Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Auf der Seifenblase. stehenden Wasserstäubchen gerissen wurde und OnkelWendel mit seinem Mikrogen auf ein anderes! Wer sollte mich jemals wieder finden? Und was sollte aus mir werden, wenn ich in meiner Kleinheit von ein Sechzigtausendstel Millimeter mein Lebelang bleiben mußte? Was war ich unter den Menschen? Gulliver in Brobdignak läßt sich garnicht damit vergleichen, denn mich konnte überhaupt niemand sehen! Meine Frau, meine armen Kinder! Vielleicht sogen sie mich mit dem nächsten Atemzuge in ihre Lunge, und während sie meinen un- erklärlichen Verlust beweinten, vegetierte ich als unsicht- bare Bakterie in ihrem Blute! "Schnell, Onkel, nur schnell!" rief ich. "Gieb uns "Keine Sorge," sagte Onkel Wendel ungerührt, "die "Wie, du willst doch nicht behaupten, daß die Seifen- "Natürlich hat sie Bewohner, und zwar recht kul- Auf der Seifenblaſe. ſtehenden Waſſerſtäubchen geriſſen wurde und OnkelWendel mit ſeinem Mikrogen auf ein anderes! Wer ſollte mich jemals wieder finden? Und was ſollte aus mir werden, wenn ich in meiner Kleinheit von ein Sechzigtauſendſtel Millimeter mein Lebelang bleiben mußte? Was war ich unter den Menſchen? Gulliver in Brobdignak läßt ſich garnicht damit vergleichen, denn mich konnte überhaupt niemand ſehen! Meine Frau, meine armen Kinder! Vielleicht ſogen ſie mich mit dem nächſten Atemzuge in ihre Lunge, und während ſie meinen un- erklärlichen Verluſt beweinten, vegetierte ich als unſicht- bare Bakterie in ihrem Blute! „Schnell, Onkel, nur ſchnell!“ rief ich. „Gieb uns „Keine Sorge,“ ſagte Onkel Wendel ungerührt, „die „Wie, du willſt doch nicht behaupten, daß die Seifen- „Natürlich hat ſie Bewohner, und zwar recht kul- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="12"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Auf der Seifenblaſe.</hi></fw><lb/> ſtehenden Waſſerſtäubchen geriſſen wurde und Onkel<lb/> Wendel mit ſeinem Mikrogen auf ein anderes! Wer<lb/> ſollte mich jemals wieder finden? Und was ſollte aus<lb/> mir werden, wenn ich in meiner Kleinheit von ein<lb/> Sechzigtauſendſtel Millimeter mein Lebelang bleiben<lb/> mußte? Was war ich unter den Menſchen? Gulliver in<lb/> Brobdignak läßt ſich garnicht damit vergleichen, denn<lb/> mich konnte überhaupt niemand ſehen! Meine Frau, meine<lb/> armen Kinder! Vielleicht ſogen ſie mich mit dem nächſten<lb/> Atemzuge in ihre Lunge, und während ſie meinen un-<lb/> erklärlichen Verluſt beweinten, vegetierte ich als unſicht-<lb/> bare Bakterie in ihrem Blute!</p><lb/> <p>„Schnell, Onkel, nur ſchnell!“ rief ich. „Gieb uns<lb/> unſere Menſchengröße wieder! Die Seifenblaſe muß ja<lb/> ſofort platzen! Ein Wunder, daß ſie noch hält! Wie<lb/> lange ſind wir denn ſchon hier?“</p><lb/> <p>„Keine Sorge,“ ſagte Onkel Wendel ungerührt, „die<lb/> Blaſe dauert noch länger, als wir hier bleiben. Unſer<lb/> Zeitmaß hat ſich zugleich mit uns verkleinert, und was<lb/> du hier für eine Minute hältſt, das iſt nach irdiſcher<lb/> Zeit erſt der hundertmillionſte Teil davon. Wenn die<lb/> Seifenblaſe nur zehn Erdſekunden lang in der Luft fliegt,<lb/> ſo macht dies für unſere jetzige Konſtitution ein ganzes<lb/> Menſchenalter aus. Die Bewohner der Seifenblaſe<lb/> freilich leben wieder noch hunderttauſendmal ſchneller<lb/> als gegenwärtig wir.“</p><lb/> <p>„Wie, du willſt doch nicht behaupten, daß die Seifen-<lb/> blaſe auch Bewohner habe?“</p><lb/> <p>„Natürlich hat ſie Bewohner, und zwar recht kul-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0018]
Auf der Seifenblaſe.
ſtehenden Waſſerſtäubchen geriſſen wurde und Onkel
Wendel mit ſeinem Mikrogen auf ein anderes! Wer
ſollte mich jemals wieder finden? Und was ſollte aus
mir werden, wenn ich in meiner Kleinheit von ein
Sechzigtauſendſtel Millimeter mein Lebelang bleiben
mußte? Was war ich unter den Menſchen? Gulliver in
Brobdignak läßt ſich garnicht damit vergleichen, denn
mich konnte überhaupt niemand ſehen! Meine Frau, meine
armen Kinder! Vielleicht ſogen ſie mich mit dem nächſten
Atemzuge in ihre Lunge, und während ſie meinen un-
erklärlichen Verluſt beweinten, vegetierte ich als unſicht-
bare Bakterie in ihrem Blute!
„Schnell, Onkel, nur ſchnell!“ rief ich. „Gieb uns
unſere Menſchengröße wieder! Die Seifenblaſe muß ja
ſofort platzen! Ein Wunder, daß ſie noch hält! Wie
lange ſind wir denn ſchon hier?“
„Keine Sorge,“ ſagte Onkel Wendel ungerührt, „die
Blaſe dauert noch länger, als wir hier bleiben. Unſer
Zeitmaß hat ſich zugleich mit uns verkleinert, und was
du hier für eine Minute hältſt, das iſt nach irdiſcher
Zeit erſt der hundertmillionſte Teil davon. Wenn die
Seifenblaſe nur zehn Erdſekunden lang in der Luft fliegt,
ſo macht dies für unſere jetzige Konſtitution ein ganzes
Menſchenalter aus. Die Bewohner der Seifenblaſe
freilich leben wieder noch hunderttauſendmal ſchneller
als gegenwärtig wir.“
„Wie, du willſt doch nicht behaupten, daß die Seifen-
blaſe auch Bewohner habe?“
„Natürlich hat ſie Bewohner, und zwar recht kul-
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