h. den Boden unter un&#x017F;ern Füßen dem Monde<lb/>
zuzuwenden; dies wäre das Zeichen gewe&#x017F;en, daß wir<lb/>
dem Monde und nicht mehr der Erde tributär waren.<lb/>
Noch näherten wir uns dem Monde, da er noch immer<lb/>
ein wenig vor uns in un&#x017F;erer Richtung &#x017F;tand. Noch<lb/>
überwog die Anziehung der Erde, doch war &#x017F;ie von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0216] Vierzehntes Kapitel. machen und der Anziehung der Erde nur durch einen ſchwachen Korrekturſchuß nachzuhelfen. Die Diabarität wurde aufgehoben. Mit höchſter Spannung warteten wir die nächſte Beobachtung ab. War in der früheren Berechnung irgend ein kleiner Fehler vorgekommen, ſo konnte es ſein, daß wir nach dem Monde ſtatt nach der Erde fielen. Noch ſtand er über uns, mit ſeiner glänzenden Scheibe einen beträchtlichen Teil des Himmels verdeckend, denn ſein Durchmeſſer erſchien 26 mal ſo groß, wie hier von der Erde aus. Deutlich unterſchieden wir jede Einzel- heit an ſeiner Oberfläche. Die rieſigen Ringgebirge lagen wie zum Greifen vor uns. Die langgeſtreckten Lavafelder, durch die tiefſchwarzen Schatten breiter Riſſe unterbrochen, glänzten blendend im Sonnenlicht. Unter uns, bereits merklich kleiner als der Mond, ſchwebte die Erde als matte Scheibe, vom Schimmer des Mondlichts erleuchtet; nur eine ſchmale Sichel zeigte ſich im Strahl der Sonne. Wenn wir uns von der Sonne, die nahe neben der Erde ſtand, ab- wendeten, glänzten überall am tiefſchwarzen Firmament die Sterne in leuchtender Pracht. Es war ein herrlicher Anblick, aber wir achteten nicht darauf. Wir warteten nur, ob unſere Kugel beginnen würde ſich zu drehen, d. h. den Boden unter unſern Füßen dem Monde zuzuwenden; dies wäre das Zeichen geweſen, daß wir dem Monde und nicht mehr der Erde tributär waren. Noch näherten wir uns dem Monde, da er noch immer ein wenig vor uns in unſerer Richtung ſtand. Noch überwog die Anziehung der Erde, doch war ſie von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/216
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/216>, abgerufen am 25.11.2024.