Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Epilog. Mürrisch schreit' ich vorbei, den Blick zu Boden geheftet,Und doch hat er den Text, hat er die Finger gestreist. Prosa! -- Rascher beschwing' ich den Schritt im einsamen Waldweg; Unmut steigt mir empor über die lesende Welt, Über die schreibende mehr noch zürn' ich. Allen Autoren Gilt mein kräftiger Fluch, und den Verlegern dazu! Wären es Verse, vielleicht, ich ließe die Leserin gelten; Aber ein flacher Roman, aber ein langer Essay! Und da sitzt sie im Walde, den Blick im Buche vergraben, Gleich als wäre das Thal ihr das bekannte Gemach, Das sie zum hundertsten Male mit offenem Mündchen begähnte; Nur mit der hölzernen Bank ward ihr das Sofa getauscht. Aber ihr schweigt die weite Natur; papierene Weisheit Macht sich laut, und das Wort hat die Empfindung betäubt. Sucht nur im Spiegel des Buchs lebendiger Götter Gestalten! Sehet, ein ganzer Olymp stellt photographisch sich ein. Hermes darf euch gefallen und klug erscheinen Athene, Wenn der Archäolog euch die Symbole benennt. Glückliches Volk! Es schreibt populär der stolze Gelehrte, Selbst die härteste Nuß knackt er behaglich euch auf. Was verschwiegene Priester in heiligen Schriften begruben, Jn verständlichem Deutsch lullt es geschwätzig euch ein. Welch unwirtliches Land verschmachtende Forscher durchirrten, Jllustriert vergnügt's euch nach gelungenem Mahl. Nicht zu den Sternen blickt mir empor! Ein billiger Atlas Weiset die Namen und zeigt sichtlich bequemer das All. Euch erzählt manch schreibender Arzt von zuckenden Muskeln, Wie die Zelle sich teilt, malt der Botaniker auf, Selbst die Gesetze des Raums versucht euch höflich zu modeln, Wer Euklidischen Ernst nicht mehr für passend befand. Jrr' ich nicht, so bereitet man schon zur Schülerlektüre Kants Kritik der Vernunft leicht und verständlicher vor. Paraphrasen beherrschen den Markt. Selbst denke mir keiner! Erst aus vermittelnder Hand wählt sich der Leser den Stoff. Wie ihr druckt, so schreibt ihr mit Dampf! Und haben die Federn Epilog. Mürriſch ſchreit’ ich vorbei, den Blick zu Boden geheftet,Und doch hat er den Text, hat er die Finger geſtreiſt. Proſa! — Raſcher beſchwing’ ich den Schritt im einſamen Waldweg; Unmut ſteigt mir empor über die leſende Welt, Über die ſchreibende mehr noch zürn’ ich. Allen Autoren Gilt mein kräftiger Fluch, und den Verlegern dazu! Wären es Verſe, vielleicht, ich ließe die Leſerin gelten; Aber ein flacher Roman, aber ein langer Eſſay! Und da ſitzt ſie im Walde, den Blick im Buche vergraben, Gleich als wäre das Thal ihr das bekannte Gemach, Das ſie zum hundertſten Male mit offenem Mündchen begähnte; Nur mit der hölzernen Bank ward ihr das Sofa getauſcht. Aber ihr ſchweigt die weite Natur; papierene Weisheit Macht ſich laut, und das Wort hat die Empfindung betäubt. Sucht nur im Spiegel des Buchs lebendiger Götter Geſtalten! Sehet, ein ganzer Olymp ſtellt photographiſch ſich ein. Hermes darf euch gefallen und klug erſcheinen Athene, Wenn der Archäolog euch die Symbole benennt. Glückliches Volk! Es ſchreibt populär der ſtolze Gelehrte, Selbſt die härteſte Nuß knackt er behaglich euch auf. Was verſchwiegene Prieſter in heiligen Schriften begruben, Jn verſtändlichem Deutſch lullt es geſchwätzig euch ein. Welch unwirtliches Land verſchmachtende Forſcher durchirrten, Jlluſtriert vergnügt’s euch nach gelungenem Mahl. Nicht zu den Sternen blickt mir empor! Ein billiger Atlas Weiſet die Namen und zeigt ſichtlich bequemer das All. Euch erzählt manch ſchreibender Arzt von zuckenden Muskeln, Wie die Zelle ſich teilt, malt der Botaniker auf, Selbſt die Geſetze des Raums verſucht euch höflich zu modeln, Wer Euklidiſchen Ernſt nicht mehr für paſſend befand. Jrr’ ich nicht, ſo bereitet man ſchon zur Schülerlektüre Kants Kritik der Vernunft leicht und verſtändlicher vor. Paraphraſen beherrſchen den Markt. 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Epilog.
Mürriſch ſchreit’ ich vorbei, den Blick zu Boden geheftet,
Und doch hat er den Text, hat er die Finger geſtreiſt.
Proſa! — Raſcher beſchwing’ ich den Schritt im einſamen Waldweg;
Unmut ſteigt mir empor über die leſende Welt,
Über die ſchreibende mehr noch zürn’ ich. Allen Autoren
Gilt mein kräftiger Fluch, und den Verlegern dazu!
Wären es Verſe, vielleicht, ich ließe die Leſerin gelten;
Aber ein flacher Roman, aber ein langer Eſſay!
Und da ſitzt ſie im Walde, den Blick im Buche vergraben,
Gleich als wäre das Thal ihr das bekannte Gemach,
Das ſie zum hundertſten Male mit offenem Mündchen begähnte;
Nur mit der hölzernen Bank ward ihr das Sofa getauſcht.
Aber ihr ſchweigt die weite Natur; papierene Weisheit
Macht ſich laut, und das Wort hat die Empfindung betäubt.
Sucht nur im Spiegel des Buchs lebendiger Götter Geſtalten!
Sehet, ein ganzer Olymp ſtellt photographiſch ſich ein.
Hermes darf euch gefallen und klug erſcheinen Athene,
Wenn der Archäolog euch die Symbole benennt.
Glückliches Volk! Es ſchreibt populär der ſtolze Gelehrte,
Selbſt die härteſte Nuß knackt er behaglich euch auf.
Was verſchwiegene Prieſter in heiligen Schriften begruben,
Jn verſtändlichem Deutſch lullt es geſchwätzig euch ein.
Welch unwirtliches Land verſchmachtende Forſcher durchirrten,
Jlluſtriert vergnügt’s euch nach gelungenem Mahl.
Nicht zu den Sternen blickt mir empor! Ein billiger Atlas
Weiſet die Namen und zeigt ſichtlich bequemer das All.
Euch erzählt manch ſchreibender Arzt von zuckenden Muskeln,
Wie die Zelle ſich teilt, malt der Botaniker auf,
Selbſt die Geſetze des Raums verſucht euch höflich zu modeln,
Wer Euklidiſchen Ernſt nicht mehr für paſſend befand.
Jrr’ ich nicht, ſo bereitet man ſchon zur Schülerlektüre
Kants Kritik der Vernunft leicht und verſtändlicher vor.
Paraphraſen beherrſchen den Markt. Selbſt denke mir keiner!
Erſt aus vermittelnder Hand wählt ſich der Leſer den Stoff.
Wie ihr druckt, ſo ſchreibt ihr mit Dampf! Und haben die Federn
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