und zarte Finger warf. "Jch bin natürlich Rundistin, aber das thut nichts. Sie wollen gewiß auch das neue Meisterwerk tasten? Blu hat sich wieder selbst übertroffen! Das ist das hohe Lied des Widerstandes, die Sphärenmusik des Hautsinns!" Und sie kniff die Augen schwärmerisch zusammen, daß sie zwischen den Fettpolstern ihrer Augenlider verschwanden.
"Jch muß gestehen", sagte Jsma schüchtern, "ich bin noch ganz unerfahren in der Tastkunst. Jch weiß gar nicht --"
"Was? Wie? Sie wissen nicht?" Sie betrachtete Jsma näher. "Sie sind wohl aus dem Norden von den Streifen, wenn ich fragen darf? Sie waren noch nie in Kla?"
"Nein, meine Heimat ist fern von hier."
"Aber Blu sollten Sie doch kennen. Sie ist doch die größte -- neidlos gestehe ich es, obwohl ich selbst Künstlerin bin. Und von allen Künsten ist wieder die Tastkunst die höchste. Auge, Ohr, Geruch, selbst Ge- schmack -- was will das alles sagen! Der Tastsinn ist doch der intimste aller Sinne. Hier berühren wir die Dinge unmittelbar, sie bleiben uns nicht in der Ferne. Und schmecken ist ja eigentlich auch ein Tasten, nur ein unreines, gestört durch Gerüche und durch Salziges, Saueres, Bitteres, Süßes -- aber die Finger- spitzen, die Handflächen, das sind die wahren Schlüssel zur Schönheit. Und hier im Tasten enthüllt sich die Kunst in ihrer höchsten Freiheit. Hier überwindet sie am reinsten die Macht des Wirklichen, das vitale Jn- teresse. Was wir sehen, was wir hören, bleibt uns
Neunundzwanzigſtes Kapitel.
und zarte Finger warf. „Jch bin natürlich Rundiſtin, aber das thut nichts. Sie wollen gewiß auch das neue Meiſterwerk taſten? Blu hat ſich wieder ſelbſt übertroffen! Das iſt das hohe Lied des Widerſtandes, die Sphärenmuſik des Hautſinns!‟ Und ſie kniff die Augen ſchwärmeriſch zuſammen, daß ſie zwiſchen den Fettpolſtern ihrer Augenlider verſchwanden.
„Jch muß geſtehen‟, ſagte Jsma ſchüchtern, „ich bin noch ganz unerfahren in der Taſtkunſt. Jch weiß gar nicht —‟
„Was? Wie? Sie wiſſen nicht?‟ Sie betrachtete Jsma näher. „Sie ſind wohl aus dem Norden von den Streifen, wenn ich fragen darf? Sie waren noch nie in Kla?‟
„Nein, meine Heimat iſt fern von hier.‟
„Aber Blu ſollten Sie doch kennen. Sie iſt doch die größte — neidlos geſtehe ich es, obwohl ich ſelbſt Künſtlerin bin. Und von allen Künſten iſt wieder die Taſtkunſt die höchſte. Auge, Ohr, Geruch, ſelbſt Ge- ſchmack — was will das alles ſagen! Der Taſtſinn iſt doch der intimſte aller Sinne. Hier berühren wir die Dinge unmittelbar, ſie bleiben uns nicht in der Ferne. Und ſchmecken iſt ja eigentlich auch ein Taſten, nur ein unreines, geſtört durch Gerüche und durch Salziges, Saueres, Bitteres, Süßes — aber die Finger- ſpitzen, die Handflächen, das ſind die wahren Schlüſſel zur Schönheit. Und hier im Taſten enthüllt ſich die Kunſt in ihrer höchſten Freiheit. Hier überwindet ſie am reinſten die Macht des Wirklichen, das vitale Jn- tereſſe. Was wir ſehen, was wir hören, bleibt uns
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Neunundzwanzigſtes Kapitel.
und zarte Finger warf. „Jch bin natürlich Rundiſtin,
aber das thut nichts. Sie wollen gewiß auch das
neue Meiſterwerk taſten? Blu hat ſich wieder ſelbſt
übertroffen! Das iſt das hohe Lied des Widerſtandes,
die Sphärenmuſik des Hautſinns!‟ Und ſie kniff die
Augen ſchwärmeriſch zuſammen, daß ſie zwiſchen den
Fettpolſtern ihrer Augenlider verſchwanden.
„Jch muß geſtehen‟, ſagte Jsma ſchüchtern, „ich
bin noch ganz unerfahren in der Taſtkunſt. Jch weiß
gar nicht —‟
„Was? Wie? Sie wiſſen nicht?‟ Sie betrachtete
Jsma näher. „Sie ſind wohl aus dem Norden von
den Streifen, wenn ich fragen darf? Sie waren noch nie
in Kla?‟
„Nein, meine Heimat iſt fern von hier.‟
„Aber Blu ſollten Sie doch kennen. Sie iſt doch
die größte — neidlos geſtehe ich es, obwohl ich ſelbſt
Künſtlerin bin. Und von allen Künſten iſt wieder die
Taſtkunſt die höchſte. Auge, Ohr, Geruch, ſelbſt Ge-
ſchmack — was will das alles ſagen! Der Taſtſinn
iſt doch der intimſte aller Sinne. Hier berühren wir
die Dinge unmittelbar, ſie bleiben uns nicht in der
Ferne. Und ſchmecken iſt ja eigentlich auch ein Taſten,
nur ein unreines, geſtört durch Gerüche und durch
Salziges, Saueres, Bitteres, Süßes — aber die Finger-
ſpitzen, die Handflächen, das ſind die wahren Schlüſſel
zur Schönheit. Und hier im Taſten enthüllt ſich die
Kunſt in ihrer höchſten Freiheit. Hier überwindet ſie
am reinſten die Macht des Wirklichen, das vitale Jn-
tereſſe. Was wir ſehen, was wir hören, bleibt uns
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/48>, abgerufen am 21.11.2024.
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