Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Aus dem Tagebuche einer Ameise. wer kann! -- Jn meinem Forschungseifer hatte ich michauf den Tisch gewagt, während Lydia -- das ist so ein Menschenname, den man garnicht aussprechen kann -- den Brief zusammenfaltete. Jn diesem Augenblicke ging die Thür auf. Lydia hatte kaum Zeit, die Papiere und das Bild zusammenzuraffen und in ein Schränkchen zu verschließen, das zu dem Tische gehörte. Das alte Weibchen war hereingekommen. Dies war, wie ich bald erfuhr, Lydias "Mutter"; bei den Menschen hat näm- lich jeder seine eigene "Mutter" -- ein mir nicht ganz klarer Begriff. Sie war ungehalten, daß Lydia noch schrieb, und fragte, was sie da so eilig verberge? Sie griff nach einem Blatte, das liegen geblieben war, aber jetzt erblickte sie mich, und mit dem Ausruf: "Eine Ameise! Jch kann die Tiere in den Tod nicht leiden!" schlug sie nach mir. Jch entfloh unter das Schreibzeug, sie rückte es fort, sie jagte mich weiter, endlich aber gelang es mir mich zu verbergen, und wie ich aus meinem Versteck bemerkte, hatte Lydia inzwischen auch das letzte Blättchen gerettet. Wieder ein Beispiel von der Eigentümlichkeit der Menschen sich gegenseitig manches zu verbergen! Das Licht war verschwunden. Jch konnte mich nach Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. wer kann! — Jn meinem Forſchungseifer hatte ich michauf den Tiſch gewagt, während Lydia — das iſt ſo ein Menſchenname, den man garnicht ausſprechen kann — den Brief zuſammenfaltete. Jn dieſem Augenblicke ging die Thür auf. Lydia hatte kaum Zeit, die Papiere und das Bild zuſammenzuraffen und in ein Schränkchen zu verſchließen, das zu dem Tiſche gehörte. Das alte Weibchen war hereingekommen. Dies war, wie ich bald erfuhr, Lydias „Mutter“; bei den Menſchen hat näm- lich jeder ſeine eigene „Mutter“ — ein mir nicht ganz klarer Begriff. Sie war ungehalten, daß Lydia noch ſchrieb, und fragte, was ſie da ſo eilig verberge? Sie griff nach einem Blatte, das liegen geblieben war, aber jetzt erblickte ſie mich, und mit dem Ausruf: „Eine Ameiſe! Jch kann die Tiere in den Tod nicht leiden!“ ſchlug ſie nach mir. Jch entfloh unter das Schreibzeug, ſie rückte es fort, ſie jagte mich weiter, endlich aber gelang es mir mich zu verbergen, und wie ich aus meinem Verſteck bemerkte, hatte Lydia inzwiſchen auch das letzte Blättchen gerettet. Wieder ein Beiſpiel von der Eigentümlichkeit der Menſchen ſich gegenſeitig manches zu verbergen! Das Licht war verſchwunden. Jch konnte mich nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0112" n="106"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi></fw><lb/> wer kann! — Jn meinem Forſchungseifer hatte ich mich<lb/> auf den Tiſch gewagt, während Lydia — das iſt ſo ein<lb/> Menſchenname, den man garnicht ausſprechen kann —<lb/> den Brief zuſammenfaltete. Jn dieſem Augenblicke ging<lb/> die Thür auf. Lydia hatte kaum Zeit, die Papiere<lb/> und das Bild zuſammenzuraffen und in ein Schränkchen<lb/> zu verſchließen, das zu dem Tiſche gehörte. Das alte<lb/> Weibchen war hereingekommen. Dies war, wie ich bald<lb/> erfuhr, Lydias „Mutter“; bei den Menſchen hat näm-<lb/> lich jeder ſeine eigene „Mutter“ — ein mir nicht ganz<lb/> klarer Begriff. Sie war ungehalten, daß Lydia noch<lb/> ſchrieb, und fragte, was ſie da ſo eilig verberge? Sie<lb/> griff nach einem Blatte, das liegen geblieben war, aber<lb/> jetzt erblickte ſie mich, und mit dem Ausruf: „Eine<lb/> Ameiſe! Jch kann die Tiere in den Tod nicht leiden!“<lb/> ſchlug ſie nach mir. Jch entfloh unter das Schreibzeug,<lb/> ſie rückte es fort, ſie jagte mich weiter, endlich aber<lb/> gelang es mir mich zu verbergen, und wie ich aus<lb/> meinem Verſteck bemerkte, hatte Lydia inzwiſchen auch<lb/> das letzte Blättchen gerettet. Wieder ein Beiſpiel von<lb/> der Eigentümlichkeit der Menſchen ſich gegenſeitig manches<lb/> zu verbergen!</p><lb/> <p>Das Licht war verſchwunden. Jch konnte mich nach<lb/> kurzer Ruhe hervorwagen und meine Entdeckungsreiſe<lb/> beginnen, denn im Finſtern ſehen die Menſchen nichts.<lb/> Mein Ziel war das Schränkchen, in das ich durch das<lb/> Schlüſſelloch eindrang. Jch fand Käſtchen mit Schmuck-<lb/> ſachen, vertrocknete Blumen, Papiere und Briefe, und<lb/> ich nahm mir vor, hier eingehende Studien zu<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0112]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
wer kann! — Jn meinem Forſchungseifer hatte ich mich
auf den Tiſch gewagt, während Lydia — das iſt ſo ein
Menſchenname, den man garnicht ausſprechen kann —
den Brief zuſammenfaltete. Jn dieſem Augenblicke ging
die Thür auf. Lydia hatte kaum Zeit, die Papiere
und das Bild zuſammenzuraffen und in ein Schränkchen
zu verſchließen, das zu dem Tiſche gehörte. Das alte
Weibchen war hereingekommen. Dies war, wie ich bald
erfuhr, Lydias „Mutter“; bei den Menſchen hat näm-
lich jeder ſeine eigene „Mutter“ — ein mir nicht ganz
klarer Begriff. Sie war ungehalten, daß Lydia noch
ſchrieb, und fragte, was ſie da ſo eilig verberge? Sie
griff nach einem Blatte, das liegen geblieben war, aber
jetzt erblickte ſie mich, und mit dem Ausruf: „Eine
Ameiſe! Jch kann die Tiere in den Tod nicht leiden!“
ſchlug ſie nach mir. Jch entfloh unter das Schreibzeug,
ſie rückte es fort, ſie jagte mich weiter, endlich aber
gelang es mir mich zu verbergen, und wie ich aus
meinem Verſteck bemerkte, hatte Lydia inzwiſchen auch
das letzte Blättchen gerettet. Wieder ein Beiſpiel von
der Eigentümlichkeit der Menſchen ſich gegenſeitig manches
zu verbergen!
Das Licht war verſchwunden. Jch konnte mich nach
kurzer Ruhe hervorwagen und meine Entdeckungsreiſe
beginnen, denn im Finſtern ſehen die Menſchen nichts.
Mein Ziel war das Schränkchen, in das ich durch das
Schlüſſelloch eindrang. Jch fand Käſtchen mit Schmuck-
ſachen, vertrocknete Blumen, Papiere und Briefe, und
ich nahm mir vor, hier eingehende Studien zu
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