sicht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, so daß ich den Gegner verletze, so beruht mein Fehler darauf, daß ich nicht Zeit zur Ueberlegung hatte. Warum sind die Nume soviel milder als die Menschen? Weil sie schneller denken. Jm Augenblick des Affekts ist das Bewußtsein des Menschen ganz vom sinnlichen Reize erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu durchlaufen, die ihm die Folgen seiner Handlungen zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann ist es zu spät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber sein Gehirn ist so geübt, daß im Moment der ganze Zusammenhang der Folgen seines Zustandes ihm ins Bewußtsein tritt und sein Handeln bestimmt. Das ist es, was man Besonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten sie die Griechen für der Tugenden höchste, aber sie wußten sie nicht zu erringen. Lassen Sie uns den Jrrtum verringern, und wir werden die Menschen bessern."
"Die Leidenschaften werden Sie nicht ausmerzen."
"Daran denke ich natürlich nicht. Jn ihnen ruht ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen sich ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und müssen wir durch den Verstand regulieren. Auch die Schwächen der Nume -- und die werden Sie nicht leugnen -- beruhen auf demselben Grunde wie die der Menschen. Sie sind vom Leben sinnlicher Wesen untrennbar. Die starken Gefühle sind die großen Reservoirs der Energie des Gehirns, aus denen sie zur Wechselwirkung des Lebens herausströmt. Wären sie nicht mehr da, so hörte das Leben auf, so hörte
Zweiunddreißigſtes Kapitel.
ſicht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, ſo daß ich den Gegner verletze, ſo beruht mein Fehler darauf, daß ich nicht Zeit zur Ueberlegung hatte. Warum ſind die Nume ſoviel milder als die Menſchen? Weil ſie ſchneller denken. Jm Augenblick des Affekts iſt das Bewußtſein des Menſchen ganz vom ſinnlichen Reize erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu durchlaufen, die ihm die Folgen ſeiner Handlungen zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann iſt es zu ſpät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber ſein Gehirn iſt ſo geübt, daß im Moment der ganze Zuſammenhang der Folgen ſeines Zuſtandes ihm ins Bewußtſein tritt und ſein Handeln beſtimmt. Das iſt es, was man Beſonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten ſie die Griechen für der Tugenden höchſte, aber ſie wußten ſie nicht zu erringen. Laſſen Sie uns den Jrrtum verringern, und wir werden die Menſchen beſſern.‟
„Die Leidenſchaften werden Sie nicht ausmerzen.‟
„Daran denke ich natürlich nicht. Jn ihnen ruht ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen ſich ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und müſſen wir durch den Verſtand regulieren. Auch die Schwächen der Nume — und die werden Sie nicht leugnen — beruhen auf demſelben Grunde wie die der Menſchen. Sie ſind vom Leben ſinnlicher Weſen untrennbar. Die ſtarken Gefühle ſind die großen Reſervoirs der Energie des Gehirns, aus denen ſie zur Wechſelwirkung des Lebens herausſtrömt. Wären ſie nicht mehr da, ſo hörte das Leben auf, ſo hörte
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Zweiunddreißigſtes Kapitel.
ſicht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, ſo daß
ich den Gegner verletze, ſo beruht mein Fehler darauf,
daß ich nicht Zeit zur Ueberlegung hatte. Warum
ſind die Nume ſoviel milder als die Menſchen? Weil
ſie ſchneller denken. Jm Augenblick des Affekts iſt das
Bewußtſein des Menſchen ganz vom ſinnlichen Reize
erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu
durchlaufen, die ihm die Folgen ſeiner Handlungen
zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann iſt
es zu ſpät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den
Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber ſein Gehirn iſt
ſo geübt, daß im Moment der ganze Zuſammenhang
der Folgen ſeines Zuſtandes ihm ins Bewußtſein tritt
und ſein Handeln beſtimmt. Das iſt es, was man
Beſonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten ſie die
Griechen für der Tugenden höchſte, aber ſie wußten
ſie nicht zu erringen. Laſſen Sie uns den Jrrtum
verringern, und wir werden die Menſchen beſſern.‟
„Die Leidenſchaften werden Sie nicht ausmerzen.‟
„Daran denke ich natürlich nicht. Jn ihnen ruht
ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen ſich
ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und
müſſen wir durch den Verſtand regulieren. Auch die
Schwächen der Nume — und die werden Sie nicht
leugnen — beruhen auf demſelben Grunde wie die
der Menſchen. Sie ſind vom Leben ſinnlicher Weſen
untrennbar. Die ſtarken Gefühle ſind die großen
Reſervoirs der Energie des Gehirns, aus denen ſie
zur Wechſelwirkung des Lebens herausſtrömt. Wären
ſie nicht mehr da, ſo hörte das Leben auf, ſo hörte
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/100>, abgerufen am 16.07.2024.
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