Es war einmal ein Privatdocent der Philosophie, der hieß, um allen Verwechslungen vorzubeugen, Dr. Schulze. Eines Nachmittags saß er an seinem Schreib- tische und konnte seine Gedanken nicht ins Reine brin- gen; das hätte zwar weiter nichts geschadet, wenn er sie nur im Konzept gehabt hätte, aber das war ihm gerade ausgegangen. Da hatte nun ein Autor Schulzen wieder einmal gründlich mißverstanden! Das kommt von diesem Widerspruchsgeist, der sich überall breitmacht, von dieser prinzipiellen Unzufriedenheit, die nichts anderes gelten lassen will, als die eigene Mei- nung! Wollten doch die Leute endlich einsehen, daß Überzeugung den größten Sieg feiert, wenn sie sich der besseren aufopfert! Aber wer kann die Gelehrten über- zeugen? Sollte es nicht ein Mittel geben, den stören- den Widerspruch unwirksam zu machen? Die Wahrheit redet ja für sich selbst, könnte man nur erst das Be- harrungsvermögen des Jrrtums brechen! Dann würde auch Schulze's Theorie von den Gefühlen bald aner- kannt sein. Wenn er nur eine Methode gehabt hätte!
Pſychotomie. Ein philoſophiſches Märchen.
Es war einmal ein Privatdocent der Philoſophie, der hieß, um allen Verwechslungen vorzubeugen, Dr. Schulze. Eines Nachmittags ſaß er an ſeinem Schreib- tiſche und konnte ſeine Gedanken nicht ins Reine brin- gen; das hätte zwar weiter nichts geſchadet, wenn er ſie nur im Konzept gehabt hätte, aber das war ihm gerade ausgegangen. Da hatte nun ein Autor Schulzen wieder einmal gründlich mißverſtanden! Das kommt von dieſem Widerſpruchsgeiſt, der ſich überall breitmacht, von dieſer prinzipiellen Unzufriedenheit, die nichts anderes gelten laſſen will, als die eigene Mei- nung! Wollten doch die Leute endlich einſehen, daß Überzeugung den größten Sieg feiert, wenn ſie ſich der beſſeren aufopfert! Aber wer kann die Gelehrten über- zeugen? Sollte es nicht ein Mittel geben, den ſtören- den Widerſpruch unwirkſam zu machen? Die Wahrheit redet ja für ſich ſelbſt, könnte man nur erſt das Be- harrungsvermögen des Jrrtums brechen! Dann würde auch Schulze’s Theorie von den Gefühlen bald aner- kannt ſein. Wenn er nur eine Methode gehabt hätte!
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Pſychotomie.
Ein philoſophiſches Märchen.
Es war einmal ein Privatdocent der Philoſophie, der
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Schulze. Eines Nachmittags ſaß er an ſeinem Schreib-
tiſche und konnte ſeine Gedanken nicht ins Reine brin-
gen; das hätte zwar weiter nichts geſchadet, wenn er
ſie nur im Konzept gehabt hätte, aber das war
ihm gerade ausgegangen. Da hatte nun ein Autor
Schulzen wieder einmal gründlich mißverſtanden! Das
kommt von dieſem Widerſpruchsgeiſt, der ſich überall
breitmacht, von dieſer prinzipiellen Unzufriedenheit, die
nichts anderes gelten laſſen will, als die eigene Mei-
nung! Wollten doch die Leute endlich einſehen, daß
Überzeugung den größten Sieg feiert, wenn ſie ſich der
beſſeren aufopfert! Aber wer kann die Gelehrten über-
zeugen? Sollte es nicht ein Mittel geben, den ſtören-
den Widerſpruch unwirkſam zu machen? Die Wahrheit
redet ja für ſich ſelbſt, könnte man nur erſt das Be-
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. [159]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/165>, abgerufen am 04.12.2024.
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