Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Tröpfchen. auf der Erdoberfläche durch ein Mikroskop beobachtet --was würde er erblicken? Sähe er die Mutterliebe, die Gottesfurcht, das Mitleid in unsern Herzen? Sähe er den Mut des Helden, die Begeisterung des Forschers, die Jdeale des Künstlers, die Wonne des Liebenden? Nein, er sähe nur Entstehen und Vergehen von Jn- dividuen, Anhäufung und Vernichtung von Massen, Änderungen der örtlichen und zeitlichen Gruppierung -- alles, was wir an den Bacillen sehen. Mit welchem Rechte wollen wir dem Bacillus, den wir nur von außen beobachten, alles das absprechen, was auch an uns niemand von außen wahrnehmen könnte? Warum soll nicht in ihm ein Microbacillus logicus vegetieren, der in ihm den logischen Spaltungsprozeß bewirkt, wie in uns? Wo sind die Grenzen des Universums? Darum, meine Herren, Achtung vor dem Bacillus, Achtung vor dem Mächtigsten im Kleinsten! Sammeln wir uns und bedenken wir, daß wir nicht einmal Bacillen sind!" Der Redner verließ seinen Platz, die Zuhörer "Eine Spinne!" schrie die Frau und stieß mit dem "Jch bin die Welt," sagte die Spinne. Da war Tröpfchen. auf der Erdoberfläche durch ein Mikroſkop beobachtet —was würde er erblicken? Sähe er die Mutterliebe, die Gottesfurcht, das Mitleid in unſern Herzen? Sähe er den Mut des Helden, die Begeiſterung des Forſchers, die Jdeale des Künſtlers, die Wonne des Liebenden? Nein, er ſähe nur Entſtehen und Vergehen von Jn- dividuen, Anhäufung und Vernichtung von Maſſen, Änderungen der örtlichen und zeitlichen Gruppierung — alles, was wir an den Bacillen ſehen. Mit welchem Rechte wollen wir dem Bacillus, den wir nur von außen beobachten, alles das abſprechen, was auch an uns niemand von außen wahrnehmen könnte? Warum ſoll nicht in ihm ein Microbacillus logicus vegetieren, der in ihm den logiſchen Spaltungsprozeß bewirkt, wie in uns? Wo ſind die Grenzen des Univerſums? Darum, meine Herren, Achtung vor dem Bacillus, Achtung vor dem Mächtigſten im Kleinſten! Sammeln wir uns und bedenken wir, daß wir nicht einmal Bacillen ſind!“ Der Redner verließ ſeinen Platz, die Zuhörer „Eine Spinne!“ ſchrie die Frau und ſtieß mit dem „Jch bin die Welt,“ ſagte die Spinne. Da war <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0243" n="237"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tröpfchen.</hi></fw><lb/> auf der Erdoberfläche durch ein Mikroſkop beobachtet —<lb/> was würde er erblicken? Sähe er die Mutterliebe, die<lb/> Gottesfurcht, das Mitleid in unſern Herzen? Sähe er<lb/> den Mut des Helden, die Begeiſterung des Forſchers,<lb/> die Jdeale des Künſtlers, die Wonne des Liebenden?<lb/> Nein, er ſähe nur Entſtehen und Vergehen von Jn-<lb/> dividuen, Anhäufung und Vernichtung von Maſſen,<lb/> Änderungen der örtlichen und zeitlichen Gruppierung —<lb/> alles, was wir an den Bacillen ſehen. Mit welchem<lb/> Rechte wollen wir dem Bacillus, den wir nur von<lb/> außen beobachten, alles das abſprechen, was auch an<lb/> uns niemand von außen wahrnehmen könnte? Warum<lb/> ſoll nicht in ihm ein <hi rendition="#aq">Microbacillus logicus</hi> vegetieren,<lb/> der in ihm den logiſchen Spaltungsprozeß bewirkt, wie<lb/> in uns? Wo ſind die Grenzen des Univerſums?<lb/> Darum, meine Herren, Achtung vor dem Bacillus,<lb/> Achtung vor dem Mächtigſten im Kleinſten! Sammeln<lb/> wir uns und bedenken wir, daß wir nicht einmal<lb/> Bacillen ſind!“</p><lb/> <p>Der Redner verließ ſeinen Platz, die Zuhörer<lb/> gingen nach Hauſe. Eine Scheuerfrau kam mit Beſen<lb/> und Eimer. Das Glas mit dem Tröpfchen und der<lb/> Spinne war vergeſſen, und da der Deckel offen ge-<lb/> blieben war, ſo hatte ſich die Spinne davongemacht.<lb/> Sie kroch über die Dielen.</p><lb/> <p>„Eine Spinne!“ ſchrie die Frau und ſtieß mit dem<lb/> Beſen nach ihr.</p><lb/> <p>„Jch bin die Welt,“ ſagte die Spinne. Da war<lb/> ſie zerquetſcht.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [237/0243]
Tröpfchen.
auf der Erdoberfläche durch ein Mikroſkop beobachtet —
was würde er erblicken? Sähe er die Mutterliebe, die
Gottesfurcht, das Mitleid in unſern Herzen? Sähe er
den Mut des Helden, die Begeiſterung des Forſchers,
die Jdeale des Künſtlers, die Wonne des Liebenden?
Nein, er ſähe nur Entſtehen und Vergehen von Jn-
dividuen, Anhäufung und Vernichtung von Maſſen,
Änderungen der örtlichen und zeitlichen Gruppierung —
alles, was wir an den Bacillen ſehen. Mit welchem
Rechte wollen wir dem Bacillus, den wir nur von
außen beobachten, alles das abſprechen, was auch an
uns niemand von außen wahrnehmen könnte? Warum
ſoll nicht in ihm ein Microbacillus logicus vegetieren,
der in ihm den logiſchen Spaltungsprozeß bewirkt, wie
in uns? Wo ſind die Grenzen des Univerſums?
Darum, meine Herren, Achtung vor dem Bacillus,
Achtung vor dem Mächtigſten im Kleinſten! Sammeln
wir uns und bedenken wir, daß wir nicht einmal
Bacillen ſind!“
Der Redner verließ ſeinen Platz, die Zuhörer
gingen nach Hauſe. Eine Scheuerfrau kam mit Beſen
und Eimer. Das Glas mit dem Tröpfchen und der
Spinne war vergeſſen, und da der Deckel offen ge-
blieben war, ſo hatte ſich die Spinne davongemacht.
Sie kroch über die Dielen.
„Eine Spinne!“ ſchrie die Frau und ſtieß mit dem
Beſen nach ihr.
„Jch bin die Welt,“ ſagte die Spinne. Da war
ſie zerquetſcht.
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